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Roland Opfer des „Bremer Verhängnisses“

■ Bremer Kulturszene verhängt Wahrzeichen und Kulturstätten / Kulturbehörde zieht mit „Streichaktion“ nach

Das sollte man mal in München versuchen. Oder in Hannover. In Syke! Da fährt gestern um 11 Uhr ein LKW mit Hebebühne mitten ins Allerheiligste Bremens, auf den Rathausvorplatz, und rückt dem Bremer Wahrzeichen Roland auf die Pelle. Kurz danach ist der Roland mit weißem Tuch verhängt, Inschrift: „Bremer Kulturverhängnis“. Der Kulturrat, Vereinigung Bremer Kulturschaffender, hat im Vorfeld von Etatgesprächen zugeschlagen. Erlaubnis: keine. Ende der Aktion: offen. Reaktion irgendeiner Behörde: null.

Am Dienstag, 27.4., wird der Senat die „Eckwerte“ für den Haushalt '94 beschließen. In der Koalitionsvereinbarung war eine Erhöhung des Kulturetats auf 124,9 Millionen Mark beschlossen worden, der Finanzsenator indes bevorzugt eine Größenordnung von 108 Millionen. Das Desaster für die Bremer Kultur ist vorprogrammiert. Jetzt will die hiesige Kulturszene demonstrieren, was es heißt, ohne Kultur zu leben. Gestern wurden neben dem Roland das Forum Langenstraße, die Rückriem-Skulptur am Hillmann-Platz, die Kunsthalle, das KünstlerHaus am Deich, Das Neue Museum Weserburg, der Schlachthof, das Focke Museum und das Junge Theater „verhängt“. Das Gerhard Marcks-Haus verpackte spontan eine eigene Skulptur.

Die Meinungen im Volk gehen auseinander. „Die sollten gleich noch das Rathaus mit verhängen!“ empfiehlt Ortsamtsleiter Hucky Heck, der die Aktion am Roland beobachtet. Ältere BremerInnen verfolgen das Geschehen eher mißmutig: „Ne ne, das ist doch das Wahrzeichen Bremens!“ schimpft ein Mittfünfziger mit Pepita-Hut, „kommen da so ein paar Dahergelaufene und hängen das zu.“ Ein Rentner im Rollstuhl, zur See gefahren: „Bremen hat doch sowieso keine Kultur, von mir aus könnten die da ne Stange Dynamit reinstecken.“ Nur der Fremdenführer versucht, die begeistert knipsenden Touristen ans Programm zu erinnern: „And there you see the cathedral.“

Mitgemacht haben viele. Der Vorsitzende des KünstlerInnen-Berufsverbandes, Hermann Stuzmann, hat eigenhändig mit einem Bindfaden Maß genommen beim Roland, die Theaterwerkstatt hat das Verhängnis- Tuch genäht, ein humpelnder Schauspieler der Schnürschuh- Truppe schreit immerfort „Hinlegen und Sterben, so lautet der Bremer Kulturbefehl.“

Brigitte Seinsoth, Galeristin, leitet die Sektion Bildende Kunst im Kulturrat und ist platt, daß die Aktion so ungestört abläuft - „Ich hatte doch mit Tatü-Tata gerechnet.“ Sporadisch taucht mal eine grüne Dienstmütze auf. Beim Stadtamt ist man noch am Nachmittag nicht informiert, und der zuständige Denkmalschützer Hahn reagiert auf die Frage, ob er tätig wird, besonnen: „Unter den Verhältnissen in Bremen - nein!“ Frühestens nach drei Tagen würde man sich auf die Beine machen.

Und wo ist die Kulturbehörde? Fehlt. Entschuldigt. Wußte nichts von der Aktion. War nicht eingeladen worden. Wird aber, am kommenden Sonntag, auf ungewöhnliche Weise selbst aktiv: In einem Akt „symbolischer Politik“ streicht sie die Volkshochschule in der Schwachhauser Heerstraße an. Ja, Helga Trüpel selbst wird den Pinsel schwingen, Schulter an Schulter mit Senatsrat Opper und angeblich auch VHS- Chef Prof. Schluz. Der Titel der Aktion ist mindestens so tiefsinnig wie „Kulturverhängnis“: Streichaktion. Burkhard Straßmann

Letzte Meldung: Polizei stellt Ultimatum. Bis 20.30 Uhr muß Roland ausgewickelt sein.

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