Rocker im Westen und im Osten: Kontinentaler Schwanzvergleich
Die „Nachtwölfe“ aus Russland kommen, um es den Vollschwuchteln in „Gayropa“ mal richtig zu besorgen. Sie können viel von den Amerikanern lernen.
Überall ist von einem neuen Kalten Krieg die Rede, der auch eine kulturelle Auseinandersetzung des starken, männlichen Putin-Russlands mit dem verweichlichten, weibischen Westen sei. Was ist nur aus der wilden westlichen Rockerkultur geworden, dem ungeschliffenen Kult um frisch gezapften Männerschweiß, brünftige Motoren und noch nicht vegane Lederkluften?
Früher waren die motorradfahrenden Herren der Schrecken der bürgerlichen Gesellschaft. Wer erinnerte sich nicht schaudernd an Torfrock, Peter Struck und Klaus Lage? Allein das Wort „Deutsch-Rocker“ genügte, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Doch dann kamen die Deutsch-Poeten, und die Rocker traten zunehmend nur noch als Zuhälter, Spielothekenbetreiber und Drogenhändler auf. Normale Geschäftsleute aus der Mitte der Gesellschaft. Jeder Sparkassenfilialleiter hat ein größeres Bedrohungspotenzial. Konsequent, dass jetzt die „Nachtwölfe“ aus dem fernen Russland heranknatterten, um es den Vollschwuchteln in „Gayropa“ mal so richtig zu besorgen.
Mit beachtlichem Erfolg: Ganz Deutschland erzitterte vor den „Putin-Rockern“, die Medien überboten sich in Schauergeschichten von den wilden Männern, die mit dem Motorrad die Route der Roten Armee auf ihrem Feldzug gegen Nazi-Deutschland nachzeichnen wollten. Und die am Ziel dann vor gar nichts zurückschreckten, wie die Bild berichtet: „Sie legten rote Nelken im Deutsch-Russischen Museum in Karlshorst nieder. Die Rocker knieten in Reihe vor einem Gedenkstein nieder. Anschließend besuchten das Museum. Skurrile Gedenkaktion an das Kriegsende!“
Allerdings! Niederknien vor einem Gedenkstein, rote Nelken ablegen und eine Ausstellung besuchen – da haben die harten Jungs es dem Westen aber mal so richtig gezeigt. Und das trotz erbitterten Widerstands. Ein Nachtwolf beklagte, „dass die polnischen Grenzbeamten ihr Reisegepäck untersucht hätten – darunter auch ihre „Kosmetiktaschen“. Voll gemein! So geht man nicht mit echten russischen Rockern um.
![](https://taz.de/picture/428037/14/Waco_Police_Department_dpa.jpg)
Weil ihnen die Einreise nach Deutschland verboten wurde, hauten sie richtig auf den Putz und reichten rockermäßig Klage ein. Das Verwaltungsgericht Berlin gab ihnen recht. Es gebe „keine Anhaltspunkte“ dafür, dass sie eine „Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellen“. Was für ein Debakel! Von einem deutschen Verwaltungsgericht bestätigt zu bekommen, dass man keine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt – eine tiefere Demütigung ist nicht denkbar.
Ganz anders die West-Rocker in Waco/Texas an diesem Wochenende. Da wird noch geballert und geprügelt, bis das Blut spritzt. Auslöser war, so berichtet der Waco-Tribune, eine Auseinandersetzung zwischen den Mitgliedern verfeindeter Banden im Toilettenraum eines Restaurants.
Man kann es sich lebhaft vorstellen, wie da zwei Lederkuttenträger am Pissoir stehen und sich streiten. Klassische Schwanzvergleichssituation. Da wird wohl einer eine falsche (beziehungsweise zutreffende) Bemerkung gemacht haben. Das sind wenigstens noch ordentliche Anlässe, nichts mit Gedenkaktion und Kriegsende. Resultat: Auf dem Parkplatz des Ladens bekriegen sich 200 Rocker, erst untereinander, dann alle gegen die Cops. Am Ende stehen neun Tote und zahlreiche Verletzte. So, ihr Russen-Rocker! Die Runde ging ja wohl klar an uns! Nehmt eure Kosmetiktäschchen und fahrt zurück zu Onkel Putin. Sonst schicken wir euch am Ende noch unseren Werner an den Hals! Beinhart!
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Gerichtsentscheidung zu Birkenstock
Streit um die Sandale