: Riskante Mischkalkulation
■ Das Hamburger West Port-Festival zwischen Novität und Nostalgie
Es ist schon ein Kreuz mit den Jazzfestivals. Jeden Sommer wieder müssen zum Beispiel die Macher des West Port ein Dutzendmal ihr Zirkuszelt füllen und gleichzeitig dem Anspruch nachkommen, zwischen Tradition und Innovation zu vermitteln. Die Nostalgiker sollen von der heimischen Rotweinflasche weggelockt, die jungen Wilden aus den Clubs geholt werden. Eine Mischkalkulation, die nicht nur finanziell riskant ist. Weshalb das Happening in der Vergangenheit denn auch mal grandios gescheitert ist, um das nächste Mal schlaff schwarze Zahlen zu schreiben. Dieser West Port, für den das Zelt wieder am Deichtorplatz aufgeschlagen wird, könnte jedoch trotz eines nicht immer spannenden Programms künstlerisch wie kommerziell ein Erfolg werden.
Was auch daran liegt, daß in letzter Minute zwei Artisten verpflichtet wurden, die für die jeweilige Klientel sensationell attraktiv sind. Für die „Night Of The Big Drums“(Fr, 11. Juli, 23 Uhr) konnte kurzfristig Roni Size engagiert werden, der mit Reprazent den Drum'n'Bass kenntnisreich vom Soul her aufrollt. Auf der anderen Seite wurde Van Morrison (Sa, 5. Juli, 20 Uhr, ausverkauft) ins Programm gehoben, der nach einigen Entgleisungen auf The Healing Game zu alter Form aufläuft. Ein Mysterium ist dieser Mann – und noch immer die größte weiße Stimme.
An großen Stimmen mangelt es sowieso nicht. Eröffnet wird der West Port (Fr, 4. Juli, 20 Uhr) von der kapverdischen Sängerin Celina Pereira sowie Nina Simone, die noch schlechtgelaunt eine famose Unterhalterin abgibt. Aufregend dürfte auch der Auftritt der Kubanerin Celia Cruz (Fr, 11. Juli, 20 Uhr) werden. Al Jarreau (So, 6. Juli, 20 Uhr) oder Bobby McFerrin (Do, 10. Juli, 20 Uhr, Musikhalle!) können jedoch nur als allzu sichere Nummern verbucht werden.
Auch in der Sparte der Novelties haben es sich die Veranstalter einfach gemacht: Kruder & Dorfmeister und Rockers Hi-Fi (Do, 10. Juli, 23.00) sind zwar grandiose Mixkünstler, füllen aber eh alle paar Monate einen Hamburger Club, bedürfen also keines hochgesponserten Festivals.
Auch nicht vom Hocker hauen einen Branford Marsalis und Buckshot LeFonque (Fr, 4. Juli, 23 Uhr). In ihrem Kreuzüber aus Jazz und Rap formulieren sie eine ähnlich behäbige Auffassung von Modernität wie Herbie Hancock, der Nirvanas „All Apologies“als Standard für den Jazz runterbürstet. So gehört auf seinem aktuellen Album. Was neu daran sein soll, „Norwegian Wood“ins Jazz-Gewand zu kleiden, soll er einem mal erklären. Vielleicht ist der Davis-Schüler ja nicht ganz zu Unrecht ins Abseits geraten. Leer bleibt das Zelt (Mi, 9. Juli, 20 Uhr) trotzdem nicht, weil der gefällige Michael Brecker das Saxophon bläst. Oh ja, es ist schon ein Kreuz mit den Jazzfestivals. Christian Buß
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