Rollenbilder im Kinderfernsehen: Die rosa-blaue Weltverschwörung
Das Kinderfernsehen prägen Figuren wie die zwanghafte Kümmerin Dora und der Abenteurer Diego. Vorbilder ohne Rollenklischees gibt es zu wenige.
Dora ist ein Mädchen – und ein Ärgernis. Dora steht auf rosa Kleider und glitzernde Funkelringe und sie leidet an einer Art pathologischem Krankenschwestersyndrom: Wenn jemand Hilfe braucht, springt sie – zum Supermarkt, einkaufen für Papa. Zur Hütte ihres kranken Freundes Benni, dem Stier, den pflegt sie gesund.
Damit dürfte das Zeichentrickmädchen aus der gleichnamigen Animationsserie des Kindersenders Nickelodeon hinreichend als Hassfigur für feministisch geschulte Eltern taugen. Bliebe noch die Frage, ob sich der Aufschrei im Namen der Kinder lohnt – „Was für ein Frauenbild wird denn da, bitte schön, vermittelt!“ –, der da immer mal wieder über Buddelkisten hinweg und durch die Medien hallt, wenn Eltern schauen, was ihre Kleinen da eigentlich so gucken.
Zugegeben, der Dora-Sender Nickelodeon versteht es zu provozieren: Von Gender-Mainstreaming, dem Bemühen um Geschlechtsneutralität im Kinderfernsehen, habe man sich verabschiedet, ließ sich ein Sprecher am Rande der US-amerikanischen Emmy Kids Awards, einer der wichtigsten Auszeichnungen für Kinderfernsehen, zitieren. Stattdessen setze man verstärkt auf geschlechtsspezifische Angebote für Mädchen und Jungs.
Auf Dora, die rosa Krankenschwester in Rüschensöckchen. Oder auf Diego, in der Nickelodeon-Welt der achtjährige Cousin von Dora und Hauptfigur der Zeichentrickserie „Go, Diego, Go!“. Diego kümmert sich nicht – Diego rettet. Er hat Größeres zu tun, als Papa beim Shoppen zu assistieren, saust mit dem Schnellboot durch die Gegend und rettet mithilfe eines fix gezimmerten Staudamms und seines MacGyver-Rucksacks, der sich in ein Kanu verwandeln kann, die Biberfamilie vor einer Flutwelle.
Betreuungsgeld oder Karriereklippe
Werden da also Stereotype bedient, kassieren die Mädchen, die sich Dora reinziehen, am Ende lieber Kristina Schröders Betreuungsgeld als ein eigenes Gehalt? Und die ehemaligen Diego-Jungs finden es okay und arbeiten sich ganz selbstverständlich an einer Karriereklippe nach der anderen ab?
Vielleicht. Doch darüber, ob man nun Hausfrau, Feministin oder irgendetwas dazwischen wird, entscheiden natürlich noch andere Einflussfaktoren als mediale Vorbilder: Die Kita, das Elternhaus seien mindestens genauso wichtig, sagt Maya Götz, Leiterin des Internationalen Zentralinstituts für das Kinder- und Jugendfernsehen IZI, das dem Bayerischen Rundfunk angeschlossen ist. Aber Dora, findet Götz, die zur Repräsentation von Genderrollen im Kinderfernsehen forscht, sei ein Beispiel dafür, dass es mit der Gleichheit der Geschlechter oft noch nicht weit her sei im Kinderfernsehen.
Gemeinsam mit ForscherkollegInnen vom IZI hat Götz Geschlechterzuschreibungen in fast 20.000 Folgen verschiedener Kindersendungen in 24 Ländern, darunter auch in Deutschland, analysiert. Das Ergebnis: Mädchenfiguren seien oft hübsch und auf ihr Äußeres bedacht – die Tiermodels im rosaroten „Littlest Pet Shop“ auf SuperRTL mögen als Beispiel dienen, und natürlich Disneys „Barbie“-Filme.
Mädchenfiguren, sagt die IZI-Studie, seien sozial und friedliebend – die harmoniesüchtige „Prinzessin Lillifee“ zauberte bis 2012 die Welt im öffentlich-rechtlichen Kinderkanal Kika ein bisschen rosafarbener. Jungenfiguren, sagen die Forscher, seien dagegen meist durchsetzungsstark bis aggressiv („Der ultimative Spiderman“ auf SuperRTL).
Technik ist oft noch Männersache
In Wissenssendungen für Kinder sind es meist Männer, die erklären, wie man ICE fährt („Willi wills wissen“ im Kika) und einen Kran steuert. In der „Sendung mit der Maus“ erklären mit Armin (Maiwald) und Christoph (Biemann) seit Jahren zwei Männer, wie die Streifen in den Fußballrasen und die Zahnpasta kommen. Technik ist eben oft immer noch Männersache – auch wenn es inzwischen bei der „Maus“ mit Malin (Büttner) auch eine weibliche Reporterin in den „Sachgeschichten“ gibt. Die dann allerdings zum Beispiel den Besuch in einem Maskenbildnersalon übernimmt und sich als Schminkmodell zur Verfügung stellt.
„In unserer Gesellschaft ist Geschlecht nach wie vor das Entscheidende“, sagt Götz. „Mädchen legen wir die Entwicklung einer gewissen sozialen Intelligenz nahe, für Jungs ist es wichtig, Herausforderungen zu meistern.“ Dora, die Mütterliche. Diego, der Held. Männer und Technik. Frauen und Schminke.
Allerdings, sagt Götz – „das Grundprinzip moderner Pädagogik!“ –, müsse Fernsehen „die Kinder zunächst auch mit Gewohntem abholen, die Geschichten müssen die Umwelt spiegeln.“ Ein problematischer Zirkelschluss: Die Medien reflektieren eine Ungleichheit und befördern damit deren Stabilisierung.
Womit man an dem Punkt wäre, der die Genderforscher traditionell mit den Naturwissenschaften entzweit: Ist Gender nur ein soziales Konstrukt, durch die Gesellschaft und also auch durch die Medien gemacht? Oder ist es, hässlicher Gedanke, doch auch die heimtückische Natur, die Mädchen auf Ponys abfahren lässt und Jungs auf Spiderman? Sind Mädchen und Jungs also doch etwas weniger identisch beschaffen, als es die Gender-Mainstreamer gern hätten?
Folgen der Mann-Frau-Asymmetrie
Im Zeit Magazin zweifelte Harald Martenstein jüngst an Geschlecht als einem rein sozialen Konstrukt, daneben munitionierte ein Interview mit der Biologin und Psychologin Doris Bischhof-Köhler seine Breitseite gegen die Genderforschung. „Angeborene Geschlechtsunterschiede zwingen uns zu nichts und verwehren uns keine Option“, sagte Bischhof-Köhler. „Aber sie bewirken, dass es Fühlen und Handeln gibt, das den meisten Männern und Frauen unterschiedlich leicht fällt.“ Allerdings: Wenn eine Mann-Frau-Asymmetrie zur Folge hat, dass Männer leichter Karriere machen und die Gesellschaft das auch noch fördert, hat sie ein Problem.
Dass sich Geschlecht eben nur bis zu einem gewissen Grad wegtheoretisieren lässt, hat man auch am IZI erforscht: Mädchen, fasst das Heft „Girls and Boys and Televison“ von 2008 zusammen, seien besonders an sozialen Beziehungsgeflechten und Geschichten über Teamgeist interessiert. Jungs wollten Helden, die furchtlos sind und Probleme lösen, und zwar durch Aktion.
„Die Sehnsucht nach Rittern, Drachen, Abenteurern und Einhörnern besteht genauso im Programm wie nach starken Mädchen und smarten Jungs als Identifikationsfiguren“, sagt der kommissarische Kika-Programmgeschäftsführer Tobias Hauke. Und schiebt hinterher: Die stärksten und liebenswertesten Charaktere, das hätten Analysen wie Erfahrungswerte ergeben, seien für Kinder aber oft genau die, „die wirklich ganzheitlich und interessant sind und nicht bloß sportlich oder nur schön“.
Man kann also einerseits vielleicht ruhig akzeptieren, dass die Helden von Mädchen andere sind als die von Jungs. Man sollte aber andererseits gesellschaftliche Stereotype, die mit rosa Prinzessinnen und kleinen Krankenschwestern wie Dora verbunden sind, diskutieren wollen. Und es gibt tatsächlich auch im gescholtenen Kinderfernsehen Charaktere, die „Kinder mit Gewohntem abholen“ – und es trotzdem schaffen, gesellschaftliche Stereotype aufzubrechen.
Zu große Zähne und struppige Haare
Die „Kleine Prinzessin“ zum Beispiel. „Prinzessinnen werden oft nur auf ihr Äußeres reduziert und das große Finale ist die Verheiratung“, sagt Götz. Die kleine Prinzessin im Kika hat zu große Zähne, struppige Haare und will mal General oder Entdecker werden. Und die Malin von der „Maus“ darf außer dem Schminkstudio auch mal einen Kanubauer und den Spielzeug-TÜV besuchen.
Überhaupt findet Christina Blankenburg, Pressesprecherin für den deutschen Ableger des US-Senders Nickelodeon, die Kritik von Genderforscherinnen wie Götz an Figuren wie Dora und Diego überzogen. Dora sei zwar auch lieb und möge Rosa und Diego sei zwar auch wild und möge Abenteuer. „Aber dann werden Mädchen-Jungs-Stereotype auch immer wieder hinterfragt“, sagt Blankenburg.
„Diego will nicht Baumeister oder Feuerwehrmann werden, sondern Tierarzt – ein Mädchenberuf.“ Und Dora sei auch „kein typisches Mädchen, das zum Ballettunterricht geht: stattdessen fliegt sie zum Mond und will Raumfahrerin werden.“
Dass sie dennoch auf rosa Kleidchen stehen muss, daran ist wohl am Ende auch ein Merchandisegeschäft schuld, dem etwaiges naturgegebenes Mann-/Frau-Verhalten und gesellschaftliche Konventionen hervorragend zupasskommen. Denn der Spielzeugmarkt kann schlicht mehr verkaufen, wenn man ihn zweiteilt, in einen rosafarbenen für Mädchen und in einen blauen für Jungs. Blankenburg sagt, dass man diesem Marktdruck „natürlich auch folge“. Da ergibt es schon Sinn, dass Doras Rucksack nicht grün ist, sondern rosa. Und das lässt sich nun wirklich nicht wegtheoretisieren.
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