Respektpreis für Pinkballroom: Sie führt, sie folgt …
Paartanz muss nicht hetero sein. Almut Freund und Doro Arning tanzen schon seit 24 Jahren bei der Berliner Tanzabteilung für Equality-Tanz.
Seit 24 Jahren tanzen Doro Arning und Almut Freund miteinander, Standard und Latein. Sie meinen es ernst mit ihrem Sport: Dreimal die Woche trainieren sie in Gruppenkursen, dazu kommen meistens drei individuelle Trainings, bei denen sie hin und wieder von ihrer Lehrerin beraten werden. Mittlerweile gehören sie zu den erfolgreichsten gleichgeschlechtlichen Tanzpaaren Deutschlands in ihrer Altersklasse über 60. 2018 gewannen sie sogar die Weltmeisterschaften in der Kategorie „10 Tänze Seniorinnen“. Sie repräsentieren damit einen Sport, der erst in den 1990ern offizielle Anerkennung fand: den Equality-Tanz.
An diesem Montagmorgen haben Arning und Freund den Tanzraum der Turngemeinde in Berlin (TiB) ganz für sich allein. Graues Herbstlicht fällt durch die Fensterfront, eine einsame Diskokugel hängt von der Decke. Sie üben fünf unterschiedliche Tänze, Slow Fox, Tango, Langsamen Walzer, Wiener Walzer und Quickstep, durchqueren den Saal mit leichten Schritten, jede Handbewegung, jeder Blick gehört zur Choreografie. Am Ende wischt sich Arning etwas Schweiß von der Stirn. Es ist also doch anstrengend, dieses scheinbare Schweben. „Es ist richtiger Sport“, sagt Freund. „Ich bin fitter, als ich es vor 30 Jahren war.“
Richtiger Sport – das wurde Equality-Tanz auch durch Pinkballroom. So heißt die Equality-Tanzabteilung innerhalb des Tanzvereins des TiB. Als sie 1998 gegründet wurde, bot sie gleichgeschlechtlichen Tanzpaaren und insbesondere queeren Tänzer*innen in Deutschland zum ersten Mal die Möglichkeit, in einem Tanzverein des Deutschen Tanzsportverbandes (DTV) zu trainieren. Die Bedeutung, die Pinkballroom für den Equality-Tanz seit nunmehr 26 Jahren hat, wird dieses Jahr besonders gewürdigt: Die Tanzabteilung ist eine der drei Nominierten für den diesjährigen Respektpreis des Berliner Queer-Bündnisses, der am 2. Dezember vergeben wird (siehe Kasten).
Chronik der Meilensteine
Pinkballroom hat gleichgeschlechtliches Tanzen nicht erfunden. Auf der Website erinnert eine Chronik an die Meilensteine, die den Paartanz aus seinem heteronormativen Korsett befreiten. 1983 gibt es in Berlin ein erstes freies Tanzangebot namens „taktlos“, das sich nach eigener Beschreibung „gegen Knigge und feste Rollenverteilung“ positionierte. Wenige Jahre später startet dann in Berlin der erste Paartanz-Unterricht für Frauenpaare, ab 1986 bietet die Schokofabrik, ein aus einer Hausbesetzung entstandenes lesbisches Wohnprojekt in Kreuzberg, Tanzkurse für Lesben an. Kurze Zeit darauf folgt der erste dezidierte Tanzkurs für schwule Männer.
Was als Freiraum für queere Menschen beginnt, entwickelt sich zu einer eigenen Disziplin. Das erste Equality-Turnier Deutschlands findet 1994 in Oldenburg statt. Als mit Pinkballroom ein Equality-Tanzverein Teil des DTV wird und 1999 mit den „Berlin Open“ ein erstes eigenes Turnier veranstaltet, stellen sich neue Fragen der Anerkennung. „Es gab die Diskussion, ob die Wertungsrichter*innen des DTV ihre Lizenz verlieren, wenn sie unser Turnier begleiten“, berichtet Kerstin Kallmann. Sie gehört zur Leitung der TiB-Tanzsportabteilung und tanzt seit Jahren in den Kursen von Pinkballroom. Der Berliner Landestanzverband habe sich damals klar positioniert: „Der Präsident des LTV hat sich selbst als Wertungsrichter an die Tanzfläche gestellt, und dadurch allen zukünftigen Wertungsrichter*innen bei Equality-Turnieren den Rücken gestärkt.“
Für Almut Freund und Doro Arning bedeutet Pinkballroom den Beginn einer neuen Ära. Lange Zeit haben sie überhaupt keinen Bezug zu Paartanz. „Ich hatte eher so Bilder im Kopf“, sagt Freund, „so was Spießiges“, ergänzt Arning. Einerseits haben sie als junge Erwachsene Lust auf andere Musik. „Ich habe lieber für mich getanzt“, sagt Arning und schüttelt den Kopf wie auf einem Punk-Konzert. Andererseits schreckt sie auch die konventionelle Mann-Frau-Aufteilung beim Paartanz ab. „Ich hätte mich nie in eine Tanzschule begeben, ich fand schon damals Mädchen gut, und da wählen ja dann die Jungs aus, das hätte ich bestimmt doof gefunden“, erzählt Freund.
Erste Erfahrungen mit Paartanz machen sie in den frühen 90er Jahren in den Kursen der Schokofabrik, da sind sie schon seit ein paar Jahren zusammen. „Damals gab es einen richtigen Tanzboom“, erinnert sich Freund. So richtig auf den Geschmack kommen sie aber erst bei einem Tanzevent in Bremen, wo sie einige Zeit auch wohnen: „Da haben wir gleichgeschlechtliche Paare gesehen, die haben richtig gut getanzt, richtig knackig“, sagt Freund.
Erster Turnierbesuch
Wenig später besuchen sie gemeinsam ein Equality-Turnier in Hannover. „Das hat uns so berührt“, sagt Doro Arning. „Dieses Selbstverständliche, und mit tollen Kostümen, und die Leute hatten einfach Spaß“, sagt Freund. Ein Frauenpaar bekommt den Publikumspreis – es trainiert bei Pinkballroom. „Als wir zurück nach Berlin gezogen sind, haben wir direkt Kontakt aufgenommen“, sagt Almut Freund. Dass sie bald darauf an Turnieren teilnehmen würden, damit hätten die beiden damals nicht gerechnet. „Aber dann waren die ‚Berlin Open‘ 2001 und schwups waren wir dabei. Von vier Paaren sind wir auf dem dritten Platz gelandet, es gab also immerhin eine Medaille“, erinnert sich Doro Arning. Seitdem fahren sie mehrmals im Jahr zu Turnieren. „Es ist einfach toll, man sieht richtig gute Paare, die auch mal besser sind als man selbst, man feiert sich gegenseitig.“
Almut Freund berichtet, dass die Wertungsrichter, die zum ersten Mal bei einem Equality-Turnier dabei sind, oft sagen, „dass die Stimmung auffällig euphorisch ist“. Anders als im Hetero-Tanzen herrsche eine grundsätzliche Freude darüber, so viele gleichgeschlechtliche Paare zu sehen. Und durch eine flexiblere Kleiderordnung und weniger strikte Regeln, die den Führungswechsel zulassen, lassen die Equality-Turniere den Teilnehmer*innen mehr Freiheiten.
Freiheiten, die den Equality-Tanz ausmachen – und die Kerstin Kallmann lieber öfter genutzt sähe. „Das Professionalisieren hat geklappt, aber mit dem sportlichen Erfolg gibt es auch stärkere Assimilierungstendenzen.“ Zum Beispiel, was das Erscheinungsbild betreffe. Zahlreiche Frauen-Paare präsentierten sich mittlerweile wie ein Hetero-Paar: Die führende Person im Hosenanzug, die folgende im Kleid. „Ich möchte den Paaren, die einem Frau-Mann-Schema nahe kommen nicht unterstellen, dass sie es für den Erfolg machen“, betont sie. „Aber wenn ich mit meiner Partnerin auf der Tanzfläche stehe und wir das einzige Paar sind, wo beide Hosen tragen, dann fühle ich mich wie ein Fremdkörper.“
Auch den Führungswechsel, ein Alleinstellungsmerkmal des Equality-Tanzens, beobachtet Kallmann auf Turnieren immer seltener. Um eine sehr gute Bewertung zu erhalten, sei es nun mal leichter, nur eine statt beider Rollen einzuüben. Kallmann möchte aber mit ihrer Tanzpartnerin bewusst durchwechseln, mal führen, mal folgen. „Ich finde das super spannend, einerseits um zu verstehen, was die andere Rolle will, und auch um die Hierarchie zu glätten. Tanzen ist ja eigentlich ein sehr konservativer Sport und es wird viel Hierarchie vermittelt: Führend gilt beim konventionellen Tanzen sogar heute noch häufig als wichtiger, folgend soll sozusagen einfach nur schön sein.“
Rollentausch auf dem Tanzparkett
Freund und Arning tanzen in festen Rollen. Nicht, weil das den Bewertungsrichter*innen besser gefällt. „Ich hatte das Gefühl, beides zu lernen, das könnte ich nicht“, sagt Freund. Trotzdem empfinden beide die Aufteilung in führend und folgend nicht als Einengung, im Gegenteil. „Wir haben ein bisschen die Rollen getauscht, in unserer Beziehung bin ich eher die nachgiebige“, sagt Arning. „Für mich war es toll zu merken, wie gut Doro die führende Rolle übernehmen kann und ich mich da reingeben kann“, sagt Freund.
Was die Kleidung betrifft, haben sich Almut Freund und Doro Arning über die Jahre tatsächlich angepasst. Sie zeigen ein altes Foto von einem Turnier, bei dem sie noch im Partnerinnenlook antraten: Beide tragen ein schwarzes Spitzenoberteil mit pinkem Kragen, dazu Hosen. „Das war am Anfang der Trend, dass man etwas Ähnliches an hat“, sagt Freund.
Bei jüngeren Auftritten trägt sie nun Kleider, ein wallend langes Ballkleid für die Standard-Tänze, ein Pailletten-Kleid für Latein. „Unser Trainer hat auch gesagt, dass es gut wäre, die Rollen ästhetisch zu differenzieren“, sagt Arning. Und Freund hat Spaß daran: „Man kann da so eine Seite ausleben. Wann würde ich sonst mal so etwas anziehen?“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen