piwik no script img

Rettungsappell von Politik und WirtschaftOffshore-Windkraft droht baden zu gehen

Der zweite kommerzielle Windpark in der deutschen Nordsee ist fertig und am Netz, sein Erbauer wankt. Die Branche fordert stabile Rahmenbedingungen.

Am Netz: der erste kommerziell genutzte Windpark namens Bard I. Bild: dpa

HAMBURG taz | Eine Überlebenschance für die deutsche Offshore-Windindustrie haben die fünf norddeutschen Bundesländer, Vertreter von acht Küstenstädten und der Wirtschaft am Montag in Cuxhaven gefordert. In ihrem „Cuxhavener Appell“ betonen sie die industrie und umweltpolitische Bedeutung der Branche.

Sie verlangen Bestandssicherheit für im Bau befindliche Offshore-Windparks und einen verlässlichen gesetzlichen Rahmen für den Bau weiterer Parks auf dem Meer. Gleichzeitig ging mit Bard I der erste kommerziell genutzte deutsche Offshore-Windpark komplett ans Netz.

Das Errichten von Windparks im deutschen Teil der Nordsee geht weit schleppender voran als erwartet. Ein Grund dafür ist das Lehrgeld, das die junge Branche – insbesondere in Gestalt der Firma Bard – hat bezahlen müssen. Die Arbeit auf hoher See erwies sich als schwierig und teuer, zumal das nötige schwere und spezialisierte Gerät in Form von Errichterschiffen noch nicht zur Verfügung stand. Bard muss nun hunderte Mitarbeiter entlassen, der Windpark Bard I gehört inzwischen der Unicredit-Bank.

Gebeutelter Pionier

Bard-Offshore ist von dem Deutschrussen Arngolt Bekker gegründet worden. Er versuchte, alles in der Hand zu behalten - von der Konstruktion der Windräder über die Errichterschiffe bis zur Wartung. Weil er die Schwierigkeiten unterschätzt hatte, musste Bekker seine Anteile 2010 an eine Treuhandgesellschaft verkaufen.

Mit Veja Mate verfügt Bard über ein weiteres genehmigtes und mit einer Netzanschlusszusage versehenes Projekt. Mit 80 Anlagen und 400 Megawatt Leistung wäre es so groß wie Bard I. Fehlt nur noch ein Investor.

Dazu kommt, dass der Ausbau des Stromnetzes nicht Schritt hält. Neben dem Versuchswindpark Alpha Ventus und Bard I ist kürzlich der Windpark Riffgat fertig geworden. Er kann aber keinen Strom liefern, weil der Anschluss an das Stromnetz an Land nicht steht.

Dabei hoffen die norddeutschen Bundesländer, dass die Offshore-Windindustrie wettmachen könnte, was sie bei der Werftindustrie verloren haben. Emden, Bremerhaven und Cuxhaven haben Offshore-Basishäfen gebaut. Betriebe für den Bau von Fundamenten, Türmen und Rotorblättern haben sich angesiedelt. Und auch von der Wartung der künftigen Großkraftwerke auf See erhoffen sie sich Arbeitsplätze und Einnahmen.

„Die Offshore-Windindustrie befindet sich kurz nach ihrer Geburt am Scheideweg und mit ihr die Energiewende als Ganzes“, warnen die Unterzeichner des Appells. Die Offshore-Windindustrie sei ein Vorreiter-Produkt aus Deutschland, das einen substanziellen und zuverlässigen Beitrag zur Energiewende leisten könne. Kein anderes europäisches Land verfüge über die gesamte Wertschöpfungskette beim Bau von Offshore-Windkraftanlagen. Die Branche stelle „ein nachhaltiges industriepolitisches Zukunftsfeld für den Standort Deutschland dar“.

Die Unterzeichner des Appells rücken vom Ziel der Bundesregierung ab, bis 2020 Anlagen mit einer Gesamtleistung von 10.000 Megawatt auf See zu installieren. Stattdessen solle sie wenigstens dafür sorgen, dass 6.000 bis 7.000 Megawatt installiert würden – „um die bestehende Industrie zu erhalten, Folgeprojekte zu realisieren und Kostensenkungspotenziale zu erschließen“, wie es in dem Papier heißt.

Um das zu erreichen, müsse sich der Bund am Ausbau der Hafeninfrastruktur beteiligen und verlässlich festlegen, in welcher Weise er die Offshore-Windkraft über das Energie-Einspeisegesetz zu fördern gedenke. Sollte der Übertragungsnetzbetreiber Tennet nicht in der Lage sein, seinen Verpflichtungen zum Netzausbau nachzukommen, müsse die Bundesregierung handeln.

Passend zum Termin hat Tennet die Konverterstation Dolwin Alpha auf Pfähle ins Meer gesetzt. Sie soll den Wechselstrom dreier Windparks mit 800 Megawatt Leistung in Gleichstrom verwandeln und verlustarm an Land transportieren.

Dem Appell, der bei einer Konferenz der norddeutschen Wirtschafts und Energieminister unterzeichnet wurde, schloss sich auch die IG Metall an. Vor der Tür in Cuxhaven demonstrierten 400 Beschäftigte der Branche für ihre Arbeitsplätze. Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) sagte: „Offshore ist der Eckpfeiler der Energiewende.“

Wie tragend dieser ist, darüber gibt es vermehrt Zweifel. Der Bundesverband Windenergie (BWE), der vor allem die kleinen und mittleren Anlagen-Betreiber vertritt, hat den Appell nicht unterschrieben. „Der BWE sieht das immer etwas distanzierter“, sagt dessen Sprecher Matthias Hofstätter. Der Verband geht davon aus, dass an Land wesentlich mehr Windkraft erzeugt werden kann, als früher vermutet wurde. Neue Standorte und höhere Windräder relativierten die Bedeutung der Windkraft auf See.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!