Römisches Milchbrötchen: Die Vorsehung liegt in der Schlagsahne
Süßes Gebäck in Rom kann Unfälle verursachen. Früher diente es eher der Eheanbahnung. Das „Maritozzo“ ist vielseitig.
V or einigen Monaten verursachte ich den ersten und einzigen Autounfall meines Lebens. Es war ein Vormittag am Bahnhof von Trastevere, ich hatte gerade eine Freundin abgeholt und ihr eben noch stolz erklärt, wie hervorragend ich mittlerweile mit dem römischen Verkehr zurechtkäme, als das Auto mit dem ersten Tritt auf das Pedal einen Satz nach hinten machte, es laut knallte und wir zum Stehen kamen.
Statt aus der Parklücke heraus war ich geradewegs in ein quer hinter mir parkendes Auto gefahren, dummerweise eines der Carabinieri, der Polizei. Als diese mich überraschend freundlich und unerklärlich amüsiert fragten, ob ich sie denn nicht gesehen habe, musste ich leider gestehen, dass meine Aufmerksamkeit in diesem Moment woanders gewesen war. Nicht bei meiner Freundin und unserem Gespräch, nicht bei der Freude über ihr Kommen, sondern bei einem Gebäck, dessen weiße Cremefüllung nun in meinem halben Gesicht verteilt war: einem Maritozzo.
Das Maritozzo ist eine sehr simple, leicht skurrile, aber umso interessantere Erfindung der römischen Küche. Angeblich isst man es im Lazio schon seit der Antike. Es besteht aus einer Brioche, einem kleinen Milchbrötchen, und viel geschlagener Sahne. Wer ein bisschen Zeit zu verlieren hat, sollte sich eines Morgens auf den Weg machen, zu Roscioli unweit des Campo di Fiori, zu Regoliin Esquilino oder dem Tempel des Maritozzo, Il Maritozzaro, in der Via Ettore Rolli, in dem seit 1960 vor den Augen der Kundschaft ein Maritozzo nach dem anderen gefüllt wird.
Der Zubereitung beizuwohnen hat etwas höchst Meditatives: Die Bäcker schneiden die länglichen Brioche-Brote dafür mit einem gekonnten Schnitt in der Mitte durch, tauchen mit einem großen Löffel in einen Sahnetopf und verteilen die flauschig weiße Creme mit langsamen Bewegungen in der Spalte. Sie gleiten mit dem Löffel mehrmals hin und her, bis sich ein kleiner, an den Seiten sehr glatter und im Zentrum zu einer Art schneebedecktem Kamm kulminierender Berg formt.
Brot mit Sahne
Das Ergebnis ist, zugegeben, mehr hübsch als köstlich, Brot mit Sahne gibt geschmacklich, wie man sich vielleicht vorstellen kann, nur bedingt viel her. Und doch kommt man um das Maritozzo in Rom kaum herum. Es ist dem Gebäck ein bisschen das, was die Carbonara der Pasta ist.
Vielleicht liegt die Beliebtheit dieses einfachen dolce, das man zu jeder Tageszeit verspeisen kann, auch an seiner Geschichte. In der Antike wurden Maritozzi, damals noch in Form von Brot gemischt mit Honig und Rosinen, von Frauen angefertigt, damit die Männer sich Nachmittags, nach einem Tag auf dem Feld, mit etwas Süßem stärken können.
Im Mittelalter war es während der Fastenzeit wohl das einzige Gebäck, das man guten Gewissens essen durfte, was ihm auch den sympathischen Spitznamen „Santo Maritozzo“, heiliger Maritozzo, einbrachte.
Der Ring in der Sahne
Im 19. Jahrhundert, so heißt es, fügte man der Tradition der sündenfreien Zwischenmahlzeit noch eine romantische Konnotation hinzu: Der Legende nach kommt der Name Maritozzo von „marito“, also Ehemann. Junge Männer brachten ihren Angebeteten im Moment des Antrags keine Blumen oder Pralinen, sondern eines dieser gefüllten Brote. Der Ring, und damit die Frage „Willst du?“, lag meist in der Sahne versteckt. Wer sich daran nicht vor Schreck verschluckte, durfte sich, so will man hoffen, freuen.
Mittlerweile wird diese Version des Antrags eher selten praktiziert, dafür gibt es in Rom aber einen speziellen „Maritozzo Day“: Am ersten Samstag im Dezember wird in der gesamten Stadt das Gebäck in all seinen Formen zelebriert. Probieren Sie es, nur am besten an einem Tisch sitzend, an einer Theke stehend oder in einem Park. Überall, nur nicht am Steuer eines Mietwagens.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku