Robert Habeck über Tschernobyl: Der Sommernachts-Alptraum
Schleswig-Holsteins Energieminister Robert Habeck (Grüne) spricht über die Erinnerungen eines 16-Jährigen, den Abriss von AKW, die Suche nach einem Endlager und das Fliegen ohne Landebahn.
taz: Herr Habeck, als Tschernobyl explodierte, waren Sie 16. Haben Sie Erinnerungen daran?
Robert Habeck: Wir haben damals in der Schule Shakespeares "Sommernachtstraum" aufgeführt. Nach der Vorstellung tröpfelte es ein bisschen, und alle Leute hatten Angst und schützen sich mit allem, was sie hatten, Jacken und Plastiktüten, um nichts vom radioaktiven Regen abzubekommen. Ich war damals unendlich verliebt, aber in dem Moment war ich sicher, dass ich niemals glücklich mit jemandem leben und niemals Vater werden würde, weil wir jetzt alle sterben müssten. Es war echt ein gespenstischer Abend.
Es folgte ein Sommer, in dem kaum jemand ungeschützt ins Freie ging oder an den Strand, und das hier an der Ostsee.
Die Spielplätze waren verwaist, Kinder durften nicht am Strand spielen. An leere Gemüseregale im Supermarkt kann ich mich auch erinnern. Es waren Wochen, die mich politisch stark geprägt haben, natürlich vor allem in meiner Ablehnung der Atomenergie. Seitdem denke ich, dass nicht alles, was technisch machbar ist, auch beherrschbar ist. Moderne Gesellschaften brauchen solch eine Grundskepsis.
45, ist verheiratet und hat vier Söhne. Er ist promovierter Philosoph, Schriftsteller und Politiker. Von 2004 bis 2009 war er Landesvorsitzender der Grünen in Schleswig-Holstein, danach Fraktionschef im Landtag. Seit 2012 ist er Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume.
Noch heute sind in Süd- und Ostdeutschland Pilze, Beeren und viele Wildtiere hoch belastet. In Sachsen wurden 2013 fast die Hälfte der erlegten Wildschweine - 297 von 752 Tieren - in Sondermüllanlagen verbrannt, weil das Fleisch kontaminiert war.
Das deutet an, in welchen Zeiträumen wir denken müssen. Tschernobyl ist schon 29 Jahre her - oder besser: erst 29 Jahre? - und die Folgen sind noch immer so akut, die Gefahren gegenwärtig. Und in der Endlagersuchkommission suchen wir nach Wegen für eine sichere Lagerung für eine Million Jahre.
Die Konsequenzen wurden aber nicht damals gezogen, sondern erst vor vier Jahren nach Fukushima. Warum so spät?
Das würde ich so nicht stehen lassen. Wir hatten ja bereits im Jahr 2000 unter der rot-grünen Bundesregierung den Atomausstieg beschlossen, das wird gerne verdrängt. Nur für wenige Monate hatte Frau Merkel ihn ausgesetzt, um dann nach Fukushima plötzlich die Energiewende auszurufen. Aber es gab schon vorher eine politische Mehrheit für den Atomausstieg. Nur an der Umsetzung haperte es lange gewaltig.
Aber Fukushima bewies, dass auch in vermeintlich sicheren Atommeilern ein GAU - der größte anzunehmende Unfall - passieren kann, nicht nur in den angeblichen Schrottreaktoren in Osteuropa.
Alles, was Menschen bauen, kann kaputt gehen oder zerstört werden. Schneller und krasser ist selten ein politischer Irrtum korrigiert worden. Ich glaube allerdings, das ist weniger einer neuen Einsicht von Frau Merkel, als vielmehr ihrem Gespür für drohende politische Niederlagen geschuldet. Frau Merkel wäre heute nicht mehr im Amt, wenn sie nach Fukushima nicht eingelenkt hätte.
Sie haben die Atomaufsicht über das AKW Brokdorf, das noch bis Ende 2021 in Betrieb sein soll. Ist es möglich, das früher abzuschalten?
Hoffnung gibt es. Die Energiewende macht Atomkraft zu einer immer teureren Art der Stromgewinnung. Möglicherweise rechnet sich Brokdorf in absehbarer Zeit für den Betreiber nicht mehr. Zweitens sind meiner Meinung nach die Sicherheitsanforderungen, die das Oberverwaltungsgericht Schleswig für das Zwischenlager Brunsbüttel genannt hat, an alle Zwischenlager und AKW anzulegen. Auch an Brokdorf.
Das entspricht der Forderung von Greenpeace, dem AKW Brokdorf die Betriebsgenehmigung zu entziehen, weil es vor terroristischen Angriffen nicht sicher sei. Werden Sie das tun?
Wenn es so einfach wäre. Wir prüfen das intensiv, aber die rechtlichen Hürden sind extrem hoch. Im Zweifel wäre der Betreiber dann berechtigt, wegen Einnahmeausfalls vom Staat Schadensersatz zu verlangen.
Die Initiative Brokdorf-akut hat in dieser Woche eine Sammeleinwendung von 840 BürgerInnen gegen den geplanten Abriss des Atommeilers Brunsbüttel vorgelegt. Wie gehen Sie damit um?
Die Einwendungen richten sich nicht gegen den Abriss, sondern plädieren für höhere Sicherheiten beim Abriss. Mein politischer Wille ist, das Kapitel Atomkraft bei uns zu beenden. Und dazu gehört, den Meiler Brunsbüttel abzureißen - und Krümmel und Brokdorf ebenfalls möglichst rasch. Aber genauso klar ist, dass man den Rückbau so sorgfältig und gut wie möglich planen und durchführen muss. Dafür werden wir alle Einwendungen intensiv prüfen.
Die Einwender argumentieren, die vom Betreiber Vattenfall vorgelegte Planung für den Rückbau sei "voller unnötiger Belastungen für Mitarbeiter, Anwohner und Umwelt". Der Konzern wolle "möglichst viel Deponieraum zu sparen und dafür Menschen und Natur als Billigdeponie zu missbrauchen". Finden Sie das nachvollziehbar?
Der Rückbau ist ein Riesenprojekt und löst natürlich Sorgen aus. Wir und auch Sachverständige schauen uns die inhaltlichen Punkte der Einwendungen genau an und beziehen sie in unsere Bewertung ein. Es gibt keinen Automatismus, dass genau das genehmigt wird, was beantragt ist. Das sind zwei paar Schuhe. Aber dass der Meiler weg muss, steht für mich außer Frage.
Und wohin mit den Brennstäben aus den Reaktoren? Das Bundesverwaltungsgericht hat das Zwischenlager am AKW Brunsbüttel für rechtswidrig erklärt. Da dürfen Sie nichts mehr unterbringen.
Die Brennstäbe müssen für den Rückbau raus aus dem Reaktordruckbehälter in Brunsbüttel, das hat für mich hohe Priorität. Als relativ sicherster Lagerort kommt das Zwischenlager Brokdorf in Frage. Wenn wir einen zügigen Rückbau wollen, dürfte das der schnellste Weg sein, aber die Entscheidung fällen letztlich die Betreiber der beiden Standorte. Wenn diese Lösung nicht gewollt ist von Brokdorf-akut, dann soll die Initiative gern eine andere vorschlagen. Ich nehme alle Bedenken und Argumente ernst. Was ich aber nicht akzeptiere: wenn man nicht sagt, wie es stattdessen gehen soll. Dann verliert man mich als Partner.
Wann wird es in Deutschland ein sicheres Endlager geben?
Ich halte es für nicht unmöglich, dass es 2050 ein Endlager geben wird. Wie sicher das Endlager tatsächlich sein mag, kann nur auf dem dann aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik beantwortet werden. Deshalb müssen wir die Möglichkeit der Fehlerkorrektur und der Rückholbarkeit zwingend mit einplanen.
Sie sind Doktor der Philosophie. Können Sie erklären, warum Menschen mit diesem atomaren Feuer spielen, ohne zu wissen, wie die Entsorgung aussieht?
Die Grundspannung ist die gleiche wie beim Fracking oder bei genmanipulierter Nahrung. Gesellschaften begrüßen im Grundsatz den Fortschritt, denn er verheißt Wohlstand. Aber wenn daraus ein blinder Fortschrittsglaube erwächst, der die Dinge nicht zu Ende denkt, der sich aber für alternativlos erklärt, führt das in eine Sackgasse. Das Innehalten und die Überprüfung all dessen, was wir tun, darauf, ob es auch getan werden darf und sollte, passiert viel zu selten. Da fehlt die Orientierung, die Wertediskussion.
Es gibt den Vergleich der Atomkraft mit dem Fliegen ohne Landebahn.
Genau dieses Bild zeigt den Irrsinn. Kein Flugzeug würde unter solchen Bedingungen starten. Die Atommeiler in Betrieb zu nehmen ist eine sehr spezielle Form von blindem Vertrauen gewesen.
Was tun Sie am am Tschernobyl-Gedenktag, dem 26. April 2015?
Ich werde dieses Mal leider nicht bei der Demo in Brokdorf sein. Aber ich werde mich mit Sicherheit daran erinnern, wie gespenstisch das damals war. Deshalb müssen wir den Atomausstieg unumkehrbar machen.
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