Rolling Stones in Havanna: Penetration durch den Klassenfeind
Jahrzehnte lang waren die Rolling Stones auf Kuba verboten. Am Karfreitag darf die britische Rockband erstmals in Havanna auftreten.
![Die vier Mitglieder der Rolling Stones stehen oben auf einer Gangway vor der Eingangstür zum Flugzeug und winken Die vier Mitglieder der Rolling Stones stehen oben auf einer Gangway vor der Eingangstür zum Flugzeug und winken](https://taz.de/picture/1088334/14/RollingStonesAnkunftinHavanna.jpeg)
Für Michel Matos gibt es keinen Zweifel. „Das ist ein echtes Ereignis. Die Rolling Stones in Havanna werde ich mir nicht entgehen lassen“, erklärt der 36-jährige Musiker und Filmemacher. Zwar reitet er musikalisch auf einer ganz anderen Wellenlänge, hat Elektro aufgelegt und das erste unabhängige Festival für elektronische Musik am Strand von Jibacoa aus der Taufe gehoben, aber das Konzert am 25. März hat auch für ihn Symbolcharakter.
Noch symbolträchtiger ist der erste Auftritt der Rocklegenden hingegen für die Älteren, die sich noch gut daran erinnern können, wie sie Songs von den Beatles, Led Zeppelin, den Eagels oder eben den Stones heimlich gehört und mitgesummt haben.
Leonardo Padura ist so einer. Der bekannte Schriftsteller ist erklärter Beatles-Fan und musste wie viele andere aus seiner Generation Jahrzehnte auf die Songs der Pilzköpfe im Radio und Fernsehen verzichten. An Konzerte auf der Insel war schon gar nicht zu denken, denn sie standen für „Penetración ideológica del enemigo“. Die „ideologische Penetration durch den Klassenfeind“ war ein Etikett, das einer ganzen Reihe von Bands anhaftete: Die Eagles, Creedence Clearwater Revival und auch Chicago hatten in Kuba nichts zu suchen – weder on Stage noch auf dem Plattenteller.
Mit Argusaugen bewacht
Folgerichtig seien die wenigen Alben der Rolling Stones, die es in Zeitungspapier eingehüllt auf die Insel geschafft hatten, mit Argusaugen bewacht und nur im kleinen Kreis mit der Nadel in Kontakt gebracht worden, so der nunmehr 60-Jährige. „Hätte mir damals jemand erzählt, dass diese britische Band in meinem Land jemals spielen würde, hätte ich eine geistige Erkrankung ohne jede Chance auf Genesung attestiert“.
Doch genau das wird nun eintreten. Die Kräne sind bereits im Einsatz, Metallteile und Stahlträger schweben über das Gelände der Ciudad Deportiva, wo die Bühne für das Konzertevent des Jahres in Havanna langsam wächst. Die Sportstadt liegt außerhalb des Stadtzentrums auf dem Weg zum Flughafen von Havanna, und dort geben normalerweise Kubas Volleyballer und die Peloteros, dieBaseball-Cracks, den Ton an.
Das ist seit einigen Tagen anders, denn Reporter von der Havana Times wie vom staatlichen Fernsehsender Cubavisión berichten, wie die Bühne wächst. Selbst die Granma, die Zeitung der Kommunistischen Partei, berichtete mehrfach über den „Mythos einer Legende“.
Ende einer Ära?
Für viele ist das Konzert das Ende der Ära der kontrollierten Musik, wie es die Schriftstellerin Wendy Guerra formuliert. Deren Mutter hat beim Radio gearbeitet, und sie kann sich noch recht gut erinnern, dass viele Bands auf den Index gesetzt wurden. Ein Name steht für das rigide Kontrollsystem: Luis Pavón Tamayo. Er galt in den 1970er und 1980er Jahren als der Zar der Zensur, und Kubas berühmte Bloggerin Yoani Sánchez hat nach dem Wiederauftauchen von Pavón in einer Diskussionsveranstaltung begonnen ihren Blog zu schreiben.
Das war 1997. Für sie bedeutet der Auftritt von Mick Jagger und den Stones mehr als der von Politikern oder dem Papst: „Aber ja, Kuba wird sich verändern, wenn Persönlichkeiten wie dieser britische Rockstar, eine Ikone der guten Musik und der vollkommenen Respektlosigkeit, in Havanna landen“, schreibt sie.
Ob das so sein wird, bleibt abzuwarten, denn auch die einst verpönten Beatles sind ja schließlich rehabilitiert worden, ohne dass sich viel auf der Insel geändert hat. Am 8. Dezember 2000 wurde in einem Park im Stadtteil Vedado eine Bank mit einem bronzenen John Lennon aufgestellt – in Anwesenheit von Comandante Fidel Castro. Der sprach auch ein paar Worte.
Eine Revolution
Allerdings hat so ein Mammutkonzert, rund 200.000 Kubaner werden erwartet, vielleicht einen anderen Effekt. Zumal es nur drei Tage nach der Visite von Barack Obama stattfindet und fünf Wochen, bevor Chanel die neue Kollektion in Kuba vorstellt. Für Leonardo Padura ist es eine Revolution, dass durch die Tür, durch die Barack Obama Kuba verlässt, Mick Jagger und später Chanel eintreten.
Raúl Paz sieht das etwas nüchterner. Für den kubanischen Sänger, der lange in Frankreich lebte, ist es schlicht kurios, dass die Rolling Stones nun in Havanna spielen. „Es ist positiv, dass ihr Konzert nun kein Politikum mehr ist, und für uns kommt es vollkommen unerwartet. Es ist Teil des Zirkus, der sich hier in Havanna abspielt.“ Damit ist der Kuba-Hype gemeint, der Touristen, Wirtschaftsdelegationen und Prominente aus aller Welt nach Kuba spült, aber auch die Visite von US-Präsident Barack Obama. Die Rolling Stones spielen dabei eher eine untergeordnete Rolle.
„Es werden zwar viele Konzertbesucher erwartet, aber die allermeisten werden die Band kaum kennen, jedoch das Ereignis als Ereignis mitnehmen“, glaubt der 47-jährige Paz. Neugierde, Lust, sich der Welt zu öffnen und mitzukriegen, was sich dort abspielt, sei sehr ausgeprägt in Kuba. Deshalb werden viele kommen, die mit Rock eher wenig anfangen können – so wie Elektro-Fan Michel Matos.
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