Reportage aus Iowa: "Jeder sollte für sich selbst sorgen"
Ein knapper Sieg in Iowa macht Mitt Romney zum Favoriten für die republikanische Präsidentschaftskandidatur. Der konservative Staat erlebt einen Moment der Basisdemokratie.
DES MOINES taz | Der spätere Wahlsieger trägt an diesem Dienstagmorgen einen blauen Pullover über dem Hemd. Und keine Krawatte. Während ein republikanischer Abgeordneter Mitt Romney als "künftigen Präsidenten der USA" vorstellt, vergräbt dieser beide Hände in den Taschen seiner Jeans.
Aber Romney wirkt auch in lockerer Kleidung steif. Er bleibt es, als er seine Frau in den Arm nimmt und sie "sweetheart" nennt. Und als er die Namen der vier jungen Männer aufzählt, die hinter ihm stehen und aussehen, als wären sie seine Klons. Dieselben eng zusammenliegenden Augen, dieselbe betont lockere Körperhaltung. Die beinahe komplette Familie Romney steht auf der Bühne des Temple for Performing Arts in Des Moines. Der Kandidat hat um 7.50 Uhr morgens zu seiner letzten Wahlkampfversammlung eingeladen.
Am Abend ist der Caucus in Iowa, bei dem 122.655 Republikaner per Handzettel kundtun werden, wer ihr Favorit unter den republikanischen Präsidentschaftskandidaten ist. Bevor Romney die Misserfolge von Barack Obama aufzählt, angefangen bei dessen zu schwachen Iran-Sanktionen, demonstriert er, dass er mehr ist als ein kühler Macher, Exgouverneur von Massachusetts und Unternehmer: nämlich ein aufmerksamer Familienvater. Es gelingt perfekt. Beinahe.
Nur einen Augenblick lang geht eine Erschütterung durch das Familienbild im Theater. Romney, der zu jedem Sohn auch die Zahl der dazugehörigen Kinder nennt, hat ein Kind zu viel genannt. Der Sohn korrigiert ihn. "Vielleicht weißt du es ja noch gar nicht", sagt der Kandidat.
Diskussionen auf dem Land, mit einer handvoll Teilnehmern
In der dritten Reihe des Theaters sitzt Cathy Stone auf einem der goldlackierten Stühle. Die Französischlehrerin hat mehrere spätere US-Präsidenten im Vier-Augen-Gespräch erlebt. In Iowa ist das nicht ungewöhnlich. In dem Bundesstaat im Mittleren Westen hat seit 1972 noch jeder Präsidentschaftswahlkampf der USA begonnen. Lange vor den eigentlichen Wahlen schwärmen die Kandidaten aus auf das flache Land zwischen Maisfeldern. Und halten Diskussionen mit oft nur einer Handvoll Teilnehmern ab. Sie führen zu dem Caucus, mit dem Iowa im Januar des Wahljahrs den Auswahlprozess eröffnet, aus dem im Sommer der offizielle Kandidat der Partei hervorgeht. Wer in Iowa gewinnt, hat noch lange nicht die Nominierung seiner Partei in der Tasche. Aber auf jeden Fall ein wichtiges Symbol.
Cathy Stone ist Republikanerin: "Weil ich katholisch bin und gegen Abtreibungen." Aber sie prüft auch andere Kandidaten. Und sie hat zu allen eine Meinung. Vor vier Jahren fand sie die Demokraten "verrückt", weil sie nicht Hillary gewählt haben. Damals hat ihr auch ein gewisser Obama versichert, dass er jungen Latinos, die in den USA aufgewachsen sind, aber keine Aufenthaltspapiere haben, einen legalen Status verschaffen will. Rückblickend stellt Cathy Stone fest: "Er hat nichts für diese Leute getan, die hier ihr einziges Zuhause haben". Über den Mann, wegen dem sie an diesem Dienstagmorgen mit ihrem Gatten ins Theater gekommen ist, sagt sie: "Er und Obama sind beide sehr arrogant." Dass sie am selben Abend trotzdem für Romney stimmen will, liegt daran, dass sie ihn für "wählbar" hält und glaubt, er sei der einzige, der gegen Obama gewinnen kann.
Iowa: christlich, ländlich, konservativ
Iowa wurde erst Mitte des 19. Jahrhunderts von Europäern besiedelt. Viele waren Nachfahren von Norwegern und Deutschen, die auf dem Treck gen Westen in der fruchtbaren Region im Mittleren Westen hängen blieben. Bis heute ist der Bundesstaat überwiegend weiß, christlich, ländlich und ziemlich konservativ. "Wir sind hier ziemlich ehrliche, hart arbeitende und bodenständige Leute", sagt Donald Todd zur Begründung, weshalb ausgerechnet das kleine und wenig repräsentative Iowa so eine wichtige Rolle im Präsidentschaftswahlkampf verdient. Der 69-Jährige ist Pilot. "Die Leute sollten arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen", sagt er, "anstatt dem Staat auf der Tasche zu liegen".
Donald Todd sitzt mit Gattin und Schwägerin in der Pizza Ranch in Boone, einem Landstädtchen, in dem die anderswo in Iowa längst stillgelegte Eisenbahn noch verkehrt und es jede Menge Mais- und Bohnenanbau gibt. Als Rick Santorum - samt Frau und sechs seiner sieben Kinder - in das prall gefüllte Lokal kommt, sagt der Kandidat: "Ich bin natürlich Waffenbesitzer. Auch wenn ich weniger Waffen habe als meine Frau." Ein Wahlkampfmanöver.
Santorums Sohn trägt ein T-Shirt der Schusswaffenlobby
Denn seit einigen Tagen erhalten Iowas Bewohner anonyme Roboteranrufe, in denen sie darüber "aufgeklärt" werden, dass Santorum gegen Waffenbesitz sei. "Völlig falsch", versichert der Kandidat. Er beschuldigt seinen Rivalen Ron Paul, hinter den automatischen Anrufen zu stecken. Zum Beleg des Vaters trägt ein Santorum-Sohn, ein blasser Junge mit heruntergezogenen Mundwinkeln, eine Schirmmütze mit dem Aufdruck "NRA": das Logo der Schusswaffenlobby.
Wie alle anderen republikanischen Kandidaten predigt auch Santorum "weniger Regierung", weniger Steuern und weniger staatliche Auflagen in Umwelt- Erziehungs- und Gesundheitspolitik. Dafür seien - so Santorum - die Bundesstaaten besser geeignet als Washington. Zusätzlich zu dem von allen Kandidaten geteilten Forderung nach einem schrumpfenden Staat will Santorum auch die staatliche "Einmischung" in die Schulerziehung reduzieren. "Seid kühn", rät er seinem Publikum, "wählt den Konservativsten von allen Kandidaten." Er prägt ihnen auch den Satz ein: "Vertraut, aber kontrolliert!"
Bob Hardin beobachtet das Auf und Ab der politischen Stimmungen in Iowa seit 32 Jahren. Er ist Lehrer für Politik und für Wirtschaft. Wie alle vier Jahre hat er an diesem Dienstag vor dem Caucus die Abschlussklasse in die Sporthalle der Valley High School in West Des Moines begleitet. Anders als die Mehrheit seiner Schüler ist er Demokrat. Zur Feier des Tages trägt Hardin seine Krawatte in Nationalfarben mit Sternen und Streifen.
"Rock the Caucus"
Für die Schüler ist die Veranstaltung "Rock the Caucus" Pflicht. Manche hören Musik, während der Kandidat Ron Paul erklärt, wie er den Staatshaushalt mit dem Rückzug der US-Truppen aus aller Welt und mit der Auflösung der Bundesbank sanieren will. Andere erzählen sich Baseball-Geschichten. Saran Curran aber lauscht aufmerksam. Sie will Anwältin werden und sich auf Umweltfragen spezialisieren. Und sie wird an diesem Abend zu ihrem ersten Caucus gehen. Mit ihrem ersten Satz liegt die 17-Jährige im republikanischen Mainstream: "Jeder sollte für sich selbst sorgen."
Am Straßenrand vor der Highschool schwenkt eine Gruppe von jungen Männern in eisiger Kälte Ron-Paul-Fahnen. Sie sind aus anderen Bundesstaaten angereist, um ihrem Kandidaten zu helfen. Joseph Crow aus Oklahoma City gerät ins Schwärmen, wenn er von Ron Paul redet: weil der die individuellen Rechte verteidige, weil er die Kriege beenden und weil er die Bundesbank abschaffen will. Dass in Rundschreiben von Paul auch rassistische Dinge gestanden haben, wehrt er damit ab, Paul selbst habe davon nichts gewusst. Für den 20-Jährigen ist der Kandidat, der vor Ablauf der nächsten Amtszeit 80 würde, "nicht alt, sondern weise".
Direkte Demokratie bricht aus
Um Punkt 19 Uhr bricht am Dienstagabend in Iowa ein Moment direkter Demokratie aus. In 1.774 Schulen und Kirchen des Bundesstaates beginnt eine Caucus-Versammlung. Die Teilnehmer legen ihre Wahlkarten vor. Hören kurze Ansprachen von Vertretern jedes Kandidaten. Und schreiben dann den Namen ihres Favoriten auf rosafarbene Zettelchen. Während das Ergebnis ausgezählt wird, überbieten die Versammlungsteilnehmer ihre konservativen Präsidentschaftskandidaten mit Vorschlägen für das Programm der republikanischen Partei.
In einer Kirche im Wahlkreis 6 in Alkeny schlägt ein Mann eine "stärkere Migrationskontrolle" vor. Ein anderer will, dass "bei uns alles so bleibt, wie es war" - inklusive der Kreuze im öffentlichen Raum. Ein Dritter beantragt, dass der Gebrauch der Scharia an US-Gerichten verboten wird.
Dann steht das Ergebnis in Wahlkreis Nummer 6 in Alkeny fest: Romney hat gewonnen. Ihm folgen dicht dahinter Santorum und Paul. Kaum sind die Namen der drei verkündet, leert sich die Halle. Die Basisdemokratie hat für die nächsten vier Jahre ausgedient.
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