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Rock als Gesamtkunstwerk

Rock'n'Roll lebt wie lange nicht mehr: Andrew W.K. und Black Rebel Motorcycle Club bilden den Auftakt einer Lederjacken-Jeans-Welle auf hiesigen Bühnen  ■ Von Volker Peschel

Er ist 1,90 Meter groß, trägt gerne weiße, dreckige Kleidung, hat lange schwarze Haare und – wie man sagt – unwiderstehlich schöne Augenbrauen. Würde er sich seine Mähne waschen, könnte Andrew W.K. auch als Armani-Model stolzieren. Macht er aber nicht, sondern lässt sich auf dem Cover seines ersten Albums I Get Wet mit blutender Nase fotografieren. Dabei hatte seine Bio so beschaulich angefangen: Geboren in Kalifornien, wuchs er mittelständisch in Michigan auf. Sein Vater Geschäftsmann und heute Profi-Golfer – wie Andrews jüngerer Bruder. Andrew lernte Klavier spielen und zog als 18-Jähriger nach New York, lebte in der Bronx von verschiedenen Jobs wie dem Verkauf von Kaugummi-Automaten. Bis seine musikalischen Triebe zu gären begannen, und er anfing Konzerte zu spielen. Ein erstes Demo geriet, mit besagtem Nasen-Blut-Foto, in die Hände von Dave Grohl, bekannt als Foo Fighters-Sänger und vormaliger Nirvana-Trommler. Es sei das „sexiest picture of a man“, das er je gesehen habe, verkündet der entrückt, „ikonenhaft!“ Der New Musical Express, Englands selbstverliebte Musikbibel, adoptierte Andrew, erklärte ihn zum Darling und ließ ihn vom Cover grinsen. Als Headliner führte er eine Festivaltour zum 50. des Blattes durch England an. Das alles ohne ein fertiges Album.

Und er erwies sich als Schlagzeilen-Garantie. Während eines Interviews schnitt er sich mit einem Messer quer über die Stirn, um dann mit frischen Stigmata für Fotos zu posieren. Anstoß erregte dann auch das Album, das im letzten Herbst in England und am 24. Dezember in Deutschland erschien. Sein Gesicht könne Kinder und verletzliche Personen ängstigen, klagten offizielle Stellen. Außerdem könne man vermuten, der Sänger habe Kokain genommen, weil seine Nase blutet.

Währenddessen ist der befremdet bis fasziniert beäugte Hüne zum Selbstläufer geworden: Promis lieben ihn und tummeln sich auf seinen New York-Gigs. Und auch die Kritiker erfreuen sich am spektakulären Treiben, grübelnd, ob er denn nun eine Sensation sei, ein Rock'n'Roll-Erneuerer oder schlicht das Dümmste und Dreisteste, was es seit Jahren zu hören gab. Um Leidenschaft geht es ihm, erzählt er gerne, um ehrliches Handwerk und darum, mit ganzer Energie sich der Musik hinzugeben. Und natürlich auch mit ganzem Körper: Der blutet schon mal nach Liveauftritten, schließlich heißen Andrews Lieder zum Beispiel „Party Hard“. Manchmal wird er direkt nach dem Gig ins Krankenhaus gefahren. Hingabe halt. Feiern, sich entfalten, nein austoben, eigene Grenzen ausloten; sich selbst als einziges Hindernis erkennen, die Welt erforschen: alles Vokabeln aus seinen Interviews. Ein Gesamtbild seines Schaffes setzt sich zusammen.

Doch was geht wirklich bei Andrew W.K.? Erneuern dürfte er gar nichts. Er klaut sich seinen Rock zusammen, und schon fast frech ist, wie er die Summe all dieser Rockbeiträge von jeglichem Ballast befreit und das Extrakt hinausschreit: „Party 'til You Puke“. Konfrontation ist der Beitrag, den er eigentlich leistet. Die Art, wie er der Welt seine Überzeugung ins Gesicht schmettert. Rock als Gesamtkunstwerk. Als Angebot, jeden mitzunehmen, der es nur ernst genug meint: zur Feier des Lebens, des Hier und Jetzt. Was für ein unmoralisches Angebot.

Dabei ist Andrew W.K. erst der Vorbote einer neuen alten Erlösung namens Rock'n'Roll. Eine ganze Jeanshosen-Lederjacken-Fraktion setzt derzeit zum Sprung an. The Strokes, die zuhause in New York bereits nicht mehr wirklich hip sind, dafür in Europa im Vorfeld ausverkaufte Häuser bespielen, hatten die Welle im Spätsommer des letzten Jahres im großen Stil losgetreten. Seitdem taumelt die Branche vor lauter Glück. Unzählige Male bereits wurde 2002 zum ganz großen Jahr der Erfüllungen ausgerufen. Begierig freut man sich über die jungen Wilden, die ganz ehrlich in irgendwelchen versifften Liveclubs entdeckt werden. Und innerhalb von Tagen Messiasse sind.

Da gibt es The Parkinsons, die angeblich aus den Hinterhöfen von Lissabon stammen. Gut „wie die frühen Manic Street Preachers“ seien sie, jubiliert die Presse, und sie scheinen zur abgefuckten Antwort auf die Strokes geraten zu wollen, deren smarter Justin Casablancas derweil Cocktails mit US-Promis schlürft.

Dann sind da die Are Weapons, die mit ihrem eigentümlichen Art-Punk Aufsehen erregen. Vollmundig treten sie einen Thronfolger-Streit los, der das Strokes-White Stripes-Doppel, immerhin auch gerade mal ein halbes Jahr auf dem Parkett, wie Dinosaurier erscheinen lässt – als die Oasis und Blur des Nu-Rock'n'Roll sozusagen. „Whatever Happened To Our Rock'n'Roll?“, fragt derweil – neben Thomas Gottschalk – der Black Rebel Motorcycle Club, drei Bengels aus San Francisco. Highschool-Freunde, die Verweigerung auf hohem Niveau pflegen. Und sechsstellige Dollar-Angebote einer Autofirma ausschlugen, die einen ihrer Songs für Werbespots einsetzen wollte. Oder nur in kleinen Clubs auftreten möchten, wie jetzt im hiesigen Logo.

Was soll also noch kommen? Hype im besten Sinne, viel großspurige Musik zum Entdecken. Und mit Andrew W.K. der erste der Messiasse, der Deutschland betritt. Der Rest folgt demnächst. Aber was wird sich Andrew schon für Konkurrenz interessieren – als selbst inthronisierter Partykönig. Beim einzigen Deutschland-Gig in Hamburg.

Andrew W.K. : Donnerstag, 21 Uhr, Schlachthof; Black Rebel Motorcycle Club : Sonnabend, 15.30, Rekord (Schanzenstr. 46), 21 Uhr, Logo;

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