: Riesen der Einheit
von Rolf Lautenschläger
Wie viele Menschen den Tag der Deutschen Einheit in Saarbrücken und die politisch korrekten „Wir sind ein Volk“-Reden über sich ergehen lassen mussten, wissen wir nicht. Wir wissen nur, in Berlin interessiert solches „The same procedure as last year“ kein Schwein mehr. Da guckt wirklich niemand mehr hin. Wir gucken Riesen, hunderttausendfach waren wir am Brandenburger Tor dabei, und es hat verdammt Spaß gemacht – schon wegen der Schuhgröße 237 und der Niedlichkeit der Riesen.
Nun lässt sich mit Recht fragen, ob ein solches Marionettentheater beziehungsweise Massenspektakel wirklich ernsthaft und angemessen den Tag der Einheit „in diesem unserem Lande“ sowie die Erinnerung an den Mauerfall widerspiegelt. Haben wir uns da nicht historisch, thematisch und moralisch vergaloppiert? Passt die freie pathetische Adaption von „Gullivers Reisen“ ins Reich der Liliputaner nicht eher für typische Berliner Zustandsbeschreibungen wie Kleingeist und Größenwahn? Wohl kaum.
Ist das angemessen? Ja
Nichts Besseres konnte Berlin mit der „Glücksparade“ der beiden Riesen von der französischen Straßentheatergruppe Royal de Luxe passieren. Und wenig mehr hat man als gelungene Interpretationen der deutschen Superfeiertage bisher gesehen. Denn, um es mal ohne den Erinnerungsbalast zu sagen: Was waren denn der Mauerfall und die Einheit wirklich? Waren sie nicht, wie die Riesen, Wahnsinn, Kitsch und Pathos zugleich? Und haben sie nicht Spaß gemacht und staunend überwältigt? Okay, nicht alle haben gelacht. Aber die meisten. Deshalb kann das Märchen mit den Riesen ein spätes Lächeln für das Spiel mit der Geschichte zurückgeben. Es sei denn, man ist humorlos.