Ringspionage im Schlagabtausch

Deutschlands renommiertester Matchmaker Jean-Marcel Nartz wechselt von Sauerland zum Konkurrenten Kohl

BERLIN taz ■ „Verräter!“, riefen die Bosse von General Motors, als José Ignacio López den Autokonzern verließ und zu Volkswagen wechselte, nicht ohne ein paar wichtige Firmengeheimnisse aus der Opel-Produktion nach Wolfsburg zu schleusen. Das Geschrei war groß nach López’ Coup, es kam in den USA sogar zur Anklage wegen Wirtschaftsspionage, bis VW und General Motors Jahre später Frieden schlossen.

Auch Jean-Marcel Nartz wird Hintergründiges aus dem Kölner Sauerland-Boxstall zum Gegenspieler Universum nach Hamburg transferieren, wenngleich weniger spektakulär als López. Ab 2003 arbeitet er für Klaus-Peter Kohl, den Universum-Chef mit dem lukrativen ZDF-Vertrag. Nartz ist Matchmaker, das heißt vereinfacht: Er arrangiert Kämpfe. Doch zu seinem Job gehört weit mehr: Kontaktpflege, Gespür fürs richtige Angebot, Übersicht über die internationale Szene. Und nicht zuletzt Timing.

Matchmaker ähneln dem Typus des Spielervermittlers im Fußball. Umtriebig versuchen sie alle und jeden zu kennen und weit verzweigte Bindungen herzustellen. Die Möglichkeiten eines Spielervermittlers sind freilich limitiert. Aber angenommen, der Fußball leistete sich Matchmaker, dann spielte Bayern München nicht mehr in der Bundesliga, sondern würde monatlich gegen Mannschaften antreten, die ihnen viel, aber beileibe nicht alles abverlangten. Bayern gewönne knapp mit 3:2 oder 2:1 und müsste – damit die Zuschauer nicht glauben, geleimt worden zu sein – auch mal in die Verlängerung. Nach Niederlagen käme es sofort zur Revanche, um die vom Matchmaker geschickt inszenierte Vormachtstellung wieder einzunehmen.

Nartz geht also. Er verlässt den Stall von Maske und Ottke und bietet sein Handwerk im Hause Klitschko und Michalczewski an. Der Wechsel überrascht, denn Nartz, der seit 25 Jahren Boxer zusammenbringt, äußerte sich mehr als einmal abfällig über Universum, weshalb man ihm eine tiefe Feindschaft zur Konkurrenz nachsagte. „Das Geld wird es wohl sein“, glaubt Hagen Doering den Grund des Sinneswandels zu kennen. Doering ist der Nachfolger von Nartz und in der eigenartigen Situation, bis zum Jahreswechsel vom Vorgänger „angelernt“ zu werden.

Doering, erst 31, kennt die Welt der Jabs und Leberhaken auch jetzt schon recht gut. Er fehlt bei keiner Boxveranstaltung, besitzt eine Trainerlizenz und fungierte als Kampfrichter. 1988 wurde er als Kämpfer des TSC Berlin DDR-Juniorenmeister im Halbmittelgewicht (71 kg). Sein damaliger Trainer: Uli Wegner, heute Sauerland-Chefcoach. Zwei Jahre danach wurde Doering im Trikot von Bayer Leverkusen deutscher Vizemeister. In der Ringecke: Fritz Sdunek, mittlerweile Boxlehrer bei Universum.

„Mensch, kannste denn das überhaupt?“, war die meistgestellte Frage in Doerings Umfeld nach seiner Berufung als Matchmaker. Er begegnete den Zweifeln mit einem Wortschwall, der ihm schon in der ersten Karriere von Vorteil war. Er wollte zunächst Politiker werden, trat der Jungen Union bei, kandidierte zweimal fürs Berliner Abgeordnetenhaus und kam schließlich als Referent bei Norbert Blüm unter. Seine politische Erfahrung sei ihm zunutze, sagt Doering, „auch im Profiboxen muss man viel über persönliche Kontakte machen“. Die erste Amtshandlung führte ihn ins New Yorker Hyatt-Hotel. Dort kam es zu einer „purse offer“ genannten Versteigerung des WBC-Weltmeisterschaftskampfes zwischen dem Kanadier Eric Lukas und dem Sauerland-Profi Markus Beyer. Doering unterbreitete ein Angebot, das überzeugte – und holte den Kampf nach Leipzig. Termin: 7. Dezember. Doch das ist nicht sein größtes Projekt. Ein Fight zwischen Sven Ottke (Sauerland) und Dariusz Michalczewski (Universum) soll die Geschäfte von Sauerland beleben. „Wir haben ein Angebot gemacht“, sagt er. Bisher hat Kohl nicht reagiert.

Mit dem Taktieren der Hamburger kann sich Doering derzeit allerdings nicht beschäftigen, denn der ARD-Kampfabend am kommenden Samstag will organisiert sein. Danilo Häußler verteidigt seinen EM-Titel gegen den Spanier Juan Perez Nelongo, Oktay Urkal will gegen Gabriel Mapouka aus Frankreich Europas Bester werden. Gekämpft wird in Zwickau, wo der Trabant gebaut wurde, ein Auto, das nie zum Ziel von Industriespionen wurde. MARKUS VÖLKER