Renate Künast verkündet Kandidatur in Berlin: "Ich bin bereit"
Renate Künast will nun auch offiziell Regierende Bürgermeisterin werden. Bei ihrer Kandidatur verspricht sie eine Stadt für alle, greift den rot-roten Senat an und sagt immer wieder den Namen der Stadt.
"Ich bin bereit, ich kandidiere für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin von Berlin". Um 19:24 Uhr am Freitagabend war der Satz raus. Nach fast einem Jahr ohne jeglichen Kommentar zu allen Mutmaßungen, Spekulationen und Gerüchte hat Renate Künast, Noch-Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, energisch ihren Anspruch auf die Regierungsübernahme bei der Abgeordnetenhauswahl 2011 angemeldet. Mehrere hundert Anhänger und Parteifreunde begleiteten ihren rund einstündigen Auftritt im Museum für Kommunikation mit frenetischem, minutenlangem Beifall.
Freundlicher, aber noch weit leiserer Beifall hatte den Einzug der 54-jährigen eine Stunde zuvor begleitet. Es sind längst nicht nur Grüne und Politiker, die ihren Weg säumen. Eric Schweitzer steht in der Menge, der IHK-Präsident, DGB-Landesvize Christian Hoßbach. Man pflege den Kontakt zu allen relevanten Parteien, sagt Hoßbach und staunt über das Ambiente der Krönungsmesse: Blau erleuchtet die gläserne Kuppel, grün die Galerie und der Hintergrund des Podium. "Für Berlin" steht drauf. Sein Fazit: "Von der Inszenierungskunst hier können wir noch was lernen."
Der Termin: Die 5-jährige Legislaturperiode endet nächstes Jahr. Das Abgeordnetenhaus wird am 18. September 2011 neu gewählt.
Die Konkurrenz: Klaus Wowereit will im Amt bleiben. Er steht als Spitzenkandidat der SPD fest. Die CDU hat noch keinen Kandidaten. Partei- und Fraktionschef Frank Henkel gilt als Favorit. Ob die Linke per Kandidat Anspruch aufs Rote Rathaus erhebt, ist offen.
Die Lage: Die Grünen sind in Umfragen auf bis zu 30 Prozent geklettert und wären somit stärkste Partei. Die SPD kam je nach Institut zuletzt auf 22 bzw. 27 Prozent, die CDU auf 20 bzw. 17, die Linke auf
17 bzw. 14. Die FDP würde derzeit an der 5-Prozent-Hürde scheitern.
Es wirkt daher etwas kurios, als Grünen-Landeschef Stefan Gelbhaar die Gäste mit dem Hinweis begrüßt; "Bei uns stehen die Inhalte immer noch im Vordergrund." Es ist Künast, deretwegen die geschätzt 700 bis 800 im Foyer und auf der Galerie an diesem Abend gekommen sind, und von der sie hören wollen, dass sie ihre Kandidatur verkündet. Sie wird sie lange zappeln lassen, schwärmt erst von Berlin, an das sie ihr Herz verloren habe, wohin sie vor 30 Jahren kam, weil sie aufbrechen wollte. Jetzt sei es wieder Zeit aufzubrechen - "weil Berlin mehr verdient hat als lustloses Regieren", lautet ihr erster Hieb gegen den rot-roten Senat.
Der Blick von Künasts Redepult im Foyer des Museums für Kommunikation geht auf eine Lücke in der Galerie. Eine Postkutsche hängt dort in der Luft, die Deichsel weit Künast entgegen ragend. "Ein Wechsel der Perspektive verändert die Form der Dinge", haben die Museumsleute dazu getextet. Auch Künast will hörbar auf Reisen gehen, Berlin nach vorne bringen, eine andere Perspektive einnehmen.
Sie zieht ein depremierendes Fazit aus vielen Gesprächen, die sie geführt haben will, berichtet von Eltern, die vergeblich nach einem Kita-Platz suchen, von motivierten Schülern, die durch runter gekommene Schulen entmutigt werden, von Arbeitslosen, die keine Perspektive sehen, von Migranten, die davon besonders betroffen sind. "So kann es mit Berlin nicht weiter gehen", sagt Künast. "Es ist unsere Stadt, und wir können sie nicht länger rum dümpeln lassen."
Ihr Programm soll auf einem Grundsatz basieren: Eine Stadt für alle, und so heißt auch die Internetseite zu ihrer Kandidatur. Den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) nennt sie nicht beim Namen, sie belässt es dabei, seinen viel zitierten Spruch "Berlin ist arm, aber sexy" aufzugreifen. Darüber könne nicht lachen, wer arm und ohne Arbeitsplatz sei. "Wir können natürlich nicht Reichtum für alle versprechen", macht sie über ein ein Wahlversprechen der Linkspartei lustig, um ernst fortzufahren: "Aber Armut für alle ist zu wenig."
Nach fast einer Stunde, in der sie rund 150 Mal das Wort Berlin sagt, pausiert sie einen Moment, als sie auf die Wahl am 18. September 2011 zu sprechen kommt und erkennen lässt, dass jetzt die entscheidenden Worte folgen, auf die der Saal wartet, seit sie ihn betreten hat: "Ich bin bereit, ich kandidiere …"
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Liberale in der „D-Day“-Krise
Marco Buschmann folgt Djir-Sarai als FDP-Generalsekretär