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Revolten in Nordafrika"Schluss mit der Armut!"

In Tunesien und Algerien gehen junge Leute auf die Straße und protestieren gegen ihre Lebensbedingungen. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, ohne Beziehungen läuft nichts.

Proteste gegen Preissteigerungen in Bab El-Oeud, einem Stadtviertel von Algier. Bild: reuters

MADRID taz | Die soziale Revolte in Tunesien weitet sich aus. Nachdem über 5.000 Menschen am Mittwoch den 26-jährigen Mohammed Bouazizi zu Grabe getragen haben, folgten am Donnerstag die Anwälte einem Aufruf zum Streik. Überall gingen einmal mehr Studenten und junge Arbeitslose auf die Straße. Es ist die schwerste politische Krise, der sich der seit 1987 mit autoritärer Härte regierende Präsident Zine El Abidine Ben Ali ausgesetzt sieht.

Bouazizi, der am Dienstag seinen schweren Brandverletzungen erlag, ist zum Symbol der Revolte gegen Arbeitslosigkeit, Korruption und fehlende politische Freiheiten geworden. Der arbeitslose Hochschulabgänger, der sich sein Geld als fliegender Gemüsehändler verdiente, hatte sich am 17. Dezember vor der Präfektur in Sidi Bouzid, 250 Kilometer südlich der Hauptstadt Tunis, mit Benzin übergossen und angezündet, um gegen die Beschlagnahmung seiner Ware und Misshandlungen durch die Polizei zu protestieren. "Schluss mit der Armut! Schluss mit der Arbeitslosigkeit!", schrie er dabei. Mindestens zwei weitere junge Arbeitslose folgten dem Beispiel und begingen Selbstmord.

Spontane Demonstrationen überall im Land greifen den verzweifelten Ruf von Bouazizi auf. In Tunesien liegt die Arbeitslosenquote unter jungen Menschen bei über 30 Prozent. Ohne Beziehungen und Gefälligkeiten ist kein Job zu finden.

Ben Alis Polizei reagiert mit Härte. Mindestens zwei Demonstranten erlagen bisher ihren Schussverletzungen. Dutzende wurden verletzt, andere festgenommen. Die Polizei stellte sich auch dem Trauermarsch für Bouazizi entgegen. Sie verhinderte gewaltsam, dass der Leichnam an der Präfektur von Sidi Bouzid vorbeigetragen wurde.

Längst haben sich die Proteste über die Provinz Sidi Bouzid hinaus ausgeweitet. Sfax, Sousse, Tunis sind nur die größten Städte, in denen die Menschen in den vergangenen drei Wochen auf die Straße gegangen sind. Zu den schwersten Unruhen der letzten Tage kam es in Thala. Am Montag streikten dort die Schüler eines Gymnasium.

Sie zogen friedlich durch die Kleinstadt, 250 Kilometer südöstlich von Tunis. "Arbeit für alle!" "Schluss mit Beziehungen und Bestechungsgeldern!" und "Für ein freies Tunesien! Nieder mit Ben Ali!", riefen sie immer wieder. Die Polizei griff mit Schlagstöcken und Tränengas ein. Daraufhin kam es zu Straßenschlachten. Die Demonstranten errichteten Barrikaden aus brennenden Autoreifen. Das Büro der Regierungspartei Demokratisch-Konstitutionelle Sammlungsbewegung (RCD) ging in Flammen auf.

Die Regierung bezichtigt Opposition und Presse der "Nutzung der Zwischenfällen für ungesunde, politische Ziele" und behindert Reporter. Doch die jungen Tunesier kommunizieren mittels anonymer Profile in Facebook und Twitter, um von ihren Aktionen zu berichten und weiter zu mobilisieren.

Am Donnerstag überschlugen sich bei Twitter die Meldungen von Demonstrationen, Studenten- und Schülerstreiks bis hin zu Blockaden von Bahnlinien. In Sousse, Sfax, Kaserine und Sidi Bouzid schloss die Polizei die Universitäten. Aus Solidarität mit den Studenten blockierte die Internetaktivistengruppe Anonymous per massiver Seitenaufrufe Webs der Behörden und staatlicher Unternehmen.

Im benachbarten Algerien kommt es derzeit ebenfalls zu Unruhen. Die teils gewalttätigen Proteste gegen Preiserhöhungen bei Grundnahrungsmitteln begannen in der Kleinstadt Douaouda 30 Kilometer westlich von Algier. Mittlerweile haben sie auf Provinzhauptstädte sowie Vororte und ärmere Stadtteile Algiers und der zweitgrößten Metropole des Landes, Oran, übergegriffen.

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