Filmstarts à la carte : Revisionistische Klassiker
■ In der Inszenierung seiner Western hatte sich Clint Eastwood eigentlich weder als typischer „Klassiker“ noch als ausgesprochener Revisionist gezeigt. Vielmehr erschienen seine Filme (von der Allegorie „High Plains Drifter“ einmal abgesehen) meist als behutsam der Zeit angepasste Variationen klassischer Themen. Mit „Unforgiven“(1992) änderte sich dies radikal. Nach eigener Aussage drehte Eastwood hier nach einem bereits 1976 verfassten Drehbuch von David Webb Peoples „den letzten Western“: eine brutale Entmystifizierung des Genres. „Unforgiven“ handelt von Revolverhelden, der Entstehung ihres Mythos und dem, was später davon übrig bleibt. Zu Beginn sieht man William Munny (Eastwood), den Helden der Geschichte, im Matsch eines Schweinepferchs herumwaten - der ehemalige Revolverheld hat seiner mittlerweile verstorbenen Frau zuliebe die Waffen zugunsten eines Lebens als Farmer an den Nagel gehängt. Als er jedoch von dem Kopfgeld erfährt, das auf zwei Cowboys ausgesetzt ist, die einer Hure das Gesicht zerschlitzt haben, nimmt er den alten Beruf wieder auf - und lügt sich in die Tasche, dies allein für die bessere Zukunft seiner Kinder zu tun. Munnys erste Schußversuche gestalten sich allerdings mehr als peinlich und auch die Begegnung mit dem ersten „Opfer“ erweist sich dann nur als ein bis in alle unerfreulichen Details ausgewalzter dilettantischer und feiger Mord aus dem Hinterhalt. Wie allerdings der Ruhm von Revolverhelden verbreitet wird, zeigt sich dann am Beispiel eines Groschenheftautors, der Munnys „Kollegen“ English Bob (Richard Harris) begleitet und dessen „Heldentaten“literarisch verarbeitet.
„Erbarmungslos“ (Unforgiven) 24.5. im Filmmuseum Potsdam
■ Ein Vergleich bietet sich geradezu an: Auch Fred Zinnemanns „High Noon - 12 Uhr mittags“ (1952) zählt heute zu den Klassikern, ist jedoch ebenfalls alles andere als ein klassischer Western. Vielmehr muss man die von Carl Foreman - einem Betroffenen der Machenschaften des sogenannten Ausschusses für unamerikanische Umtriebe - erdachte Geschichte vom Sheriff, der von rachsüchtigen Banditen bedroht wird und auf der Suche nach Beistand von den ehrenwerten Bürgern seines Ortes nur Ablehnung erfährt, als Parabel auf die McCarthy- Ära und das damalige Klima von Feigheit, Angst und Kollaboration begreifen. Regisseur Zinnemann und sein Kameramann Floyd Crosby interessierten sich hingegen weniger für Politik und mehr für die Bildästhetik, bei der sie sich an authentischen Fotografien des Westens aus dem 19. Jahrhundert orientierten und deshalb auch in Schwarzweiß filmten.
„High Noon - 12 Uhr mittags“ 18.5.-24.5. im Klick
■ Verdienstvoll: In einer kleinen Reihe zeigt das Filmkunst 66 in den kommenden Wochen Klassiker der Screwball-Komödie, die sich in erster Linie durch Tempo, Dialogwitz und die Fähigkeit auszeichnet, die Charaktere in hochnotpeinliche Situationen zu bringen, ohne dass der Zuschauer dabei peinlich berührt wird. Ob Frank Capras „It Happened One Night“ - die Geschichte eines glücklosen Reporters (Clark Gable), der auf einer langen Busfahrt von Miami nach New York eine vor ihrem Vater fliehende verwöhnte Erbin (Claudette Colbert) mit den Realitäten des einfachen Lebens vertraut macht - allerdings wirklich zu den Screwball-Komödien gerechnet werden kann, ist aufgrund des eher gemächlichen Tempos etwas zweifelhaft. Sicher ist hingegen, dass „It Happened One Night“ zu den gelungensten romantischen Komödien zählt und das manchmal unterschätzte komische Talent Clark Gables ins Rampenlicht rückt: Die Szene, in der Gable und Colbert den Detektiven ihres Vaters ein streitendes Proleten-Ehepaar vorspielen, gilt zu Recht als Klassiker.
„It Happened One Night“ (OF) 18.5.-19.5., 21.5. im Filmkunst 66
Lars Penning
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