Röttgens Atompolitik: Vier Nachfragen, viermal keine Antwort
Umweltminister Röttgen vertritt öffentlich eine Atompolitik, die an Rot-Grün erinnert. Doch seine Personalpolitik und Konzepte passen nicht dazu.
Die Worte auf Seite 249 des Buchs "Deutschlands beste Jahre kommen noch" lohnen noch mal gelesen zu werden: Das "Beharren auf dem isolierten nationalen Ausstieg aus der Kernenergie" erscheint "ebenso ignorant wie gefährlich" steht dort. Der Autor: 44, Rheinländer, CDU-Bundesumweltminister - Norbert Röttgen. Das Erscheinungsjahr 2009.
Heute, Februar 2010, viele öffentlich gesprochene Sätze später. Röttgen ruft die Union auf, sich von der Atomkraft abzuwenden. Er legt noch mal nach, spricht davon, dass erst die Atomkraft, dann die Kohlekraft durch Ökoenergien ersetzt werden solle. Und er erklärt, dass Atomkraft die Leitungen für Wind- und Sonnenenergie verstopft und deshalb alles nicht zusammenpasst. Nur: Details, wie er die deutsche Energiepolitik genau gestalten will, nennt er nicht.
Entstehung: 41 Tage nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986 kreierte CDU-Kanzler Helmut Kohl das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Er holte den Frankfurter Oberbürgermeister Walter Wallmann. Zuvor waren Gifte und Müll Sache des Innenministers.
Köpfe: Nach Wallmann kam Klaus Töpfer. Der CDU-Mann sprang in den Rhein, um zu zeigen, dass die Flüsse wieder sauber waren. Öko war aus der Mode, als die heutige Kanzlerin Angela Merkel übernahm. Der Grüne Jürgen Trittin sprach dann von "ökologischer Modernisierung", SPD-Nachfolger Sigmar Gabriel von "ökologischer Industriepolitik". CDU-Mann Norbert Röttgen redet von der "Wahrung der Schöpfung".
Finanzen: Dem Umweltministerium mit knapp 750 Planstellen stehen 2009 insgesamt 1,4 Milliarden Euro zur Verfügung. Umweltausgaben des Bundes insgesamt: 8,3 Milliarden Euro. (hg)
Wer in diesen Tagen nachfragt, hört über den Mann: Er ist ein "Stratege", er ist ein "Schummler", er ist ein "Ausnahme-Intellektueller", er ist ein "Ahnungsloser", er ist ein "Mann der Umwelt", er ist ein "Mann der Wirtschaft". Röttgen ist in diesen Tagen gefragt. Erstaunlicherweise nimmt ihm fast keiner übel, dass er viel im Dunkeln lässt.
Das Audimax in der Berliner Humboldt-Universität ist letzte Woche voll, als er - Lausbubengesicht, ergrautes Haar, adretter schwarzer Anzug - spricht zur Frage "Was bedeutet Fortschritt heute?" Man ahnt, dass er es genießt, in dem altehrwürdigen Gebäude seinen gut einstündigen Vortrag zu halten. Er ist obenauf derzeit. Fortschritt sei "Zukunftsverantwortung", sagt er. Die Menschen seien in der "unentrinnbaren Verantwortung", heute "Entscheidungen mit irreversiblen Konsequenzen" zu treffen. Es ist eine für ihn typische Rede. Er mag es groß, er mag es staatsmännisch. Der Saal ist still, das Publikum hört ihm zu.
Röttgen freut sich, "grundsätzlicher" werden zu dürfen - und flicht Sätze wie: "Es ist gut, ein Brot zu vererben, es ist besser, das Saatkorn weiterzugeben, das den Broterwerb ermöglicht." Oder: "Ökonomie und Ökologie sind zwei Seiten einer Medaille."
Er sagt, dass er bis zum Jahre "2050 nahezu 100 erneuerbare Energien", die "Hebung von Energieeffizienzpotenzialen" und "Atomkraft als Brückentechnologie" will. Gerade mal ein Student ruft an dieser Stelle "Buh". Acht andere halten je ein Schild hoch - "A"-"U"-"S"-"S"-"T"-"I"-"E"-"G". Röttgen ignoriert den leisen Protest, geht mit keinem Wort darauf ein. Muss er auch nicht.
Er gilt draußen mittlerweile als der Grüne in der Union, als der Atomkritiker in seiner Partei - und damit als der Modernisierer. Was will er mehr? Kaum jemand sieht Röttgen so wie Jochen Stay von der Anti-Atom-Initiative Ausgestrahlt - als einen, der die Reaktoren länger als bisher geplant am Netz lassen will. Stay sagt: "Mit Röttgen kommen noch mal acht Jahre Laufzeit drauf." Das könne die Betreiber freuen. Denn diese Fristen könnten immer wieder verhandelt und verlängert werden.
Röttgens Aussagen sind nicht so eindeutig gegen Atomkraft. Zwar hat er für alle Meiler ein Verfallsdatum genannt: "Die Kernkraftwerke sind auf 40 Jahre ausgelegt." Aber was hat er damit genau gemeint? Rot-Grün hat einst die Laufzeiten auf 32 Jahre beschränkt, legte dabei allerdings die Strommengen zugrunde, die im Schnitt pro Jahr in einem Atomkraftwerk produziert werden, plus einen satten Aufschlag. Drosseln die Betreiber nun die Produktion oder fahren sie zwischenzeitlich ganz runter, verlängert sich die Laufzeit. Die Folge: Der hessische RWE-Meiler Biblis A ist 35 Jahre alt und immer noch nicht stillgelegt. Es macht also einen erheblichen Unterschied, ob Röttgen nun das tatsächliche Alter oder die produzierte Strommenge zugrunde legen will. Viermal Nachfrage im Ministerium: "Was will der Minister genau?" - Viermal keine Antwort. Das Ministerium ist eine Black Box.
Das zeigt auch eine weitere Aussage Röttgens. Denn Röttgen bezeichnet sich als "Einstiegsminister" in erneuerbare Energien und erklärt, Atomkraft sei überflüssig, sobald die erneuerbaren Energien 40 Prozent des Stroms liefern. Nach Berechnungen aus seinem eigenen Haus können schon 2020 rund 36 Prozent erreicht werden. Die Ökoenergie-Branche ist sogar noch optimistischer. Anders gesagt: Röttgen könnte beim rot-grünen Ausstiegsszenario bleiben - oder den Ausstieg sogar beschleunigen.
Vor den Studierenden der Humboldt-Universität nennt Röttgen aber nur die Szenarien des Bundesverbands der Deutschen Industrie und des Wirtschaftsministeriums. Danach brauchen die Öko-Energien bis zu zehn Jahre mehr Zeit. Die Daten der eigenen Mitarbeiter unterschlägt der selbst ernannte "Einstiegsminister". Er legt sich nicht genau fest. Er sagt, dass die Stromnetze ausgebaut werden müssen für Wind- und Sonnenenergie. Nur wie - das sagt er nicht. Röttgen legt sich nicht weiter fest.
28. Januar 2010. Das von der Energiewirtschaft finanzierte Informationszentrum klimafreundliches Kohlekraftwerk macht in Berlin den Kongress "Klimaschutz braucht CO2-Speicherung". Stromkonzerne wie Vattenfall wollen das Treibhausgas Kohlendioxid, das sie beim Verbrennen von Kohle produzieren, einfangen und in der Erde versenken. Sie wollen dafür ein Gesetz und Planungssicherheit. Die Technik, die Experten Carbon Capture and Storage, kurz CCS, nennen, ist umstritten. Röttgen war als Redner geladen. Er sagte ab, fühlte sich nicht sprechfähig, er hat sich noch keine Meinung gebildet.
Röttgen muss sich freilich wie jeder neue Minister Rat holen. Der einstige Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion ist unbeleckt von Ökologie ins Amt gekommen. Vor einiger Zeit wollte er mal Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie und damit oberster Wirtschaftslobbyist des Landes werden. Auf den Rat seiner Beamten, die sich schon länger mit CCS beschäftigen, will sich der promovierte Jurist nicht so einfach verlassen.
Röttgen lässt sich nicht von jedem beraten - und auch nicht befragen: Am Pressegespräch, bei dem der Umweltminister seine umstrittenen Pläne zur Kappung der Solarförderung vorstellen wollte, durfte das Solarmagazin Photon erst teilnehmen, nachdem der Verlag mit einer einstweiligen Verfügung gedroht hatte. Röttgen gilt als misstrauisch.
So baut er auch sein Ministerium rigoros um. Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein neuer Minister entscheidende Positionen neu besetzt, wenn er glaubt, die alte Truppe handele nicht in seinem Sinne. Also musste kurz nach Röttgens Amtsantritt der bisherige Leiter der Atomaufsicht, Wolfgang Renneberg, seinen Posten räumen - für den früheren Atomlobbyisten Gerald Hennenhöfer.
Zudem setzte Röttgen ausgewiesene Ökoenergie-Fachleute um, die dafür gesorgt haben, dass die Bundesrepublik derzeit weltweit vorne ist, etwa bei der Windkraft. Mancher von ihnen freut sich, mal ein neues Feld beackern zu dürfen. Das ist die Mitarbeitersicht. Aus Chefsicht aber ist das weniger gut - Expertise geht verloren. Eine Anfrage im Ministerium soll das Problem klären - kein Rückruf. Röttgens Presseleute mauern, bei vielen Journalisten.
Dabei gäbe es einiges zu klären. Röttgens Umbau lässt einen zweifeln, dass er Atomausstieg und Ökoeinstieg wichtig nimmt. Und dass er, dem nicht erst seit seinem atomkritischen Kurs ein Faible für Schwarz-Grün nachgesagt wird, mit Grünen gerne eng zusammenarbeitet. Die Männer, die er versetzt hat, haben alle ein grünes Parteibuch. Er entmachtet darüber hinaus eine grüne Abteilungsleiterin und zieht viele der Bereiche, die sie bisher betreut hat, an sich: Röttgen verstärkt seinen Leitungsstab enorm, indem er die Öffentlichkeitsarbeit, die Bürgerkommunikation, die Projektförderung der Verbände und die Grundsatzfragen der Umweltpolitik in die Chefetage holt.
Röttgen verlässt sich nur auf wenige - etwa auf Gertrud Sahler. Sahler, CDU-Mitglied, leitet Röttgens Büro. Sie war schon Angela Merkels Pressesprecherin, als diese noch nicht Bundeskanzlerin war, sondern Chefin des Umweltressorts. Sahler kennt das Ministerium und ist bis heute gut vernetzt ins Kanzleramt. Es geht Röttgen weniger um Fachwissen, sondern mehr um alte Kontakte.
Zum beamteten Staatssekretär - und damit zur Nummer zwei im Ministerium - machte er zum Beispiel Jürgen Becker, der zuvor Unterabteilungsleiter für soziales Entschädigungsrecht im Bundesarbeitsministerium war. Ein Verwaltungsmensch, der aus Röttgens Heimat kommt. Von ihm erwartet kaum jemand die große Idee, ein neues Konzept wie die "ökologische Industriepolitik", die einst Matthias Machnig für Sigmar Gabriel ersann, um Ökologie sozialdemokratisch zu übersetzen.
Röttgen gilt als Vordenker der Union. Und er will noch "was werden" in der Partei, heißt es. Er profiliert sich nun mit der Atomenergie - auch wenn Klaus Töpfer, der Senior unter den Umweltpolitikern der Union schon Ende der achtziger Jahre "eine Zukunft ohne Kernenergie" gefordert hat. Gut jeder zweite Deutsche meint das auch. Röttgen sagt aber nicht, ob er alte Meiler wie Biblis A oder Neckarwestheim abschalten will. Er sagt, darum gehe es ihm nicht. Sein Auftrag sei, "an einem energiepolitischen Gesamtkonzept mitzuarbeiten" - zusammen mit seinem Kollegen Rainer Brüderle, dem FDP-Wirtschaftsminister. Das Energiekonzept 2050 soll im Oktober fertiggestellt sein.
Dann muss Röttgen Widersprüche klären und Details nennen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles