Repression im Iran: Der Staatsfeind ist ein Künstler
Eineinhalb Jahre nach der "grünen Revolution" will das Regime vor allem mit Repression die Kontrolle zurückgewinnen. Die Attacken gelten verstärkt den Kulturschaffenden.
Eine sogenannte "Denkfabrik für sanfte Sicherheit" im Iran hat eine überraschende Entdeckung gemacht: Nicht die Protestdemonstrationen im eigenen Land oder ausländische Wirtschaftssanktionen und Kriegsdrohungen seien die eigentliche Gefahr für die Existenz der Islamischen Republik. Es ist die Kultur, es sind die Künstler, Schriftsteller, Filmemacher, Journalisten, die wie eine Schar von Viren, unauffällig und unkontrollierbar, sich mit immer größerem Tempo verbreiten und das ganze Land mit westlicher Dekadenz verseuchen. Ausländische Mächte seien in Zusammenarbeit mit einheimischen Lakaien am Werk, um still und heimlich den Gottesstaat zu unterhöhlen und eine "sanfte Revolution" herbeizuführen.
Nun hat die vermutlich im Auftrag des Ministeriums für islamische Führung arbeitende "Denkfabrik" in einer 63-seitigen Broschüre mit dem Titel "Das bunte Geflüster" das Ergebnis ihrer Recherchen zum internen Gebrauch der Regierung und der Sicherheitsdienste vorgelegt. Konkret wird der iranische Buchmarkt unter die Lupe genommen. "Die Ereignisse nach den Präsidentschaftswahlen (Juni 2009) und die Geständnisse der Angeklagten haben eindeutig gezeigt, dass die Islamische Republik seit ihrer Gründung und insbesondere im vergangenen Jahrzehnt mit einer neuartigen Form feindlicher Angriffe konfrontiert worden ist", heißt es in der Einleitung. Schlagworte wie "sanfter Umsturz" und "samtene Revolution" hätten in die politische Literatur Einzug gefunden. Nahezu täglich tauchten neue Varianten einer von langer Hand geplanten Strategie des Umsturzes auf.
Selbstkritisch gestehen die Autoren, die Bedeutung dieser Umsturzstrategie nicht hoch genug eingeschätzt und es versäumt zu haben, systematisch dagegen vorzugehen. Man habe sich zu sehr auf politische Aktivitäten konzentriert und kaum wahrgenommen, was sich auf dem Gebiet des Theaters, der Musik, des Films und der Literatur abgespielt habe. Am deutlichsten lasse sich die Entwicklung auf dem Buchmarkt beobachten.
Als Beispiel erwähnt die Broschüre ein Buch mit dem Titel: "Zivilgesellschaft, ziviler Kampf" von Gene Sharp und Robert Helvey, ins Persische übersetzt von Mehdi Kalantarzadeh. Das Buch, das in allen Buchhandlungen verkauft und auf Ausstellungen offiziell präsentiert worden sei, sei ein unüberhörbares Warnsignal gewesen. Dennoch habe es nicht vermocht, "die Verantwortlichen aus ihrem Dornröschenschlaf zu wecken".
Was die nun aufgewachten Denkfabrikanten für Pläne gegen Kulturschaffende schmieden, lässt nichts Gutes erahnen. Zwar ist die seit Jahrzehnten gepflegte Feindschaft der Gottesmänner gegen kritische Künstler, Schriftsteller, Journalisten und Intellektuelle hinlänglich bekannt. Schon im ersten Jahr nach Gründung der Islamischen Republik erließ Revolutionsführer Ajatollah Chomeini wutentbrannt den Aufruf gegen kritische Journalisten: "Brecht ihre Federn!" Hunderte Zeitungen und Zeitschriften wurden verboten, Verlage und Buchhandlungen in Brand gesteckt, Dutzende Kulturschaffende zu langjährigen Haftstrafen oder zum Tode verurteilt.
Der populäre Dichter Said Soltanpur, der das politische Straßentheater in den Iran eingeführt hat, wurde während seiner eigenen Hochzeitsfeier verhaftet und wenige Tage danach hingerichtet. Fortan sollte eine im Rahmen des Ministeriums für islamische Führung eingerichtete Zensurbehörde für die "Islamisierung der Kultur" sorgen.
Schreie des Schweigens
Ende der neunziger Jahre wurden mit der Regierungsübernahme durch Reformer unter Präsident Mohammed Chatami die Zensurmaßnahmen merklich gelockert. Das genügte schon für einen neuen kulturellen Aufschwung. Kunst und Literatur erlebten eine neue Blüte. Der iranische Film erlangte internationales Ansehen.
Dem wollten die Radikalen Einhalt gebieten. Mordanschläge auf Intellektuelle und Schriftsteller, als "Kettenmorde" bekannt, sollten Kritiker das Fürchten lehren. Das Ehepaar Foruhar wurde im eigenen Haus überfallen und bestialisch ermordet. Die Schriftsteller Mohammed Mochtari und Mohammed Jafar Puyandeh sowie der Journalist Ebrahim Zalzadeh wurden entführt und getötet. Irgendwo außerhalb der Stadt fand man ihre Leichen.
Mit der Machtübernahme der Radikalen mit Mahmud Ahmadinedschad an der Spitze 2005 wurde der Kampf gegen das kritische, freie Denken wieder verschärft aufgenommen. Revolutionsführer Ali Chamenei beklagte den Einzug des westlichen Gedankenguts, des säkularen und liberalen Denkens an den Universitäten und forderte eine konsequente Islamisierung der Lehrpläne und Lehrbücher, insbesondere für die Geisteswissenschaften. Es folgte eine gründliche Säuberung der Studenten. Hunderte Professoren wurden in den Ruhestand geschickt, darunter der Rechtswissenschaftler Mohammed Reza Bigdel, der Politikwissenschaftler Abdollah Ramesansadeh, der Soziologe Esfandiar Solghadr. Zudem wurde beschlossen, Universitäten und Schulen unter die Kontrolle der Geistlichkeit zu stellen. Tausende Geistliche sollten die Islamisierung des Lehrbetriebs rasch vorantreiben.
Eine neue Phase der Repressionen begann im Zuge der Unruhen von 2009. Die fantasievollen Slogans, Plakate, Lieder und Spots bei den Protesten, die millionenfach durch das Internet weltweit verbreitet wurden, schreckten die Staatsführung auf. "Hört, wie laut die Schreie des Schweigens sind", heißt es in einem Lied.
Wie war es möglich, dass es den Gottesmännern in den drei Jahrzehnten Islamischer Republik nicht gelungen war, ihre Vorstellung von Kultur und Moral dem Volk und insbesondere der Jugend aufzuzwingen? Trotz aller Maßnahmen hatte sich fast unbemerkt von ihnen eine Lebenshaltung durchgesetzt, die ihnen gänzlich fremd war. Was sollten die radikalen Islamisten mit Rap und Pop-Musik anfangen? Es musste rasch gehandelt werden. Massenfestnahmen und drakonische Strafmaßnahmen sollten dem Treiben ein Ende setzen.
Zwanzig Jahre Berufsverbot
Der international preisgekrönte Filmemacher Jafar Panahi zum Beispiel wurde zu sechs Jahren Haft und zwanzig Jahren Berufsverbot verurteilt, weil er einen Film über die Unruhen von 2009 geplant hatte. Sein Kollege Mohammed Rasoulow erhielt dieselbe Strafe. Die Journalistin Schiwa Nasar-Ahrari und der Journalist Emadeddin Baghi wurden ebenfalls mit jeweils sechs Jahren Gefängnis bestraft. Viele andere erhielten ähnliche Urteile.
Künstler und Autoren, die nicht bereit sind, sich dem Diktat der Staatsführung zu unterwerfen, sollen entweder fortan schweigen oder das Land verlassen. Tatsächlich sind in den letzten Jahren mehrere tausend Journalisten und Kulturschaffende ins Exil gegangen. Der bekannte Journalist Akbar Gandji, die Filmemacher Mohsen Makhmalbaf und Abbas Kiarostami, der Islamforscher und Philosoph Abdolkarim Sorousch oder der kritische Geistliche Mohsen Kadiwar leben inzwischen im Exil.
Auf dem Buchmarkt findet man immer weniger kritische Schriften. Hunderte, gar tausende Manuskripte liegen seit Monaten, manche sogar seit Jahren in der Zensurbehörde. Zahlreiche Verlage sind inzwischen ruiniert, Buchhandlungen mussten schließen. Es gibt kaum noch kritische Autoren, die durch Schreiben ihren Unterhalt verdienen können.
All dies scheint aber den Denkfabrikanten nicht genug. Sie nennen exemplarisch sieben Verlage, darunter Tscheschmeh, Achtaran und Roschangaran mit jeweils mehreren Autoren, die angeblich an dem Plan einer samtenen Revolution aktiv beteiligt sein sollen. Es handelt sich um bekannte, regierungsunabhängige Verlage, die dank bisheriger Vorsichtsmaßnahmen, Selbstzensur und Kompromissbereitschaft noch existieren können.
Zu den Autoren, die namentlich genannt werden, zählen Mahmud Doulatabadi, Ali Darwischian und Simin Behbahani, die zu den populärsten des Landes gehören. Die Verfasser der Broschüre haben einzelne Bücher aus jedem der sieben Verlage recherchiert, wie zum Beispiel das Buch "Das Weltende liegt nah" von Ahmad Sadri. Der Verfasser sei ein Atheist, heißt es in der Broschüre, weil er von einer Welt schwärme, in der alle Menschen, "unabhängig von ihrem Glauben und ihren Neigungen, durch Dialog und gegenseitigen Kompromiss die Probleme demokratisch lösen und ohne Ausgrenzungen und Hegemoniebestrebungen sich gemeinsam für ein fortschrittliches, modernes und demokratisches Iran einsetzen."
Sadri sei auch eindeutig gegen den Revolutionsführer, behauptet die Broschüre, denn er kritisiere die "ideologiebehaftete Politik und Planung" und werfe der Staatsführung vor, "nicht kompromissbereit" zu sein. "Sie wollen nicht akzeptieren, dass sie ihre Ideale und Vorstellungen reduzieren und mit der Realität in Einklang bringen müssen", wird Sadri zitiert.
Dem Schriftsteller Ehsam Noruzi werden umstürzlerische Absichten unterstellt, weil er schreibt: "In dieser Stadt musst du als Erstes lernen, deine Träume zu vergessen. Denn was du im wachen Zustand siehst, ist die Wirklichkeit deiner Albträume. Wenn du etwas anderes suchst, musst du dich unter die Erde begeben, zu den Gräbern."
Dem Verlag Tscheschmeh, der unter anderem die Werke einiger populärer Autoren wie die von Mahmud Dolatabadi verlegt, der auch in Deutschland bekannt ist, wird in der Broschüre vorgeworfen, in einer dem Verlag gehörenden Buchhandlung Sitzungen mit Autoren abgehalten zu haben, auf denen über Zensur, freie Meinungsäußerung und Probleme des Verlagswesens gesprochen worden sei. Außerdem sei der Verleger im Vorstand des Vereins der Verleger und Buchhändler und pflege Kontakt zum iranischen Schriftstellerverband! Auch dem Frauenverlag von Schahla Lahidji wird Mitwirkung bei der Vorbereitung einer samtenen Revolution unterstellt, weil er feministisches Gedankengut verbreite und sich hauptsächlich den Rechten der Frauen widme!
Die Broschüre "Das bunte Geflüster" ist eine Aufforderung an die Justiz, zu handeln, ehe es zu spät ist. Für die Autoren und die Verleger bedeutet sie eine ernste Gefahr, die sie nur abwenden können, wenn sie fortan schweigen, ihren Beruf aufgeben oder dem Land den Rücken kehren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Aktionismus nach Magdeburg-Terror
Besser erst mal nachdenken
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung