Restauratorin über Erhalt von Leichen: „Ich nehme die Bilder mit“
Restauratorin Monika Lehmann säubert Leichen des Völkermords in Ruanda. Sie empfindet das als Geschenk, stößt aber auch an ihre Grenzen.
taz: Frau Lehmann, wie unterscheidet sich die Reinigung der Opfer des Völkermords in Ruanda von der Arbeit mit Moorleichen aus Niedersachsen?
Monika Lehmann: Für uns archäologische Restauratoren zählt zunächst einmal das Ausgangsmaterial: Hier handelt es sich um Menschen. Es geht um Haut, Knochen, Haare, Zähne und Textilien. Es kommt aber auch auf den Zustand der Überreste an. Was hat zu ihrer Erhaltung geführt? In Deutschland ist bei Moorleichen die natürlich konservierende Bodenzusammensetzung in den Mooren verantwortlich. In Ruanda sind die Leichen durch den regelmäßigen Auftrag von Kalk erhalten.
Das ist eine sehr technische Antwort. Berührt Sie diese Arbeit auch?
Je mehr von einem Menschen erhalten ist, desto persönlicher und emotionaler ist die Auseinandersetzung. In Deutschland haben wir es sehr häufig nur mit skelettartigen Überresten aus der Vergangenheit zu tun. Wenn man nur noch einen Fingerknochen aus einem sächsischen Gräberfeld hat, ist es unpersönlicher. Beim Völkermord in Ruanda ist es sehr viel emotionaler. Er ist vor noch nicht einmal 25 Jahren geschehen. Wir hätten diese Menschen noch kennenlernen können.
Das heißt, der Faktor Zeit macht den Unterschied?
Sicherlich hat es auch damit zu tun, dass der Völkermord noch nicht so lang zurückliegt und ich mich gut an die entsetzlichen Ereignisse erinnern kann. Die Auseinandersetzung mit den Opfern des Genozids in Ruanda ist für mich in meinem bisherigen Berufsleben tatsächlich die emotionalste Herausforderung.
58, ist archäologische Restauratorin beim Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege in Hannover. Sie ist die Leiterin der Restaurierungswerkstatt und hat nach eigenen Angaben zu viel mit administrativen Tätigkeiten zu tun. Ihre Abteilung ist zuständig für alle archäologischen Objekte, die in Niedersachsen gefunden werden.
Wie sind Sie zu der Arbeit mit menschlichen Überresten gekommen?
Durch meinen Beruf als archäologische Restauratorin. Wir werden in unserem Berufsleben immer wieder mit menschlichen Überresten konfrontiert. Ausschlaggebend für den Kontakt in diesem Projekt ist aber bestimmt meine Erfahrung, die ich bei der Bearbeitung von Moorleichen machen konnte.
Dem Genozid fielen 1994 zwischen 800.000 und einer Million Menschen zum Opfer.
Zu ihnen zählten vorwiegend Tutsi, die von der Hutu-Mehrheit ermordet wurden. 60 Prozent der Hutu-Männer sollen an den Taten mit Macheten und Nagelkeulen zwischen April und Juli beteiligt gewesen sein.
Auslöser war der Konflikt zwischen der Regierung Ruandas und Tutsi-Rebellen.
Die juristische Aufarbeitung unter anderem durch den Internationalen Strafgerichtshof dauert noch an.
Sie kümmern sich beim Landesamt für Denkmalpflege um archäologische Objekte, die in Niedersachsen gefunden wurden. Wie passen da die Opfer des Völkermords in Ruanda hinein?
Niedersachsen hat viele Moore und wir haben bekannte Moorleichen. Bei ihrer Erforschung gibt es eine langjährige Zusammenarbeit mit der Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf. Die Uniklinik kooperiert zudem schon lange mit mehreren Institutionen in Kigali in Ruanda. Dies betrifft den Wissenstransfer auf den Gebieten der forensischen Arbeit, Medizin und Psychologie. Vor eineinhalb Jahren hat sich mit der Nationalen Kommission für den Kampf gegen Völkermord (CNLG) ein neues Projekt ergeben.
Und zwar?
Man wollte menschliche Überreste aus der Zeit des Genozids in der Gedenkstätte Murambi in Ruanda, die seit 20 Jahren regelmäßig mit Kalk behandelt werden, reinigen. Sie sollen so langfristig erhalten und würdevoll präsentiert werden.
Und wie kamen Sie da ins Spiel?
Die Kollegen aus Hamburg haben sich bei dieser speziellen Fragestellung an uns erinnert und uns um Hilfe gebeten. Zur Vorbereitung sind daher zwei kleine Asservate für eine Probereihe nach Hannover gekommen. So konnten wir schon vor unseren Reisen nach Ruanda im Juli 2017 und Februar 2018, ein Reinigungskonzept entwerfen.
Wie sieht das aus?
Die Kollegen aus Ruanda haben die knapp 850 in Murambi erhaltenen menschlichen Überreste jedes Jahr mit einer neuen Kalkschicht versehen, um sie zu konservieren. Wir haben diese Schicht abgetragen, mit einem Feinstrahlgerät und Korkmehl als Strahlgut. Damit kann die Oberfläche mit geringem Druck gespritzt und freigelegt werden. Ziel ist es, die menschlichen Überreste ohne Einbringung weiterer Konservierungsmittel langfristig zu erhalten. So wie es auch bei den Moorleichen in Niedersachsen – etwa dem Roten Franz, der im Jahr 1900 im Emsland gefunden wurde – gelungen ist.
Welche Parallelen gibt es denn zwischen Moorleichen wie dem Roten Franz und den Genozid-Opfern in Ruanda?
Im Gegensatz zu den Moorleichen ist die Mumifizierung der Genozid-Opfer keine natürliche, sondern auf die Behandlung mit Kalk zurückzuführen. Auch dabei wird Körperflüssigkeit entzogen, es kommt zu Schrumpfungen und Gewichtsverlust. So wiegt beispielsweise der Körper eines erwachsenen Mannes von etwa 1,80 Meter Größe nur noch ungefähr 18 Kilo.
Sie haben auch Überreste von Kindern gereinigt. Konnten Sie das ohne Weiteres?
Das ist eine besondere Herausforderung. Wenn man das erste Mal in einen Raum geht, in dem 20, 30 Leichen liegen, berührt einen das schon sehr. Meine Kollegen und ich konnten aber in einen professionellen Modus schalten und haben uns mit unserer Aufgabe identifiziert. Aber klar, je mehr man von einer Leiche freilegt, desto deutlicher wird das Schicksal.
Sie konnten also Rückschlüsse auf die Taten ziehen?
Nach der Reinigung konnten manche Verletzungen noch besser identifiziert werden. Man sieht die Verletzungen deutlicher, sieht, wo vielleicht der Schlag mit der Machete traf. Bei manchen Opfern haben die Täter zunächst die Achillesferse verletzt, damit sie nicht fliehen konnten. Man konnte auch Abwehrverletzungen an Händen erkennen. Oder Macheten-Hiebe auf den Köpfen. Es waren Verletzungen, die mit äußerstem Willen der Vernichtung durchgeführt wurden.
Wie hält man das aus?
Da mussten wir schon schlucken. So eine Arbeit kann man auch nur in einem Team machen. Und man muss sich manchmal eine Auszeit an der frischen Luft nehmen.
Ist das alles?
Natürlich nehme ich Bilder und Eindrücke von der Arbeit auch mit nach Hause. Es sind aber ebenso Bilder und Eindrücke von der Gastfreundschaft und der wirklich guten Zusammenarbeit mit den Kollegen. Es hilft auch immer, über das Erlebte zu reden.
Was bedeutet Ihnen die Arbeit in Ruanda?
Wenn wir in ein paar Jahren zurückschauen, werden wir wohl sagen, dass das ein herausragendes und bewegendes Projekt war. Ich habe in meinen kühnsten Träumen nicht daran gedacht, dass wir einmal in Ruanda für die Reinigung von Genozid-Opfern unsere Berufserfahrung einbringen werden. Das ist ein Vertrauensbeweis und ein großes Geschenk.
Was passiert nun mit den gereinigten Überresten?
2019 jährt sich der Genozid der Hutu-Mehrheit an den Tutsi zum 25. Mal. In der Gedenkstätte in Murambi sollen 20 gereinigte und konservierte Leichen ausgestellt werden. Sie sind stumme Zeitzeugen. Ruanda will sich ganz bewusst seiner Vergangenheit stellen. Denn so wie wir in Deutschland Holocaust-Leugner haben, gibt es dort Menschen, die sagen, dass der Völkermord so nicht stattgefunden hat. Ruanda hat darum mit dem CNLG eine Kommission zum Kampf gegen Völkermord eingerichtet. Das soll eine Grundlage sein, um sich zu versöhnen. Das wirkt den Tätern entgegen, die niemanden übrig lassen wollten, der die Geschichte der Opfer erzählen kann.
Was ist Ihre Rolle in dieser Geschichte? Sind Sie es, die die Geschichten der Opfer erzählt?
Ich spiele in der Geschichte des Völkermordes keine Rolle und ich erzähle schon gar nicht die Geschichte der Opfer. Meine Rolle ist es, den Kollegen vom CNLG in Ruanda zu helfen, ihren Wunsch, die Human Remains zu reinigen und eine gute Lösung für eine Konservierung zu finden, umzusetzen. Die Geschichte wird von den Menschen in Ruanda selbst erzählt und die menschlichen Überreste in Murambi helfen dabei, diese Geschichte nicht zu vergessen und die Leugner Lügen zu strafen.
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