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Rollstuhlfahrer ins Abseits

■ Klage von Rollstuhlfahrerin abgewiesen/ Gehbehinderte müssen in der Deutschlandhalle in die Sonderloge

Berlin. Rollstuhlfahrer dürfen nicht im Innenraum der Deutschlandhalle sitzen, wenn sie dort eine Veranstaltung besuchen. Mit dieser Entscheidung wies der 8. Senat des Berliner Oberverwaltungsgerichts gestern die Berufung einer behinderten Frau zurück, die gegen die Messegesellschaft AMK geklagt hatte.

Die Klägerin Bärbel Reichelt, die Mitglied im Club für Behinderte und Nichtbehinderte (COCAS) ist, hatte dagegen aufbegehrt, daß die Rollstuhlfahrer in der Deutschlandhalle in einer Sonderloge in der ersten Etage sitzen müssen und nicht in den stufenlosen, weiträumig befahrbaren Innenraum rollen dürfen. Die Tatsache, daß sich in der Sonderloge nur für ganze 16 Rollstühle Platz fände, jeweils nur eine Begleitperson mitgenommen werde, die zudem noch abseits sitzen müsse, so die Klägerin, sei eine Diskriminierung der Behinderten. »Können Sie sich vorstellen, unter diesen Bedingungen eine Sportdarbietung, ein Popkonzert oder sonstige kulturelle Veranstaltung mit Freunden genießen zu können?« fragte Bärbel Reichelt.

Ebenso wie das Verwaltungsgericht gingen auch die Richter der zweiten Instanz auf diese Argumentation überhaupt nicht ein. Die Berufung wurde mit der formalen Begründung zurückgewiesen, die Sonderloge in der Nähe des Ausgangs sei keineswegs unzumutbar, weil nach den Sicherheitsvorschriften getrennte Ausgänge für Rollstuhlfahrer und andere Behinderte vorhanden sein müßten.

Auch die zweite Forderung der Klägerin wurde abgelehnt, die AMK dazu zu verpflichten die 16 Rollstuhlplätze auf mindestens 50 zu erhöhen. Damit wären noch nicht einmal ein Prozent der Plätze für Rollstuhlfahrer in der Deutschlandhalle reserviert, die 9.194 Karten pro Verstaltung verkaufen kann. Die Richter wiesen den Antrag mit der Begründung zurück, aus den Belegungsstatistiken der Deutschlandhalle in den vergangenen zwei Jahren sei ersichtlich, daß das Platzkontingent für die Rollstuhlfahrer in der Sonderloge nie voll ausgeschöpft worden sei. Ein Vertreter der AMK hatte in der Verhandlung erklärt, daß man bei einzelnen Veranstaltungen flexibel sei und zusätzliche Plätze anbiete.

Bärbel Reichelt, die sich ein positives Grundsatzurteil erhofft hatte, wies in einer Presseerklärung darauf hin, daß zwölf Prozent der Berliner Bevölkerung »mobilitätsbehindert« und jeder 250. Einwohner auf die Benutzung eines Rollstuhles angewiesen sei. Nicht berücksichtigt seien in dieser Rechnung die vielen Behinderten im Umland, die in Zukunft sicher auch verstärkt zu kulturellen Veranstaltungen in die Stadt kämen. (Aktenzeichen OVG 8 B 73.90) plu

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