piwik no script img

Rio-Reiser-Lieder von Jan PlewkaMacht den Eisbär nicht kaputt

Jan Plewka ist mit dem Rio-Reiser-Liederabend „Wann, wenn nicht jetzt?“ auf Tour. Er ist nicht das Original, singt aber mit ähnlicher Hingabe.

Jan Plewka inmitten seiner Schwarz-Roten Heilsarmee Band als Rio Reiser Foto: Fantitsch

Von den destruktiven Impulsen, die Ton Steine Scherben auf ihr Publikum übertrugen, wussten Festivalveranstalter schon 1970 ein Lied zu singen. Die Band reiste wenige Monate nach ihrer Gründung in Westberlin nach Fehmarn, rumpelte und marodierte, Rio Reiser schrie „Macht kaputt, was euch kaputt macht“, und das Publikum fackelte die Bühne ab.

Ein halbes Jahrhundert später geht es gesitteter zu, wenn die Protestsongs der Scherben dargeboten werden. Die Besucher des Hamburger Kampnagel sitzen auf gepolsterten Stühlen, Glasflaschen sind verboten, die Show beginnt Punkt halb acht. An mehr als 200 Abenden hat Jan Plewka schon Rios Texte gesungen, etliche davon mit dem Quartett Die Schwarz-Rote Heilsarmee. Plewka feierte mit seiner Band Selig als abgezocktes Rockvieh in den Neunzigern Erfolge im Fahrwasser der Hamburger Schule. Später schuf er Musiken für Filme und Theaterstücke; seit 17 Jahren ist er auf die Rolle des Rio-Reiser-Interpreten abonniert. Nun führt er ein neues Programm auf.

„Ich versuche nicht, den Rio zu spielen“, sagt der gebürtige Hanseat vor dem Konzert. „Ich übernehme den Charakter eines Liedes und singe es als Jan Plewka. Ich muss die Geschichte dahinter annehmen und sie zu meiner eigenen machen.“ Der Abend im Kulturzentrum Kampnagel beginnt zunächst wenig eigenständig. Mit stumpfer Breitbeinigkeit rocken die fünf „Menschenfresser“ runter. Das Schlagzeug scheppert, wohl auch wegen der schwierigen Akustik in der Kranfertigungshalle. In den lauten Momenten fehlt der Band die jazzige Raffinesse, die der Hendrix-geschulte Scherben-Gitarrist R.P.S. Lanrue einst den Originalen verpasste.

Industriellen-Bashing

„Macht kaputt, was euch kaputt macht“ enthält bei Plewka neben dem gewohnten Großindustriellen-Bashing („Fabriken bauen, Maschinen bauen“) auch aktuelle Referenzen. Der 49-jährige Sänger streut die Begriffe „AfD“ und „Kreuzfahrtschiffe“ ein, erklimmt die Zuschauertribüne und animiert zum Mitsingen, aber im Publikum regt sich wenig. Ein traurig dreinschauender Eisbär betritt die Bühne, Plewka befreit ihn von Plastikmüll.

Das neue Programm sollte morbider werden, so hatten es sich Plewka und seine Musiker zumindest vorgenommen. Beim ersten Rio-Reiser-Zy­klus sei es ihnen um die liebevolle Seite des Künstlers gegangen, Songs wie „Junimond“ standen auf der Setlist. „Aber jetzt brennen die Wälder, die Polkappen schmelzen. Rios Texte sind wieder aktuell geworden“, findet Plewka. „Wann, wenn nicht jetzt?“ ist der programmatische Untertitel dieses Liederabends, angeleitet von dem ehemaligen Schauspielhaus-Intendanten Tom Stromberg.

Je sanfter die Gitarren, desto überzeugender klingt das Konzert: „Nur dich“ gibt es mit Violine und Vibrafon; „Ich bin müde“ im Duett mit Lieven Brunckhorst. Der langjährige Ensem­ble­musiker am Hamburger Schauspielhaus spielt sein Piano mit sanftem Anschlag und entlockt ihm dennoch eine Randy-Newman-Funkyness, die einen Kontrapunkt zu Plewkas rauem Gesang bildet. Der seufzt: „Du bist zu arm, ich bin zu reich / Du bist zu hart, ich bin zu weich“, und lehnt den Kopf an seinen Bandkollegen.

Rhythmus mit Bleistiften

Nach der Pause bringt Stromberg ungeahnten Humor. Er steckt die Band in glitzernde Spandexanzüge, drapiert sie nebeneinander an einem Pult mit Mi­krofonen. Versteckt hinter riesenhaften Masken, klopfen die fünf mit Bleistiften den ­Rhythmus von „Mein Name ist Mensch“. Der „Shit-Hit“, den Rio einst für eine Thea­ter­gruppe mit Corny Littmann komponierte, wird im Barbershop-Style dargeboten und auch vom Publikum intoniert: „Einmal täglich Haschisch / nasch isch.“

Auf Tour

Weitere Termine: 26. 11., Bochum „Kammerspiele“, 27. 11., Köln „Kulturkirche“, 28. 11., Mannheim, „Alte Feuerwache“. Wird fortgesetzt

Vor den Zugaben wird’s wieder ernst: Auf dem Videoscreen werden einem kontextlos Daten über den Klimawandel vor den Latz geknallt. Dann brettert die Band noch einmal mit „Mensch“ los, diesmal mit Gitarren. „Der Planet Erde wird uns allen gehören, und jeder wird haben, was er braucht.“

Am Ende des Abends liegen sich Sänger und Eisbär in den Armen. Jan Plewka, dieses schmale Handtuch, das barfuß über die Bühne tobt, ist nicht Rio Reiser. Aber er singt mit ähnlicher Hingabe. Das Publikum klatscht ihn noch für mehrere Verbeugungsrunden heraus.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare