Rollenspiel „Dungeons and Dragons“: Mit Drachen gegen den Kapitalismus
Im Kapitalismus ist Spielen ab 14 Jahren nicht mehr sinnvoll: Wer spielt, der arbeitet nicht. Unsere Kolumnistin hat das Spielen wieder gelernt.
![Figur eines Bogenschützen aus dem Kartenspiel Dungeons and Dragons Figur eines Bogenschützen aus dem Kartenspiel Dungeons and Dragons](https://taz.de/picture/7436584/14/37313914-1.jpeg)
S tolz hält uns Marcel eine Legofigur in Rüstung hin: „Ich bin ein Halbling, und zwar so ein richtiger Schrank“, sagt er, „und ich liebe Kochen. Statt Schwert schleppe ich eine Bratpfanne auf meinem Rücken herum.“ Ani beißt kichernd in einen Waffelkeks, Marie nickt begeistert. Über eine Box läuft leise „Herr der Ringe“-Musik.
Es ist ein Nachmittag im Dezember und wir sitzen um Maries Esstisch herum. Seit fünf Jahren spielen wir Dungeons & Dragons (DnD). 2025 starten wir mit einem neuen Abenteuer. Heute besprechen wir unsere Charaktere dafür. DnD ist ein Pen-&-Paper-Spiel: Man braucht Stift, Papier, einen Radiergummi und Würfel. Höchstens noch eine Legofigur zur Veranschaulichung. Das meiste passiert aber im Kopf.
Marie ist unsere Dungeon Masterin. Sie denkt sich die Geschichten aus. Wir anderen Fünf überlegen uns Charaktere, mit denen wir darin Monster besiegen, Dörfer erkunden oder Schatztruhen aufknacken wollen.
Als Kind habe ich Rollenspiele geliebt. In der Grundschule sind meine beste Freundin und ich auf imaginären Pferden oder Drachen geritten. Der Weg zur Sporthalle war unser Wald, der rote Platz die Wüste, der Trampelpfad am Haupteingang eine steile Klippe am Abgrund.
Spielbedürfnis hat keinen Platz
Als arbeitsfähig gilt man in Deutschland ab 14 Jahren. Spielen ist bis dahin aus kapitalistischer Sicht sinnvoll, weil man immerhin effizient lernt. Danach nicht mehr, denn wer spielt, arbeitet nicht. Und wer weder arbeitet noch zur Oberschicht gehört, ist im Kapitalismus wertlos. Kinder und alles, was sie tun, werden in einer solchen Gesellschaft abgewertet. Als Teenager war es plötzlich überhaupt nicht mehr cool, über den Schulhof zu galoppieren. Und das blieb so. Wenn ich heute wiehernd durch die taz-Redaktion traben würde, käme das bei den Kolleg:innen nicht so gut an.
Erst mit Anfang 20 ermöglichte mir meine DnD-Guppe wieder, in eine Rolle zu schlüpfen. Bei DnD kann man mit Tieren sprechen, zottelige Riesenmäuse herbeizaubern oder nachts schreiend um ein Lagerfeuer tanzen. DnD setzt der Fantasie keine Grenzen, sondern gibt ihr durch Spielregeln einen Rahmen. So wird sie als Spiel gemeinsam erlebbar.
Anfangs fiel es mir schwer, mich auf das Rollenspiel einzulassen. Ich hatte verinnerlicht, dass mein Spielbedürfnis keinen Platz in der „erwachsenen“ Gesellschaft hat und ich mich dafür schämen muss. Das zu überwinden dauerte Jahre.
An diesem Nachmittag lässt Marie unsere brandneuen Charaktere nacheinander in einer Höhle aufwachen, ohne Erinnerung, wie wir dorthin gekommen sind. Während wir am Esstisch sitzend Kekse naschen, beschreibe ich den anderen, wie mein Charakter aufwacht. Mein schneidiger Barde flext gerade seine Armmuskeln, als uns ein fliegender Teppich angreift. Mit Schwertern und Fäusten dreschen wir auf ihn ein, bis Marcels Halbling-Schrank ihn schließlich entzwei reißt. Nach dem Kampf sind alle Kekse aufgegessen. Wir verlassen Maries Zuhause am Abend aufgeregt und vorfreudig auf die kommenden Abenteuer.
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