Retterin gesucht: Linke hofft auf Wagenknecht
Nordrhein-Westfalen könnte für den Wiedereinzug der Linken in den Bundestag entscheidend sein. Sahra Wagenknecht soll die Stimmen holen.
ESSEN taz | Die im Saarland gemeldete Berlinerin Sahra Wagenknecht soll die Linkspartei in Nordrhein-Westfalen retten. Beim Landesparteitag in Essen nominierten 93,1 Prozent der Delegierten Wagenknecht für Platz eins der Landesliste für die Bundestagswahl. GegenkandidatInnen hatte die Parteilinke nicht.
Vor kurzem sollte Wagenknecht den Linken schon in Niedersachsen helfen. In den letzten Wochen des Landtagswahlkampfs war sie dort auf vielen Plakaten zu sehen, stand allerdings gar nicht zur Wahl.
Als bevölkerungsreichstes Bundesland gilt Nordrhein-Westfalen als mitentscheidend für den Wiedereinzug der Linken in den Bundestag – an Rhein, Ruhr und Lippe leben etwa 22 Prozent aller WählerInnen. Sollte die Partei hier weniger als drei Prozente einfahren, könnte dies das Ergebnis unter die 5-Prozent-Hürde drücken und damit das Ende der linken Bundestagsfraktion einläuten. Bei den Bundestagswahlen 2009 hatte die Partei in NRW mit 8,6 Prozent einen klaren Erfolg verbuchen können. Bei der Landtagswahl 2012 kam die Linke dagegen nur auf 2,5 Prozent.
Landesverband zerstritten
Entsprechend verunsichert präsentiert sich der in die Strömungen Antikapitalistische Linke (AKL) und Sozialistische Linke (SL) gespaltene Landesverband – RealpolitikerInnen des Forums Demokratischer Sozialismus spielen in NRW keine Rolle. SL und AKL waren schon im Vorfeld des Parteitags via „Positionspapieren“ aneinandergeraten: So forderte der Abgeordnete Paul Schäfer gemeinsam mit Landesvize Hans Günther Bell ein Ende der Angriffe auf die Bundeschefin Katja Kipping.
Zuvor hatten die zur AKL zählenden NRW-Bundestagsabgeordneten Inge Höger und Ulla Jelpke moniert, Kippings Offerten an SPD und Grüne seien „nervig“: Die Parteichefin suche „den Anschluss an zwei konkurrierende, prokapitalistische“ Parteien.
„Noch heute toben sich insbesondere in den Führungsgremien der Landespartei die ProtagonistInnen der verschiedenen Strömungen aus, scheinbar unbeeindruckt vom ernsten Zustand der Partei“, klagt darum der ehemalige Justiziar der Landtagsfraktion, Gerhard Militzer, in einem weiteren Papier – selbst berät der linke Jurist heute die Piraten, die anstelle seiner eigenen Partei im Düsseldorfer Parlament sitzen.
Wagenknecht versuchte, die zerstrittenen Strömungen mit scharfen Angriffen auf die Sachpolitik der übrigen im Bundestag vertretenen Parteien zu vereinen. Eine ganz große Koalition aus Union, SPD, FDP und Grünen sei verantwortlich für die immer offensichtlicher werdende soziale Spaltung, für „Agenda“, „Altersarmut“ und „Hartz IV“.
Spitzensteuersatz: 53%
Kein Thema waren dagegen die Steuerpläne der Linken: Parteichefin Kipping hatte zuvor Spekulationen zurückgewiesen, die Partei wolle Jahresgehälter auf maximal 480.000 Euro begrenzen. Stattdessen soll der Spitzensteuersatz wie zu Zeiten Helmut Kohls auf 53 Prozent steigen. Ab einem Einkommen von einer Million Euro sollen 75 Prozent fällig werden. SPD-Bundestagsfraktionsvize Joachim Poß hatte die Pläne als „jenseits aller Vernunft und Realitätstauglichkeit“ kritisiert.
Wie zuvor Bundeschef Bernd Riexinger erteilte Wagenknecht deshalb einem Lagerwahlkampf zwischen Schwarz-Gelb und Rot-Grün eine Absage: Ein „linkes Lager“ mit Sozialdemokraten und Grünen existiere nicht. Gerade in der Sozialpolitik gebe es „keinen relevanten Unterschied“ zwischen Kanzlerin Merkel und dem „Millionär“ sowie SPD-Spitzenkandidaten Peer Steinbrück, so die Parteilinke unter heftigem Applaus der Delegierten.
Die wählten mit Ausnahme des Rentenexperten Matthias Birkwald AKL-nahe KandidatInnen auf die aussichtsreichsten ersten sechs Listenplätze. „An Wagenknecht führt eben kein Weg vorbei“, kommentierte ein einflussreicher Genosse aus NRW: „Sie ist das einzige Gesicht, das wir haben.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist