Rentnerinnen um Anlage betrogen: In die Pleite beraten

68 Jahre alt, 40 Jahre gearbeitet und dann das: Erika Schulz droht ihr gesamtes Vermögen zu verlieren - weil sie einer Berliner Finanzexpertin vertraute.

Sieht gut aus, ist aber nichts wert. Bild: almogon / photocase.com

Erika Schulz (Name geändert) sieht nicht glücklich aus. Sie sitzt in ihrem Wohnzimmer in einem beschaulichen Kiez in Berlin, ihre Hände krampfen sich um die Sessellehnen. Erika Schulz ist nicht glücklich, sie steht kurz vor dem Ruin.

Die Frau ist 68 Jahre alt, sie hat über 40 Jahre gearbeitet, sparsam gelebt und ihr Leben selbst bestimmt. Jetzt bestimmen andere darüber, zum Beispiel die Investitionsbank des Landes Brandenburg (ILB). Die will von ihr 343.579,83 Euro haben. Für diese Summe verlangt die Bank außerdem Zinsen, jeden Tag 45,19 Euro. So steht es in einem Brief der ILB-Abteilung Kreditrisikomanagement in Potsdam, den die Rentnerin im März aus ihrem Postkasten fischte.

Erika Schulz hat Tränen in den Augen. Sie sagt: "Ich hatte geglaubt, im Alter mein Auskommen zu haben, dafür habe ich gespart und mein Geld angelegt. Aber jetzt ist alles futsch."

Die Geschichte von Erika Schulz ist die einer vertrackten Immobiliengenese und eine von Naivität, Selbst- und Fremdverschulden. Und es ist die Geschichte einer Frauenbekanntschaft, von der außer Wut und Verzweiflung nichts geblieben ist. Was war passiert?

Immobilie in "bester Lage"

Erika Schulz hat im November 1998 Anteile an einem zwei Jahre zuvor aufgelegten geschlossenen Immobilienfonds erworben, der "Grundstücksgesellschaft Leipziger Straße 1 bR", mit Sitz in Zeven in Niedersachsen. Erika Schulz kam nicht selbst auf die Idee, eine Bekannte hat ihr den Fonds empfohlen, die Finanzexpertin Anne Wulf. Sie war eine von zwei Hauptgesellschaftern des Fonds. Erika Schulz sagt: "Wir hatten auch privat viel miteinander zu tun."

Anne Wulf kennt man in "Frauenkreisen", sie ist Inhaberin des "finanzkontors" in Berlin, ein "Frauenbüro mit dem Schwerpunkt Frauen und Geld". Der Betriebswirtin eilt ein guter Ruf voraus, sie wird von SteuerberaterInnen und BranchenexpertInnen empfohlen. Als sie 1986 ihr Kontor gründete, waren Frauen froh: Endlich gab es eine, die wusste, wie das ist mit den Frauen und dem Geld. Auch Erika Schulz sagt: "Bei einem normalen Banker hätte ich das Gefühl, der will mich übers Ohr hauen."

Erika Schulz zahlte 45.000 Mark in den Fonds ein. Damit wurde sie Miteigentümerin an einem Haus in Frankfurt (Oder) in Brandenburg: 52 Wohnungen, 3 Gewerbeeinheiten, 23 Pkw-Stellplätze. "In bester Lage", heißt es im Prospekt, und mit "sehr guten Renditeerwartungen".

In dem Prospekt steht auch, dass das "Gesamtinvestitionsvolumen" des Projekts 17 Millionen Mark beträgt. Mit über 6 Millionen Mark wird das Gesellschaftskapital beziffert, nicht ganz 8 Millionen Mark sollen öffentliche Bau- und Aufwendungsdarlehen sein. Die kamen unter anderem von der ILB, einer regionalen Förderbank.

Keine Gewinnabsichten erkennbar

Erika Schulz zerknittert das Werbeblättchen in ihren Händen. Außer ihr zahlten noch fünfzehn weitere Personen in den Fonds ein, meistens Frauen. Manche gaben 20.000 Mark, andere 30.000. Insgesamt gab es im Fonds aber nicht mehr als 760.400 Mark, knapp 13 Prozent des angestrebten Eigenanteils. Die Beteiligten vertrauten trotzdem, es las sich alles so gut im Prospekt: Schon 1999 werde ein "Bewirtschaftungsüberschuss von 1,5 Prozent erwartet", es gebe "eine langfristige Sicherung der Vermögenswerte" und Steuerersparnisse.

Erika Schulz war hochzufrieden - bis zum Sommer 2003. Da bekam sie Post vom Finanzamt. Sie sollte jetzt sämtliche Steuern bezahlen, die sie in den vergangenen Jahren gespart hatte: 31.735,37 Euro. Begründung: Bei der "Leipziger Straße" seien keinerlei Gewinnabsichten erkennbar. So ist das: Wenn man eine Immobilie kauft oder mitkauft, hat man zunächst Ausgaben. Dafür muss man unter Umständen weniger Steuern zahlen. Aber nur dann, wenn man glaubhaft machen kann, dass das Objekt früher oder später einen Gesamtgewinn erzielt. Genau das war bei der "Leipziger Straße" aber nicht der Fall.

Erika Schulz war entsetzt. Wie konnte das passieren? Anne Wulf hatte ihr doch rasche Gewinne versprochen. Auch die anderen Gesellschafter sollten zahlen. Aber manche weigerten sich und die Sache landete vor dem Niedersächsischen Finanzgericht.

Erika Schulz schleppt dicke Ordner herbei, darin steckt ihr Schriftwechsel mit dem Finanzamt, mit der Bank, mit ihren Anwälten. Dabei ist auch das Urteil des Finanzgerichts. Das stellte nicht nur fest, dass die Immobilie zu jener Zeit keine Gewinne abwarf, sondern von vornherein als Verlustobjekt gedacht war. Gewinne seien erst nach 36 Jahren zu erwarten.

343.579 Euro soll sie zahlen

Erika Schulz schluckt. Sie zahlte - und wollte austeigen aus dem Fonds. "Frau Wulf bot mir für meine Einlagen läppische 4.000 Euro", sagt sie. Also blieb sie drin. Sie ahnte ja nicht, sagt sie heute, dass es noch dicker kommen würde: mit der ILB. Die wollte mit einem Schlag das gesamte Darlehen zurück haben, rund 5,8 Millionen Euro. Entsprechend ihrer quotalen Haftung, ihrer Anteile, sind das bei Erika Schulz 343.579,83 Euro.

Seit Monaten kann die Rentnerin nicht mehr schlafen. Sie sagt: "Ich fühle mich betrogen." Was Erika Schulz und die anderen Fondsbeteiligten lange nicht wussten: Die Immobiliengesellschaft zahlte Kredite zeitweise nicht in der erforderlichen Höhe an die ILB zurück. Sie wussten bis vor Kurzem auch nicht, dass das Haus im Frühjahr 2010 verkauft wurde. "Da erhebliche Rückstände aufgelaufen sind und eine Sanierung nicht möglich war, musste das Förderdarlehnen gekündigt werden", sagt Matthias Haensch, Pressesprecher der ILB.

Wer hat das alles zu verantworten? Erika Schulz ist sich da sicher: Anne Wulf. Seit Monaten halten einige Fondsbeteiligte Krisentreffen ab, sie haben mehrere Anwälte eingeschaltet.

Ist der Finanzexpertin Wulf alles über den Kopf gewachsen? Oder hat da eine Frau bewusst andere Frauen geschädigt? "So sehe ich das heute", sagt Erika Schulz. Sie kramt aus dem Ordner ein "Zeichnungsangebot" hervor: "Das habe ich bekommen, nachdem ich in den Fonds eingezahlt habe." Darin steht: "Nach dem Gesellschaftsvertrag sind die Gesellschafter zu Nachschüssen verpflichtet." Es gibt also Risiken. Aber welche?

Alle Frauen, die in den Fonds eingestiegen sind, haben Anne Wulf vertraut. Dumm? Naiv? Einige sagen, sie hätten sich bei ihr "aufgehoben gefühlt". Deswegen hat offensichtlich keine von ihnen den Gesellschaftervertrag genau gelesen. Darin steht zum Beispiel, dass der Fonds eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) ist. Da hätten die Betroffenen stutzig werden müssen. Geschlossene Fonds werden gewöhnlich als Kommanditgesellschaft oder als Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) konzipiert. Dabei haften die AnlegerInnen beschränkt oder nur mit ihrem dort angelegten Kapital. Die "Leipziger Straße 1" indes ist eine GbR, bei einem Crash haften alle Beteiligten mit ihrem gesamten Privatvermögen: mit jedem Sparvertrag, mit jeder Rentenversicherung, mit jedem goldenen Ring. Mehr noch: Die Haftung mit einer Summe, die den Anlagebetrag um ein Vielfaches übersteigt, dürfte nicht selten vorkommen.

Staatsanwalt ermittelt

Als der Crash der "Leipziger Straße" aufflog, stellten die Frauen die Frau, der sie "hundert Prozent" geglaubt hatten, zur Rede. Aber Anne Wulf habe ihnen nie richtig geantwortet, sagen sie. Die Frau, die ihnen das Blaue vom Himmel versprochen hatte, ließ sie nun hängen.

Anne Wulf strahlt eine große Ruhe aus, ihre Stimme klingt am Telefon tief und warm. Medien klopfen bei ihr an, wenn sie eine "Frauenfinanzversteherin" suchen. Anne Wulf sagt: "Ich kann die Rückforderungen der ILB auch nicht nachvollziehen." Kann sie das wirklich nicht? Hat sie die anderen Gesellschafter nicht informiert über die anbahnende Katastrophe? "Ich habe immer angestrebt, die Dinge zu prüfen", sagt sie zur taz: "Der Verlauf des Fonds war im Vorfeld nicht erkennbar."

Erika Schulz sieht das anders: "Nachdem wir in den Fonds eingezahlt hatten, haben wir nie wieder etwas von ihm gehört. Bevor die Rückforderungen vom Finanzamt und von der ILB kamen, gab es keine Gesellschafterversammlungen und auch keine Bilanzen." Die Betroffenen selbst fragten aber auch nicht nach. Bankmanager sagen, Frauen seien leichtere Beute als Männer, sie verstehen selten Fonds und lesen kaum das Kleingedruckte.

Erika Schulz hat seit März einen Therapeuten, anders würde sie das alles nicht ertragen. Die ILB will, dass Erika Schulz ihre Vermögensverhältnisse offen legt. "Wir haben den Gesellschaftern wirtschaftliche Vergleiche angeboten, die auf ihre Einkommens- und Vermögenssituation abstellen sollen", sagt Matthias Haensch. Anders ausgedrückt: Sagt, was ihr habt, und wir wissen, was wir holen können. Erika Schulz trotzt: "Das mache ich nicht." Auch andere Betroffene wollen schweigen. Folge: Die ILB könnte gegen sie klagen.

Verliert auch Anne Wulf ihr gesamtes Vermögen? Das ist unklar, dazu äußern sich Anne Wulf und die ILB nur unkonkret. "Zu einzelnen Personen geben wir keine Auskunft", sagt Matthias Haensch. "Ich bin da nicht ganz raus", sagt Anne Wulf. Inzwischen haben einige Betroffene der "Leipziger Straße" ihre frühere Finanzberaterin angezeigt - wegen Betrugs. Unter dem Aktenzeichen 244JS554/11 ermittelt jetzt die Staatsanwaltschaft.

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