■ „Republik Srpska“: Machtkampf spaltet die Gesellschaft: Zwischen Mythos und Realität
Hand in Hand kämpften Radovan Karadžić und Biljana Plavšić, der Präsident und seine Vizepräsidentin, für ihren Traum: den unabhängigen serbischen Staat in Bosnien. Im Namen der heiligen orthodoxen Kirche und des Serbentums, besessen vom nationalistischen Wahn, gaben sie ihren Segen zum mörderischen Krieg, der „ethnischen Säuberung“. Beharrlich nannten sie ihr Werk der Zerstörung „die Verteidigung der serbischen nationalen Interessen“.
Erst die Niederlage der bosnisch-serbischen Streitkräfte führte zur Ernüchterung der Intellektuellen in der Führung der bosnischen Serben. Die „ehrlichen Nationalisten“, die „nationalen Romantiker“ entdeckten plötzlich den sozialen und wirtschaftlichen Ruin des serbischen Volkes in der „Republik Srpska“ auf der einen Seite. Auf der anderen Seite sahen sie die Clique um Radovan Karadžić in Pale, die aus dem Krieg ein glänzendes Geschäft gemacht hatte, die durch Plünderung, Unterschlagung der humanitären Hilfe und Schmuggel Reichtümer anhäufte. Karadžić' zweiter Vizepräsident, der Shakespeareologe Nikola Koljević, hielt den Druck nicht aus, flüchtete zunächst in den Alkoholrausch, um sich schließlich in seiner Wohnung zu erschießen.
Während das Bergdorf Pale weiterhin, von der Welt abgeschnitten, den großserbischen Mythos lebt und die Karadžić ergebene Führung sich der ganzen Welt widersetzt und hysterisch ihren Reichtum und das nackte Leben verteidigt, hat Biljana Plavšić die Realität erkannt: Die bosnischen Serben können nur durch die Zusammenarbeit mit der UNO, der Nato und der EU überleben. Das Abkommen von Dayton ist ihr einziger Schutz gegenüber den mittlerweile militärisch übermächtigen Bosniaken und Kroaten. Mit schlichten sozialen Parolen gewann die Präsidentin auch das völlig verarmte Volk für ihre Seite. Die Problematik der Kriegsverbrechen und der Rückkehr der Flüchtlinge kann Plavšić dabei aber immer noch nicht offen ansprechen.
Der enge, schlechtgepflasterte Korridor ist das einzige, was Pale und Banja Luka noch miteinander verbindet. Die Regierung in Pale und die Präsidentin in Banja Luka erkennen einander nicht an, das Rechtswesen, das Heer, die Polizei und das Volk sind gespalten. Wieder einmal allein gegen die ganze Welt, hat Pale den Kampf in seinem Größenwahn jedoch bereits verloren.
Andrejj Ivanji
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