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Revolution und Alltag

Die Ausstellung „Berlin in der Revolution 1918/19 – Fotografie, Film, Unterhaltungskultur“ im Museum für Fotografie verknüpft die große Geschichte mit Alltagsepisoden. Und macht auf das Nebeneinander von politischer Erregtheit und schrillem Entertainment aufmerksam

Ein Bild der Pressefotoagentur der Gebrüder Otto und Georg Haeckel: Soldaten mit Waffen im November 1918, Unter den Linden/Ecke Charlottenstraße Foto: smb

Von Tom Mustroph

Junge, wie siehst du aus? Hast du dich wieder mit Paul geschlagen? Ich muss dir wieder neue Sachen kaufen gehen“, zürnt eine Mutter mit ihrem Sohn. „Reg dich doch nicht auf“, versucht der Sohn sie zu beruhigen. „Du solltest mal den Paul sehen. Seine Mutter wird sich einen ganz neuen Jungen kaufen müssen.“ Der Witz ist in der Berliner Illustrierten Zeitung, Ausgabe 45, im November 1918 abgedruckt. Die Zeitung liegt gleich im Eingangsbereich der Ausstellung. Der Witz belegt, wie die Gewalt aus dem gerade beendeten Krieg und der unmittelbar stattfindenden Revolution Einzug ins Alltagsleben hielt. „Härter hauen“, so lautet das Motto der Stunde. Der Witz unterstreicht aber auch, dass außer Revolution – also erregten Versammlungen, wilden Flugblättern und Straßenkämpfen in vielen Vierteln – auch noch das ganz normale Leben stattfand. Sich prügelnde Bengels eben, besorgte Mütter, abwesende Väter.

Diesen Alltag unterhalb der Erregungsschwelle der Weltpolitik führt die Ausstellung in zahlreichen Bildzeugnissen vor. Da gibt es Soldaten zu sehen, die auf dem Heimweg von den aufgelösten Fronten an Straßenständen Weihnachtsschmuck erwerben. Andere verticken auf dem Schwarzmarkt ihre Uniformteile, während schon in Zivil gekleidete Männer vor einem sogenannten „Arbeitsnachweis“ – einer Arbeitsvermittlung für Tagelöhnerjobs – in der Gormannstraße in Mitte dem Glücksspiel frönen.

Revolution war immer mehr als nur die ikonisch gewordenen Bilder von Straßenschlachten, Massendemonstrationen oder Trauerzügen. Diese Bild­ikonen kommen natürlich auch vor. Aber die Abbildungen vom Rand des Geschehens erweitern den Blick. Und manchmal fragt man sich sogar, ob diese Randbilder des Alltags nicht viel genauer die damalige Stimmung treffen als die Bildnachweise der Kämpfe.

Abends ins Theater

Zeitgenossen jedenfalls nahmen die revolutionären Ereignisse oft mehr als kommentierende Beobachter wahr – und gingen dann abends ins Theater. So ist es einigen der brillanten Tagebucheinträge von Harry Graf Kessler oder auch Briefen Kurt Tucholskys zu entnehmen. Kessler schreibt, dass ihm den ganzen Tag noch die Erschießung von 24 Matrosen im Kopfe herumspukte. Abends ging er dann aber „zu Reinhardt ins Theater“. Zu einem Shakespeare übrigens, keinem der Königsdramen, kein englisches Rosenkriegsgemetzel – Gemetzel hatte man ja selbst genug –, sondern Unterhaltung: „Wie es euch gefällt“.

Das ist denn auch das Kernthema der Ausstellung: Revolution und Unterhaltungskultur. Ein glücklich gewähltes Thema. Tagten nicht die Revolutionären Arbeiter- und Soldatenräte ausgerechnet im Zirkus Busch? Ein Bild davon ist in den Ausstellungsparcours integriert. Wurde nicht getanzt, gelacht, gesungen? Eine ganze Reihe von Postkarten, die Tanzlokale und Konzert-Cafés abbilden, sind Teil der Schau. „Nachtfalter“ und „Excelsior“ hießen sie, „Winterfeldt-Palast“ und „Weidenhof“. Namen mit schwachem Nachhall, Schall und Rauch gewissermaßen – „Schall und Rauch“ war auch der Name eines legendären Kabaretts.

Das Miteinander, Nebeneinander, Ineinander von Umsturz und Ablenkung wird paradigmatisch sichtbar auf einem Kontaktabzug der Pressefotoagentur Gebrüder Haeckel. Er zeigt eine Patrouille aus sieben Soldaten, die gerade um die Hausecke Unter den Linden/Charlottenstraße biegen. Vor ihren Gewehrläufen prangt ein Plakat, das einen „Bunten Abend“ im Konzerthaus anpreist, unter anderem mit Varieté- und Schauspiel-Star Curt Bois.

Ein weiterer Akzent der Ausstellung liegt auf dem Filmschaffen. Als die Gewehrläufe noch nicht komplett erkaltet sind, wird schon gedreht, wird an der fiktionalen Aufarbeitung gewerkelt. Pressefotograf Willy Römer, aus dessen fast komplett erhaltenem Nachlass ein großer Teil der Schau bestückt ist, war bei den Dreharbeiten von „Die entfesselte Menschheit“ im Jahre 1920 dabei.

Der Plot: Deutsche Kriegsgefangene kehren aus Russland zurück und werden von einem als fanatisch bolschewistisch gezeichneten Anführer in die Kämpfe in Berlin geführt. Gedreht wurde unter anderem in Kreuzberg, an den Massenszenen sollen bis zu 17.000 Menschen mitgewirkt haben. Es handelt sich um einen der damals modischen antibolschewistischen Filme. Die expressionistischen Darstellungsweisen des als bösartig dargestellten Anführers können über den tagespolitischen Verwertungszweck hinaus als Vorschule für das Kino der Weimarer Jahre von „Nosferatu“ bis „Dr. Mabuse“ kontextualisiert werden.

Den Film selbst kann man leider nicht sehen. Andere zeitgenössische Revolutionsfilme – Ernst Lubitzschs auf die Französische Revolution ausweichenden „Madame Dubarry“ sowie Robert Reinerts von Zeitgenossen wegen der wegweisenden Montagetechnik gelobtes Werk „Nerven“ – aber doch.

Für manchen Zeitgenossen war Kino freilich Pöbelvergnügen. „Alle laufen zunehmend gedrückt herum, wenigstens die anständigen Menschen. Der Plebs aber stürmt die Kinos“, notierte Tucholsky im Juni 1919. Da ist die Revolution längst niedergeschlagen, Illusionsproduktion und -rezeption haben sich auf den Kintopp verlagert – die damals moderne Sedierungstechnologie.

Die Kuratoren Ludger Derenthal, Evelin Förster und Enno Kaufhold haben faszinierendes Material ausgewählt. Auch einzelne Wochenschaubeiträge und zahlreiche Plakate gehören dazu. Die vielen Kontaktabzüge der Pressefotos sind dankenswerterweise mit Lupen versehen. Für Berliner erhöht sich der Schauwert noch, weil zahlreiche Häuserzeilen – noch existierende wie im nächsten Krieg verschwinden werdende – von Charlottenburg bis Lichtenberg erkennbar sind.

Eine Heimatausstellung der besonderen Art.

Bis 3. März 2019, Museum für Fotografie, Jebensstraße 2, Di, Mi, Fr 11–19 Uhr, Do 11–20 Uhr, Sa, So 11–19 Uhr

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