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■ Rentenpolitik: Mit Aktionismus und mutlosen Halbherzigkeiten stiftet die Bundesregierung Verwirrung über ihr angestrebtes ZielDie Konfusion um die Renten

„Die große Konfusion ist das Feld der Manipulateure“, so Norbert Blüm in der Haushaltsdebatte 1988, als es um die Zukunft der Rentenpolitik ging. Wenn es dem ehemaligen Sozialminister damit auch heute noch Ernst wäre, müßte er alles tun, die große Konfusion, die in den letzten Tagen um die Vorschläge von Arbeitsminister Riester entstanden ist, durch Aufklärung zu entwirren. Davon kann aber keine Rede sein.

Viel schlimmer ist jedoch, daß die rot-grüne Koalition selbst kräftig Wirrwarr stiftet. Anstatt sich zuerst über die Notwendigkeiten und Ziele der Rentenpolitik in den nächsten Jahrzehnten zu verständigen, bringt sie immer neue Vorschläge für einzelne Maßnahmen oder Berechnungsformeln in die Debatte ein. Und anschließend ist sie nicht einmal in der Lage – und gelegentlich auch zu feige –, deren eigentliche Bedeutung in der Öffentlichkeit klarzumachen.

Versuchen wir also, etwas Klarheit in den Wirrwarr zu bringen. Da ist zuerst festzustellen, daß viele Rentner (und manche Rentnerinnen) ein relativ hohes Einkommen haben. Diese sorgen dafür, daß das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen aller Rentnerhaushalte nur unwesentlich hinter den Beamtenhaushalten zurückbleibt. Die Rente entspricht heute nach 45 Jahren Beitragszahlung etwa 70 Prozent des durchschnittlich erhaltenen Nettolohns und ist damit wesentlich höher, als sie in den sechziger oder gar in den fünfziger Jahren war. Das lange Festhalten an den bruttolohnbezogenen Anpassungen auch in Zeiten der Inflation hat dieses hohe Rentenniveau möglich gemacht.

Es auf Dauer zu halten wäre nur möglich, wenn die Beitragssätze während der nächsten 20 Jahre von heute 19 bis 20 Prozent auf etwa 30 Prozent steigen würden. Die steigende Lebenserwartung der Rentnerinnen und Rentner ist dafür ebenso verantwortlich wie der starke Geburtenrückgang seit den sechziger Jahren. Letzterer wurde möglich, nachdem durch die Schaffung der dynamischen Rente 1957 die Alterslasten sozialisiert worden waren, während die Lasten der Aufzucht von Kindern Privatangelegenheit der Familien blieben und deshalb häufig auch vermieden wurden.

Daß wegen dieser „demographischen Faktoren“ das Rentenniveau gesenkt werden muß, ist unstrittig. Um so unsinniger war es dann, daß die rot-grüne Koalition sich in ihrem Koalitionsvertrag darauf verständigt hat, eine eher zögerliche Rentenreform in diesem Sinne, wie sie Minister Blüm durchgesetzt hatte, erst einmal rückgängig zu machen, Ein falsches Signal, denn jetzt muß Minister Riester Vorschläge machen, die die heutigen Rentnerinnen und Rentner noch härter treffen. Norbert Blüm wird das mit Hohn quittieren.

Aber werden sie wirklich so hart getroffen, wie es die allgemeine Aufregung vermuten läßt? Bei den Diskussionen geht es immer um das Rentenniveau – im Vergleich mit dem üblichen Nettolohn – und nicht um die Rentenhöhe.

Wenn die Vorschläge von Minister Riester vorsehen, daß es in den nächsten beiden Jahren für die Renten ausnahmsweise nur einen Inflationsausgleich gibt, dann ergibt das zwar eine Senkung des Rentenniveaus, weil der Nettolohnanstieg in diesen beiden Jahren – auch wegen der Auswirkungen einer möglichen Steuerreform – auf etwa 6 Prozent geschätzt wird. Aber die Renten bleiben real auf der gleichen Höhe, mag die Opposition mit Blick auf die Wähler noch so sehr über die „Senkung der Renten“ klagen.

Der Unterschied zwischen der Rentenformel der alten Regierung und dem Vorschlag aus dem Arbeitsministerium ist gar nicht so groß: Den etwa 6 Prozent, die die heutigen Rentnerinnen und Rentner nach Riesters Idee im Jahre 2002 weniger bekommen sollen, würden etwa 3 Prozent Plus im Jahre 2013 gegenüberstehen. Am Ende läuft das auf ein klein wenig mehr Gerechtigkeit zwischen den Generationen hinaus. Diejenigen, die vergleichsweise geringe Beiträge gezahlt haben, sollen nun nicht länger vergleichsweise sehr hohe (und später nicht mehr bezahlbare) Renten beziehen. Für die mittlere und die jüngere Generation – immerhin noch die Mehrheit der Gesellschaft – stellen diese Vorschläge also einen Gewinn dar, wenn auch keinen großen. Aber das wagt so niemand zu sagen.

Ein weiteres Thema wird in der Debatte so gut wie ausgeklammert: Alle Modelle gehen von einer „normalen“ Erwerbsbiographie von 45 Jahren Beschäftigung aus. Das mochte in den Zeiten der Vollbeschäftigung und für eine Mehrheit der älteren Generation der Normalfall gewesen sein, heute gilt das nicht mehr. Die Patchwork-Biographie ist für die jüngere Generation zum Normalfall geworden und wird häufig genug Armut im Rentenalter produzieren. Deshalb stand auch die Absicherung unsteter Erwerbsverläufe als wichtiger Punkt im Koalitionsvertrag für die Reform der Alterssicherung. Mit dem Vorschlag einer sozialen Grundsicherung, die ausschließen soll, daß die wirklich armen Rentnerinnen und Rentner bei der Bedürfnisprüfung auch noch das Vermögen ihrer Kinder offenlegen müssen, soll nun wenigstens etwas zugunsten einer wirksamen Vermeidung von Altersarmut getan werden.

Im Koalitionsvertrag war auch von der Notwendigkeit einer Erweiterung des Versichertenkreises die Rede. Aber über die sogenannten Scheinselbständigen, die sich am wenigsten wehren können, hinaus hat sich die rot-grüne Koalition zu keinem Schritt aufgerafft. Wo bleiben die Grünen, die gemäß ihrem Programm auch die Einbindung der Beamten, Selbständigen und Abgeordneten einfordern?

Statt dessen hat insbesondere die von Riester geplante „Zwangsabgabe“ – das heißt: die Verpflichtung zum Abschluß einer privaten Altersversorgung – die Gemüter erregt und die Konfusion gesteigert. Dabei wird sie für die meisten Leute ganz oder fast bedeutungslos sein. Die Leute, die es sich leisten können, haben in der Regel längst privat vorgesorgt, und für die anderen sind die zu leistenden Beiträge so gering, daß die daraus zu erwerbenden Ansprüche vernachlässigt werden können.

Die eigentliche Gefahr, die in den Vorschlägen des Arbeitsministers lauert, ist noch gar nicht bemerkt worden: Sollte es der Opposition gelingen, die Steuerreform so zu verschleppen, daß die Steuersenkungen und die mit ihnen verbundenen Nettolohnsteigerungen erst im Jahre 2002 wirksam werden, dann wären alle Rechnungen und Hoffnungen Riesters für die Katz gewesen; denn noch einmal wird er die Rentenanpassung kaum bremsen können. Insofern birgt die Annahme seiner Vorschläge auch eine gewisse Garantie dafür, daß die Koalition sich um das Gelingen der Steuerreform wirklich kümmern wird. Urs Müller Plantenberg

Die Alterslasten wurden sozialisiert, die Lasten der Kinder blieben PrivatsacheEs war unsinnig, die Blüm-Reform der Rentenanpassung zurückzunehmen

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