Rennreiterin Sibylle Vogt und „Große Woche“: Amazone in Männerdomäne
Sibylle Vogt aus der Schweiz ist Jockette und schneller als die meisten Jockeys. Auch bei der „Großen Woche“ in Iffezheim räumt die Reiterin ab.
Der Anfang war schon mal nicht schlecht, anders kann man das bei drei Siegen in zwei Tagen kaum sagen. Die kurzen SMS-Botschaften mit den Glückwünschen zum gelungenen Auftakt hat Sibylle Vogt dennoch mit eher gebremster Euphorie beantwortet. Natürlich, die 25-jährige Schweizerin hat sich brav und freundlich für die warmen Worte zu ihrem formidablen Start in die „Große Woche“ bedankt, dann hat sie ihren Blick aber auch ganz schnell wieder auf die restlichen drei Tage des Iffezheimer Turfspektakels in der Nähe von Baden-Baden gerichtet, ein Event, das ab Freitag fortgesetzt wird. „Wichtig ist, dass es so weiterläuft“, hat Vogt ihren Dankesworten angefügt.
Zumindest die Chancen hierfür stehen nicht schlecht. Schließlich reiht Vogt schon seit einiger Zeit Sieg an Sieg. 28 waren es im Vorjahr, darunter jener auf Winterfuchs im prestigeträchtigen Busch-Memorial in Krefeld, über 30 sind es schon jetzt in diesem Jahr, obwohl die Galoppsaison wegen Corona erst Anfang Mai so richtig begonnen hat. „Wahnsinn“ findet Vogt das selbst. Mehr Überschwang gestattet sie sich nicht.
„Es muss immer besser werden. Ich bin nie zufrieden“, sagt sie, um anzufügen: „All die Siege sind zwar schön. Aber ich habe deswegen nicht das Gefühl, es jetzt geschafft zu haben.“ Dass sie, „das kleine Bauernmädchen“, wie sie sich selbst nennt, aus dem 500-Seelen-Dorf Leimbach im Kanton Aargau, mittlerweile immer mehr um Interviews und Autogramme gebeten wird, findet sie gewöhnungsbedürftig. „Das hätte ich nie gedacht“, gibt die 25-Jährige zu.
Es liegt nicht der Hauch der Koketterie in diesen Worten. Vielmehr sind sie das Ergebnis jenes Weges, den Sibylle Vogt zurückgelegt hat, um das werden zu können, was sie heute ist: die beste Jockette Deutschlands, eine der besten weltweit. Dabei mag die aparte Schweizerin noch nicht einmal den vom Duden festgelegten Begriff für weibliche Jockeys. Irgendwie klingt er ihr zu sehr nach Schokolade. „Amazone gefällt mir besser“, lässt sie wissen.
Einbruch in Männerdomäne
Leichter macht er ihr den Job freilich auch nicht. Schon der Beruf des Jockeys ist ein knallharter, der der Amazone noch ein Stück härter. „Als Frau muss man viel mehr leisten, um Anerkennung zu bekommen“, sagt Vogt. Das ist im Galopprennsport nicht anders als in anderen Männerdomänen. Und man muss mit Vorurteilen zurechtkommen, beispielsweise mit jenem, Frauen hätten nicht genug Kraft, um so ein Vollblutpferd als Sieger ins Ziel zu reiten. Die blonde Schweizerin, 1,68 Meter groß, 51 Kilo schwer und dabei extrem drahtig, rollt da nur ihre blauen Augen. „Natürlich ist Kraft wichtig, wenn man 1.000 Meter und mehr quasi in der Hocke im Sattel steht. Aber es geht auch ums Feeling und um die Taktik.“
Dass sie von alldem mehr als ausreichend besitzt, hat Sibylle Vogt Ende Februar ausgerechnet in Saudi-Arabien, wo Frauenrechte nicht die oberste Priorität haben, am vielleicht bildhaftesten unter Beweis gestellt. Bei der International Jockey Challenge in Riad, einer Rennserie, in der die sieben besten Jockeys der Welt gegen die besten Amazonen antreten, gewann sie nicht nur eines der Rennen, sondern wurde zunächst Gesamtzweite – und später gar zur Siegerin erklärt.
Der vor ihr platzierte Amerikaner Mike Smith wurde im Nachhinein disqualifiziert, weil bei einem der ihm zugeteilten Pferde die Dopingsubstanz Kobalt nachgewiesen wurde. Dass plötzlich Vogt auf dem obersten Treppchen stand, empfand nicht nur die Neue Zürcher Zeitung als „eine Geschichte wie im Märchen“.
Sieg in Saudi-Arabien
Bei der Challenge in Riad wurden die Pferde den Reitern und Reiterinnen zugelost. Alle hatten also dieselben Chancen. Normalerweise läuft es anders. Die Reiter müssen sich ihre Ritte (und die Pferde dafür) bei Trainern und Besitzern zum Großteil selbst besorgen, was dazu führt, dass die siegversprechendsten Jockeys meistens auf den aussichtsreichsten Galoppern sitzen.
Für junge Jockeys macht es das zu Beginn gar nicht so einfach, ausreichend Ritte, zumal erfolgversprechende, zu ergattern, um davon leben zu können. Auch Vogt hat das erfahren müssen. „Ich habe mich von unten hochgearbeitet. Da gab es auch Monate, in denen das Geld nicht gereicht hat.“ Umso wichtiger war und ist für sie, dass sie Carmen und Georg Bocskai, an deren Iffezheimer Stall sie angestellt ist und bei denen sie in der Schweiz schon ihre Jockeyausbildung absolviert hat, als Förderer an ihrer Seite weiß.
Um ausreichend Beschäftigung muss sich die 25-Jährige mittlerweile jedenfalls nicht mehr sorgen. Ihr Name hat längst Strahlkraft in der Szene. Sie ist versiert darin, Interviews zu geben und Autogramme zu schreiben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen