: Rhythmus der Klinik
Die Krankenhausmaschine: Stefan Landorfs Doku „Aufnahme“ als Hamburgpremiere im Lichtmeß
Der auf der Duisburger Filmwoche 2001 mit dem 3sat-Dokumentarfilmpreis ausgezeichnete Beitrag Aufnahme von Stefan Landorf erlebt heute im Lichtmeß Kino in Anwesenheit des Regisseurs seine Hamburgpremiere. Landorf, selbst ehemaliger Mediziner, verbindet in seinem Film die frühere Wahrnehmung als Jungarzt mit der des Filmemachers und liefert eine unbarmherzige Diagnose seines ehemaligen Arbeitsumfelds.
Aufnahme ist ein 90-minütiger verdichteter Einblick in ein Krankenhaus unter dem Blickwinkel der fortschreitenden Industrialisierung. Die strenge Hierarchie innerhalb des medizinischen Personals wird mit der grotesken Standardisierung des Krankenhausbetriebes kombiniert und derart ein Schreckensszenario der Effizienz entworfen.
Walter Benjamin galt die Organisation von jeher als das eigentliche Medium, in welchem sich die Verdinglichung der menschlichen Beziehungen abspielt. Die in Aufnahme festgehaltenen Beobachtungen können geradezu als visueller Beweis dieser These betrachtet werden. Der Ort des Heilens und der Pflege erlebt in seinem spätkapitalistischen Stadium eine Wende zum puren Dienstleistungsservice, in dem menschliche Wärme als Störfaktor wirken würde. Mit klinischer Kühle verfolgt die Kamera von Christof Oefelein, wie die verschiedensten Arbeitsvorgänge nach dem Fließbandprinzip verrichtet werden. Ob die Desinfektion der Betten, die Zubereitung der uniformen Essensportionen oder die von Zimmer zu Zimmer schreitende Ärzteschar bei der Visite, alles verläuft streng im Stil fordistischer Rationalisierung.
Die filmisch rhythmisierte Wiederholung immer gleicher Vorgänge verstärkt die Erinnerung an die Sphäre der Automobilproduktion. Die für das Labor bestimmten Proben werden über ein rohrpostartiges System transportiert, das wie ein unheimliches Labyrinth in den Eingeweiden des Hospitals wirkt. Die Bilder sind begleitet von synchronen Alltagsgeräuschen, die dem Film von David Sanchez regelrecht als Partitur unterlegt wurden.
Den Patienten erleben wir als obskures Objekt der Visite, das als zu diagnostizierendes Bündel an Leiden oft nur noch in Form seines Röntgenbildes wahrgenommen wird. Die in Fachchinesisch erfolgende Kommunikation zwischen Arzt und Patient erweckt den Eindruck, es ginge im gesamten Betrieb lediglich um einen Diskurs unter Ärzten, der sich der Kranken nur als notwendiges Material bedient.
Matthias Seeberg
Do, 20 Uhr, Lichtmeß
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