Rodeln in Vancouver: Die deutsche Disziplin

Die deutschen Rodlerinnen machen die meisten Wettkämpfe unter sich aus. Auch in Whistler wird mit ihrer Dominanz gerechnet. Kein Wunder – nur Deutschland leistet sich vier Kunsteisbahnen.

Deutsche Frauen dominieren seit Jahren: Silke Kraushaar 2008 in Oberhof. Bild: ap

VANCOUVER taz | Schnell werden die Schlittenfahrer sein, sehr schnell sogar. Die Eisrinne am Fitzsimmons Creek in Whistler gilt als halsbrecherische Bahn. Der Geschwindigkeitsrekord liegt bei 153,98 Kilometern pro Stunde. Ein Deutscher hat die Bestmarke aufgestellt, Felix Loch aus Bayern. Ein Deutscher hat auch die 72 Millionen Euro teure Bahn in den Bergen der Rocky Mountains gebaut: Udo Gurgel aus Leipzig. Deutsche Rodler werden hier in den kommenden Tagen olympische Medaillen gewinnen. Kurzum: Rodeln ist eine sehr deutsche Angelegenheit, vor allem bei den zu Tal fahrenden Frauen.

"Die Damen siegen ihre Disziplin noch zu Tode", hat der Hackl-Schorsch einmal gesagt. Und so unrecht hat er nicht. Im Weltcup sind sie seit über zwölf Jahren ungeschlagen. Nicht selten belegen sie die Plätze eins, zwei und drei. Die Konkurrenz rodelt hinterher und ist wie die US-Pilotinnen der Meinung, die wahre Siegerin sei die Bestplatzierte hinter den Deutschen. "Wir sind geballt und dominant vorn", sagt Silke Kraushaar, Olympiasiegerin von Nagano, "wir haben uns ganz klar von der Spitze abgesetzt." Die letzte Olympiasiegerin, die nicht in Bayern, Thüringen oder Sachsen trainierte, hieß Gerda Weißensteiner; die Italienerin gewann vor 16 Jahren in Lillehammer. Die Suprematie der deutschen Rodlerinnen ist ohne Beispiel.

Nur die Bilanz bei Weltmeisterschaften weist eine erstaunliche Auffälligkeit auf. Da gibt es doch in der jüngeren WM-Geschichte tatsächlich eine Weltmeisterin, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. 2009 gewann die US-Amerikanerin Erin Hamlin die Titelkämpfe in Lake Placid. Es war eine kleine Sensation für den Rodelsport, der nach Abwechslung gierte. Für die so sieggewohnte Streitmacht des Deutschen Bob- und Schlittenverbandes war es ein bedauerlicher Betriebsunfall, mehr nicht.

Die Agentur dpa schrieb damals dennoch von einem "schwarzen Tag für deutsche Rodel-Frauen", als sei ein zweiter Platz von Natalie Geisenberger eine Katastrophe und als könnten nicht auch mal andere vorn sein. Anderswo sah mans weniger tragisch. Die eher spaßfreie FAZ versuchte es mit einer Satire: "Ja, es ist wahr, der Abschwung hat einen neuen Tiefpunkt erreicht, einer der Eckpfeiler von Stolz und Identität der Nation ist weggebrochen, einfach so, auf einer Bobbahn in Lake Placid in den Vereinigten Staaten." Und weiter: "Es ist, als hätten die deutschen Dressurreiter versagt, die deutschen Minigolfer, es ist, als wären die Engländer im Darts besiegt, die Iren im Hurling, die Schweizer im Schwingen."

Das Abonnement der Deutschen auf den Sieg war aber keineswegs abgelaufen, weit gefehlt, eine neue Siegesserie wurde gestartet. Das war gut für die Medaillenzähler des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), aber schlecht für Rodelfans in aller Welt. Zu berechenbar sind die Rennen. Den Moment der Überraschung, der Wettkämpfen die Würze gibt, im Rodelsport der Frauen gibt es ihn kaum. Das Einerlei des Erfolgs ist mittlerweile zu einem Problem für die Rodlerinnen geworden. Wegen der Flut vorderer Plätze werden ihre Höchstleistungen kaum mehr anerkannt.

"Für den Sport wäre es schon schöner, wenn es sich auf dem Podium ein bisschen mehr mischen würde", gibt Kraushaar zu, die für den Rodelverband arbeitet. "Aber was sollen wir machen? Absichtlich schlecht fahren?" Vielleicht sollte der internationale Verband ein Handicap für die Deutschen erfinden: mehr Gewicht, stumpfe Kufen, weniger Anlauf. Nichts dergleichen wird passieren, auch wenn sich in der Siegesserie die ganze Absurdität einer hoch subventionierten Wintersportdisziplin zeigt.

Gerodelt wird gemeinhin nur auf der Nordhalbkugel in ein paar reichen Ländern. Deutschland leistet sich den Luxus von vier Eisbahnen; in Altenberg, Oberhof, Königssee und Winterberg steht eine, weltweit gibt es 16. Jährlich entstehen allein für den Unterhalt der deutschen Bahnen Kosten von fast 2 Millionen Euro. Der Wettbewerb ist zusätzlich verzerrt durch die Sportförderung von Bundeswehr und Polizei, die ihre Sportsoldaten und Sportpolizisten meist komplett freistellen. "Das ist super", findet Kraushaar. "Wir können uns echt komplex auf die Sache konzentrieren."

Früher, da sei eine Doris Neuner aus Österreich auch mal vorn gewesen, obwohl sie einen normalen Bürojob hatte, "aber das ist heute unmöglich", weiß Kraushaar. Die Deutschen müssen in keinem Büro rackern, sie sind nur ihrem Sport verpflichtet. Sie können sich, wie Tatjana Hüfner, die Favoritin im olympischen Rennen am Montag und Dienstag, der taz verrät, voll und ganz darum kümmern, "wie das Eisprofil in Whistler steht" und "wo die Lenkpunkte sind". Bestens versorgt mit technisch hochgerüsteten Geräten, die passen "wie eine zweite Haut", präpariere man "den Schlitten in die richtige Richtung", sagt Tatjana Hüfner. Die Richtung ist klar. Sie weist schnurgerade aufs Siegerpodest.

Ob nun Hüfner oben steht oder Geisenberger oder Anke Wischnewski, ist ungewiss, aber normalerweise dürfte sich nur das deutsche Triumvirat ums Edelmetall in der 1.198 Meter langen Bahn des Herrn Gurgel balgen. Oder sollte doch das Unglaubliche passieren und Hamlin oder eine andere Athletin die Deutschen Meisterschaften von Whistler stören? "Die Kanadierinnen haben in diesem Jahr einen großen Schritt nach vorne gemacht", sagt Tatjana Hüfner mit tiefer Stimme. Ja, vielleicht ist mit den Kanadierinnen zu rechnen. Sie werden von drei deutschen Trainern betreut.

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