Report: Schlechte Laune im Wohlfühlparadies
Den "Tropical Islands" laufen die Besucher weg. Wer sich umschaut im künstlichen Tropenparadies, weiß warum: Ein Tag in der Riesenhalle ist purer Stress.
Peter Valance kann wunderbar lächeln und dabei kleine Bälle scheinbar mühelos zwischen seinen Fingern auftauchen und verschwinden lassen. Waren es eben noch drei, bleibt - Hokuspokus - nur noch einer übrig. Valance, der charmante, junge Mann zaubert sehr gut, fast so gut wie der Magier David Copperfield, dem er irgendwie ähnlich sieht. Aber er kriegt nicht so viel Applaus. Sein Publikum ist müde vom Baden und hat genug von der schwülen Luft in der Megahalle von "Tropical Islands".
Natürlich hängt "Tropical Islands" ein Stigma an der Backe, für das es nichts kann. Weil der Vorgänger der künstlichen Karibik, die 1998 gebaute Luftschifferhalle "Cargo-Lifter", Pleite machte, gibt es immer wieder die Kritik, in Brand funktionierten Geschäfte nicht, es werde nur öffentliches Geld verbrannt. Zum märkischen Gebräu aus Größenwahn und Geldverschwendung - siehe Lausitz-Ring (123 Millionen Euro Förderung) und Cargo-Lifter (48,5 Millionen Euro) oder die gescheiterte Chip-Fabrik in Frankfurt (Oder) - zählt auch Tropical Islands, wurden doch seit dem Start 2004 satte 17,3 Millionen Euro öffentlicher Fördergelder dafür bereitgestellt. Angesichts des Besucherschwunds im letzten Jahr macht das nachdenklich. Zuletzt hatte die Gesellschaft erneut um 7 Millionen Euro für Investitionen beim Wirtschaftsministerium in Potsdam nachgesucht, wurde aber mit ein paar Tausendern nach Hause geschickt. Während etwa das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) fordert, solchen Risikoprojekten die Zuschüsse zu verweigern, sieht man im brandenburgischen Wirtschaftsministerium die Geschäfte der Hallenbetreiber durchaus positiv. 500 Arbeitsplätze seien entstanden, "und alle Förderauflagen sind erfüllt worden", rechnet Steffen Kammradt, Sprecher von Wirtschaftsminister Junghans (CDU), gegenüber der taz vor. Die Risiken seien über Bürgschaften gesichert.
So einen wie Valance könnten sie in der Chefetage von Tropical Islands gut gebrauchen. Könnte er doch die Besucher wieder herbeizaubern, die dem weltgrößten künstlichen "Tropenparadies" im Dörfchen Brand, 60 Kilometer südlich von Berlin, abhanden gekommen sind. Das waren nicht wenige.
512.407 Personen besuchten die Wohlfühlhalle mit Tropenwald, Karibikflair und Südseestrand im letzten Jahr. Der Geschäftsbericht von Tropical Islands, der jetzt in Kuala Lumpur vom malaysischen Mutterkonzern Tanjong veröffentlicht wurde, sagt aber auch, dass 2006 so wenig Gäste wie noch nie seit der Eröffnung im Dezember 2004 gekommen waren. Der Rückgang zum Vorjahr beträgt katastrophale 43 Prozent. Wegen der Ausfälle herrscht auch bei den Verlusten Land unter: Bei einem Umsatz von 14,2 Millionen Euro wurden im letzten Jahr rund 12,5 Millionen Euro minus gemacht. Tanjong musste zuschießen. Das kann man getrost als Seebeben bezeichnen - was vor Ort in Brand übrigens kein unbekannter Zustand ist. Der Luftschiffer "Cargo-Lifter", für den die Riesenhalle zum Bau moderner Last-Zeppeline 1998 entstand, schlingerte nach schlechten Geschäften in die Pleite und musste Insolvenz anmelden.
Zu den Defiziten - aber insbesondere zu den nötigen Konsequenzen - sagt Patrick Kastner, Tropical-Sprecher, nichts oder so gut wie nichts: "Ich kann das bestätigen, aber sonst geben wir zu den Zahlen keinen Kommentar." Tropical-Islands-Geschäftsführer, Ole Bested-Hensing, sieht sogar keinen Anlass, sich Sorgen zu machen. Für 2007 prognostiziert Tropical Islands - mal wieder - die Wende. Die Besucherzahlen würden steigen.
Wer genau hinguckt, kann sehen, dass man auf den tropischen Inseln doch nervös geworden ist. Im vergangenen Jahr wurden aufwändige Umbauten in dem 360 Meter langen, 210 Meter breiten und 107 Meter hohen Superdom vorgenommen. Eine Wellnesslandschaft mit Saunen und exotischen Dampfhöhlen ist auf 10.000 Quadratmetern errichtet worden. Kastner spricht zudem von weiteren "attraktiven Angeboten", die für Familien mit Kindern, Paare und Gäste ab 50 Jahre aufwärts entstanden sind und künftig entstehen sollen. Als wären die 1,25 Millionen Besucher, die man für die sogenannten schwarzen Zahlen bräuchte, längst Wirklichkeit. Und als gäbe es den Minustrend nicht, glaubt man in Tropical Islands weiter an Dynamik und Investitionen als Motor. Kastner: "Wir setzen wegen der großen Nachfrage auf ein zusätzliches Übernachtungsangebot." 13.000 Betten und Campingstellplätze seien in der dünn besiedelten Brandner Kiefernwildnis insgesamt geplant. Ab 2009 sollen die Besucher in den ersten Ferienhäuschen an der riesigen Halle übernachten können. Vorgesehen seien außerdem ein Hotel und ein Campingplatz für Wohnmobile und Busse.
Lars und Manne haben schon mal in der Halle übernachtet und in einem der Indoor-Zelte gecampt, konnten aber wegen der künstlichen Atmosphäre "nicht soooo gut pennen". Trotzdem gehören sie zu der Schnittmenge der über 500.000 Besucher, die Tropical Islands die Stange halten. Jetzt sind sie mit vier Kumpels hier und spielen Beachvolleyball. Dirk, den sie trotz seiner knielangen Surfer-Shorts und unübersehbarem Bauchspeck "Tiger" nennen, sowie der mollige Paul kommen immer schwerer vom sandigen Boden hoch. Schuld daran sind die "Bierduschen gegen den Durst" zwischen den Aufschlägen, wenn der Ball mal ins Wasser rollt. Es herrscht Gejohle unter den Palmen. Es ist wie am Ballermann.
Die Jungs sind aus Cottbus und kommen regelmäßig "so alle drei, vier Monate mal" in die Kunst-Karibik. Sie sind Akteure im Tropenparadies, wie Tropical Islands sie sich wünscht: Manne ist wie die anderen Anfang 20, groß und aufgemuskelt. Er trägt sein helles Haar kurz, sehr kurz. Über der Brust baumelt eine dicke Kette, mit der man einen Kampfhund halten könnte. Manne gefällt es hier, Tropical Islands ist "richtig jut". Es gibt hier alles, was es in Cottbus nicht gibt. Tropical Islands ist für die Clique das Refugium für die freien Tage, wo man was für die Muskeln und die Bewegung - oder auch für den Hormon- und Alkoholpegel - tun kann. Es ist ihr Ort der Reproduktion, der Freiheit.
Die beginnt schon auf der Autobahn A 13. Abwechselnd werden PS und Kubikzentimeter getestet, wie Lars erzählt. Gut ist auch, dass es hier keine Parkprobleme gibt. Die einstige Startbahn für die Jets der Roten Armee, auf der die gigantisch gewölbte Halle steht, ist riesig. Um Tropical Islands könnte eine ganze Division parken.
Dass die theatralische Atmosphäre aus Pagoden und indischen Tempel nicht von dieser Welt ist, stört Lars nicht. Auch nicht, dass Tropical Islands weder von Salzwasser noch von Wellen umspült wird, sondern von gechlortem Süßwasser und es nicht mal giftige Kakteen und gefährliche Tsunamis gibt. Tropical Islands ist für ihn nach Brandenburg gebeamte Exotik - mit kleinen Fehlern oder Fälschungen. So what!
Ob ein Paradigmenwechsel von Tages- auf Dauergäste sowie ein Mehr an Wellnessangeboten mehr Besucher bringen kann, ist schwer zu beantworten. Tatsache ist, dass die luftdichte Atmosphäre und die gesalzenen Preise in der Regenwaldlandschaft für viele Badegäste wohl Grund genug waren, nur einmal, höchstens zweimal zu kommen.
Zunächst bedeutet Tropical Islands einen stressigen Tagesausflug. Der Superlativ in Brand kostet 24,50 Euro Eintritt pro Erwachsener. Alles weitere - vom Essen über die Peelinganwendung, Einkäufe, Übernachtungen im Zelt, bis zu Minigolf - gibt es zu saftigen Extrapreisen. Es ist keine Kunst, in Tropical Islands am Tag 50 bis 100 Euro pro Person zu lassen. Das ist viel Geld. Und noch viel mehr für viele polnische Besucher, die wie ihre deutschen Badefreunde in der Mehrzahl in den Schulferien über die Grenze herüberfahren. In Schulferien ist Tropical Islands noch immer "in", es passt kein Badetuch mehr an den Strand.
Aber auch außerhalb der Spitzenzeiten ist Tropical Islands pure Anstrengung. Besonders mit Kindern, mit denen man diagonal von den labyrinthartigen Umkleiden durch die gesamte Halle zum Planschbecken wandern muss, stellt das riesige Dschungelcamp eine Tortur dar, wie Helge Jan findet. Er ist aus Bamberg und mit der Familie auf Berlinbesuch, wollte sich die Halle angucken "und ein paar Stunden abhängen von der stressigen Hauptstadt". Jetzt hat er hier mit seinen zwei Kids Stress, es stinkt ihm, weil "überall in der Luft Rauchschwaden hängen", weil es schwül ist und die Klamotten am Leib kleben. Für einen Blick auf die Koi-Karpfen in ihren Becken oder die indischen Toraufbauten fehlt ihm der Nerv. Am Karibikstrand schließlich kommt die nächste Enttäuschung: Der Blick geht auf eine riesige blauweiße Plastikleinwand: der Himmel über Tropical Islands. Es ist kaum zu glauben, dass ein Besucher es einmal "eineinhalb Monate am Stück" hier ausgehalten haben soll, wie die nette Dame vom Infocounter erzählt. Warum lässt man hier eigentlich nicht den richtigen Himmel und wirkliche Luft rein?
Eigentlich vermittelt Tropical Islands das Gegenteil von dem, was es vorgibt zu sein, nämlich eine "Wohlfühlwelt, in der alle sich auf eine besonders erholsame Zeit einstellen" können. Wo man Ruhe und Raum für Reflexionen hat, wo Reinigung von Körper und Seele stattfinden kann. Sicher, es gibt Menschen, die in der Lage sind, auf ihren Liegestühlen ein Nickerchen zu machen oder locker aus der Sauna zu kommen. Andere schaffen das nicht: Das Bad lässt keine Erholung zu, es hält in Spannung.
Als sei es Konzept, beschallt und beschäftigt das Bad seine Besucher ständig mit Ansagen, Programmen und Musik - oder mit "Aquagymnastik", wo zu "Love is in the air" im Wasser rhythmisch gepaddelt oder mit den Beinen gerudert werden muss. "Legt mal den Turbo ein", muntert eine etwas füllige Vortänzerin die rund 50 Wasserratten vor ihr im Becken auf, intensiver mitzumachen. "Zeigt mir, dass ihr es drauf habt!" Damit die Gruppendynamik zur Gruppenbildung führt, darf am Ende jeder jedem den "total verspannten" Nacken massieren. "Spürt euch!"
Mit der dabei eventuell aufkommenden guten Laune ist es spätestens vorbei, wenn die Shows im Freilichttheater "Wayang-Bühne" starten. Wer hier sitzt, bei etwas schlaffem Bier und einem über 10 Euro teuren "Burger- oder Pizzamenue", den ergreift so etwas wie Verzweiflung. Es liegt eine schwere, schweißtreibende Stimmung über den Sitzreihen, die müde macht. Man glotzt einander eher hinterher, statt sich aufzuraffen. Der Kampf gegen das Einschlafen beginnt. Die Kumpels aus Cottbus hängen hier ebenso ab wie eine Reisegruppe aus Polen, wie Singles, junge und ältere Paare, wie auffällig tätowiertes Prekariat neben Familien mit Kindern. Man trinkt, hält sich am Cocktail "Heartbreaker" fest, isst und ist ein wenig fassungslos.
Helge ist auch hier. "Die beiden", er zeigt auf seine Jungs im Alter von fünf und sieben, "wollten zu den Artisten". Die Körperverrenkungen hätten ihnen aber nicht so gut gefallen. War "langweilig", kommentiert der Ältere. Das sei eher was für größere Kinder gewesen, meint der Vater und hat darum "Eis als Ausgleich" in Aussicht gestellt.
In Tropical Islands ist jede halbe Stunde Aufguss und jede halbe Stunde ein Bühnenprogramm mit Artisten, Zirkuskünstlern und Musikern zu sehen. Zu diesen zählt auch Peter Valance, der manchmal den Showmaster geben muss - und dabei deutlich weniger glücklich aussieht als beim Zaubern.
Als er "Annett" auf die Bühne lotst und mit ihr ein Ratespiel machen will, wird es peinlich. Fragen wie "Bei welcher Farbe musst du an der Ampel stehen bleiben?" und "Was hatte Rotkäppchen für nen Hut auf?", schafft Annett gerade noch. Bei "Wer schrieb Goethes Faust?" musste sie passen und wurde ein bisschen ausgelacht. Spätestens jetzt steht man auf und geht in Richtung Ausgang.
Die frische Luft tut gut.
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