Richter stützen Schulpflicht: Muslimin muss mitschwimmen
Ein Gericht verpflichtet eine Grundschülerin, am Schwimmunterricht teilzunehmen. Mit einem Ganzkörperbadeanzug sei das auch strenggläubigen Musliminnen zumutbar.
BERLIN taz | Der Burkini schreibt Rechtsgeschichte: Das Oberverwaltungsgericht Münster hat am Mittwoch entschieden, dass eine Grundschülerin am Schwimmunterricht teilnehmen muss. Die Gelsenkirchener Eltern hatten die Neunjährige aus religiösen Gründen vom Schulschwimmen befreien lassen wollen. Ihre persönliche strenge Auslegung des Islam verbiete das gemeinsame Schwimmen ihrer Tochter mit Jungen. Sie klagten gegen das Schulamt, das ihnen keine Befreiung gewähren wollte.
Der Burkini machts möglich: Schon das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen machte die Eltern darauf aufmerksam, dass der Burkini, ein Ganzkörperbadeanzug, neuerdings auch in Deutschland verfügbar sei. Damit sei ein Mädchen auch für islamische Begriffe ausreichend verhüllt. Die Eltern hatten eingewandt, der Burkini sauge sich mit Wasser voll und behindere die Tochter beim Schwimmen. Diesen Einwand ließ das Gericht nicht gelten. Denn der Burkini ist in islamisch geprägten Ländern wie Ägypten oder der Türkei eine beliebte Schwimmbekleidung für strenggläubige Musliminnen und wird als solche auch in Deutschland propagiert.
Der Burkini, der den Kopf ähnlich wie bei Eisschnellläuferinnen mitbedeckt, wird meist aus Polyester hergestellt. Er wurde von eine libanesischstämmigen Australierin entwickelt, nachdem die dortigen Rettungsschwimmereinheiten für Muslime geöffnet worden waren.
Der Burkini minimiert nach Ansicht der Gerichte ein schwerwiegendes Problem. 1993 hatte das Bundesverwaltungsgericht einer 12-Jährigen die Befreiung vom Schwimmunterricht zugestanden, weil "sie dort keine zumutbare Möglichkeit habe, ihre ,Blöße' im Sinne der Bekleidungsvorschriften des Korans fremden Dritten zu verbergen".
Das Urteil hatte viel Kritik nach sich gezogen, weil nun weitere strenggläubige Muslime auf die Idee kamen, ihre Töchter und auch ihre Söhne von den im Schwimmbad möglichen Blicken befreien zu lassen - und in Kauf nahmen, dass diese nicht schwimmen lernen.
Es kam zu einer sehr unübersichtlichen Lage: So werden Pubertierende in Bayern und Baden-Württemberg getrennt im Schwimmen unterrichtet, dort entsteht das Problem also kaum. In anderen Bundesländern wird in Einzelfällen befreit.
Allerdings entscheiden dies meist die Schulen in Eigenregie, sodass es keine validen Zahlen gibt. In Berlin hat die Bildungsverwaltung verfügt, dass ab 2005 nur noch die Behörde über die Befreiungsanträge entscheidet. Diese erhielt in den folgenden zwei Jahren nur 19 Anträge, die sie sämtlich ablehnte.
Viele Schulen haben Zwischenlösungen gefunden: Manche verpflichten die Mädchen, in öffentlichen Bädern am Frauenschwimmen teilzunehmen, andere richten Schwimmkurse speziell für Mädchen ein. Alle Bundesländer betonten bei einer Umfrage, die der Interkulturellen Rat 2007 erstellte, dass die Frage des Schwimmunterrichts in ihrem Land keine oder nur eine untergeordnete Rolle spiele. Es seien lediglich Einzelfälle bekannt, die sich meistens "im Dialog" lösen ließen, so das einhellige Echo aus sämtlichen Bundesländern. Auch der Gerichtsweg wurde nur in Einzelfällen beschritten. Allerdings landete jeder dieser Einzelfälle in den Medien.
Az.: 19 B 1362/08
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