Robert Bücking hört auf: „Eine Art Hochstapler“
Nach 20 Jahren als „Viertel-Bürgermeister“ will Robert Bücking zum Jahresende das Ortsamt Mitte verlassen – und 2015 für die Grünen in die Bürgerschaft ziehen.
taz: Herr Bücking, wie ruhig wird Ihr Ruhestand?
Robert Bücking: Es ist eine Zäsur, wenn 20 Jahre als Ortsamtsleiter rum sind. Ich höre auch auf, damit es möglich ist noch etwas Neues anzufangen. Man hört, es soll bald Wahlen geben.
Sie wollen für die Bürgerschaft kandidieren?
Ja, das kann ich mir vorstellen.
Was steht vorher noch an?
Beim neuen Hulsbergviertel kommt Ende des Jahres der Bebauungsplan, dann geht es um die Umsetzung des Innenstadtkonzept, das übrigens ein Fortschritt ist: Weil die Innenstadt endlich in einem größeren Zusammenhang mit den umliegenden Stadtteilen gesehen wird, mit 50.000 Anwohnern und 70.000 Arbeitsplätzen. Als Raum, in dem auch neue Akteure wie die Leute vom Güterbahnhof auf den Plan treten. Mittlerweile hat sich eine Kultur der Einmischung entwickelt.
Was war vor 20 Jahren anders?
Als ich das Amt übernahm, war ich kreuz unerfahren. Mein Vorgänger, Hacki Heck, hatte nach sechs Jahren hingeschmissen, weil er die Hoffnung aufgegeben hatte, dass Beiräte Rechte und Ressourcen bekommen. Er wollte den Ostertorsteinweg und die Straße Vor dem Steintor zu einer Fußgängerzone machen. Das scheiterte grandios.
62, seit dem 1. Dezember 1994 Ortsamtsleiter für die Stadtteile Mitte und Östliche Vorstadt. Er ist Mitglied der Grünen.
Das Viertel war in den 1990er-Jahren die grün-rote Opposition zum schwarz-roten Senat.
Die Wahrheit ist, dass du nicht in der Lage bist, einen Stadtteil als Opposition zu organisieren. Du musst Dich mit CDU-Senatoren konkret einigen. Man ist zuständig für die Stadt, nicht für Lager.
Wie kamen Sie damit zurecht?
Am Anfang ist man eine Art Hochstapler. Vorher war ich Straßenpolitiker, habe für den Frieden und gegen Atomkraft demonstriert. Auf einmal hatte jede Gehwegplatte einen Stapel Paragrafen.
Hat das Amt Sie geschliffen?
Aber hallo! Das ist völlig klar: Es ist ein Rendezvous mit der Wirklichkeit. Du merkst, wie sehr es einer Anstrengung bedarf, etwas am Verkehr zu ändern oder Jugendarbeit anders zu organisieren als üblich – bis sowas wie der Sportgarten entsteht.
Als 68er waren Sie auf der Straße – heute stehen Sie etwa für einen Business-Improvement-District ein, sind der Gegner derer, die auf die Straße gehen …
Das ist auch völlig angemessen. Die Straße braucht ein Gegenüber. Dass sich die 300 Läden im Viertel organisieren, finde ich sinnvoll. Sonst gehen die unter.
Sie wollen auch die Dealer aus dem Stadtteil vertreiben!
In der Drogenpolitik läuft etwas schief. Aber unser Einfluss reicht von der Erdbeerbrücke bis zur Oldenburger Straße. So ein Stadtteil fliegt dir um die Ohren, wenn man mit Drogenhandel fraternisiert.
Muss denn alles domestiziert werden?
Sie wollen von Gentrifizierung sprechen!
Kann ein Ortsamtsleiter dem nicht entgegenwirken?
In den späten 70ern wohnten hier viele Arbeiter aus der Türkei, Jugoslawien und Portugal. Als wir gegen die Mozarttrasse Erfolg hatten, wurde diese Häuser alle modernisiert und Stück für Stück an die Mieter verkauft. Die Migranten konnten oder wollten nicht kaufen. Sie verschwanden nach Hastedt, Hemelingen oder Gröpelingen. Die Alternativ-Szene machte sich breit, teilweise mit professoralem Einkommen. Das war der erste große Schub. Wer will das zurückdrehen? Diesen Stadtteil gäbe es nicht mehr, wenn es nicht gelungen wäre, die Mozarttrasse zu verhindern.
Und heute?
Häuser und Mieten werden richtig teuer. Aber es schlägt nicht so durch, wie in Berlin, Köln und Hamburg, weil die Häuser in Einzel-Eigentum sind und kaum einer verkauft. Die Straßenbahn am Sielwall macht so viel Lärm, dass wir hier auf Dauer gemischt bleiben.
Teil des Stadtteils ist die starke linke Szene. Was verändert das?
Manchmal legen Leute, mit denen ich mich politisch kaum einigen könnte, den Finger in die richtige Wunde. Es gibt die Initiative zur Erinnerung an den Tod von Laye Condé. Kluge Leute, sie wollen ein Denkmal. Ich habe ein Gespräch mit dem Polizeipräsidenten eingefädelt, der auch sehr respektabel ist. Dass diese beiden sich hier im Ortsamt gegenüber sitzen, gefällt mir.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid