Repressionen in Aserbaidschan: Jagd auf Gegner des Regimes
Bei Demonstrationen gegen die Regierung in der Hauptstadt Baku nimmt die Polizei über 200 Personen fest. Ein kritischer Journalist wird entführt und zusammengeschlagen.
BERLIN taz | Ramin Deko, Mitarbeiter der kritischen aserbaidschanischen Zeitung Asadlyg (Freiheit), hatte am Montagabend gerade die Redaktion in der Hauptstadt Baku verlassen, als sich ihm zwei Unbekannte näherten. Er solle gefälligst objektiv berichten, hatten sie ihm zugeraunt, bevor sie auf ihn einschlugen.
Bereits am Sonntag war Deko von Unbekannten entführt worden, die acht Stunden lang mit dem Journalisten ein "erklärendes Gespräch führten", wie die Entführer es nannten. Der Journalist hatte über die Demonstration der aserbaidschanischen Opposition vom vergangenen Samstag berichtet und das brutale Vorgehen der Polizei dokumentiert.
Doch nicht nur auf kritische Journalisten wird derzeit in der Kaukasusrepublik Jagd gemacht. Gegen vier aserbaidschanische Oppositionspolitiker, die zu der Demonstration vom Samstag mit aufgerufen hatten, wurde jetzt Anklage wegen Störung der öffentlichen Ordnung erhoben. Dies berichtet die aserbaidschanische Nachrichtenagentur "Turan" unter Berufung auf die Staatsanwaltschaft von Baku. Bei einer Verurteilung drohen ihnen drei Jahre Haft.
Über 200 Personen waren am vergangenen Samstag in Baku vorübergehend festgenommen worden, als sie bei einer nicht genehmigten Demonstration der Oppositionsparteien "Musavat" und "Volksfront Aserbaidschans" ihrem Ärger Luft gemacht hatten. Tausende hätten an der Demonstration teilgenommen, berichtet Isa Gambar, der "Musavat"-Vorsitzende laut "Kavkaskij Usel", dem Nachrichtenserver der Menschenrechtsorganisation "Memorial".
Mit Parolen wie "Wir wollen Freiheit" und "Ilcham geh" richteten die Demonstranten ihre Wut gegen den aserbaidschanischen Präsidenten Ilcham Aliew. "Wir sind jetzt auf der Straße, weil wir uns die Willkür der Bürokraten und deren Korruption nicht mehr länger bieten lassen wollen. Wir haben niedrige Renten und gleichzeitig schwimmt die herrschende Elite im Luxus", zitiert "Kavkaskij Usel" eine Frau.
"Die Proteste in Nordafrika haben die Menschen hier inspiriert und deutlich gemacht, dass wir die Kraft haben, unser Schicksal in unsere Hände zu nehmen. Von massenhaften Protesten wie in Ägypten oder Syrien sind wir noch weit entfernt. Die Ereignisse in der arabischen Welt haben aber ihre Spuren im Denken und Fühlen der Menschen hinterlassen, viele ideologisch geprägte Vorstellungen wurden aufgebrochen" sagt die aserbaidschanische Journalistin Sevda Babajewa.
Der aserbaidschanische Menschenrechtler Avas Hasanov ist überrascht von der Wut und der Bereitschaft zur Konfrontation. "Die Sicherheitskräfte sind mit einer sehr großen Brutalität vorgegangen. Ich hatte Angst, dass es Tote gibt. Wäre das passiert, wäre die Lage völlig außer Kontrolle geraten", sagt Hasanov. Die Opposition hat unterdessen über Facebook, Twitter und Internet-Blogs weitere Demonstrationen angekündigt.
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