: Renaissance der Religionskritik
Der Glaubenskrieg tobt auch auf dem Buchmarkt. Eine kritische Lektüre von Richard Dawkins, Sam Harris, Peter Sloterdijk und Kardinal Schönborn
VON ROBERT MISIK
Die „Renaissance der Religionen“ hat eine Reihe von Eigentümlichkeiten. Und die erschöpfen sich nicht darin, dass neuerdings wieder Menschen andere Menschen köpfen oder in die Luft sprengen, weil sie sie für „Ungläubige“ halten. So gibt es seit einer Weile auch ein Revival der Religionskritik.
Bücher wie „Das Ende des Glaubens“ von Sam Harris oder Christopher Hitchens’ furioser Großessay „Der Herr ist kein Hirte“ waren in den USA schon Bestseller. Vor allem aber Richard Dawkins’ Buch „The God Delusion“ ist ein bissiger Generalangriff auf die Religiosität und löste heftige Debatten aus. Jetzt ist es auch auf Deutsch zu haben („Der Gotteswahn“).
Dawkins, als Evolutionsbiologe, vor allem aber als Wissenschaftspublizist eine Koryphäe, wendet sich mit maximaler Schroffheit gegen die Gläubigen. An Obskurantismus und Gewalt sind die Religionen schuld, sie hetzen die Menschen gegeneinander auf, und es gibt nichts, was an Religionen gut sei, ist sich Dawkins sicher. Kritischer noch fast als die Radikalen und die Fundamentalisten nimmt Dawkins die gemäßigten Gläubigen aufs Korn: denn die bereiteten den Radikalen erst den Boden.
Würde man nicht dem Irrglauben aufsitzen, dass Religiosität toleriert werden müsse, wäre die Welt ein härteres Pflaster für Leute wie Bin Laden & Co., ist Dawkins überzeugt. Alles, was sich vielleicht an Positivem in religiösen Traditionen finden lasse, so Dawkins, finde man auch in allen anderen moralischen Imperativen der Geistesgeschichte, darüber hinaus seien Bibel und Koran nicht „jene Art von Buch, das Sie ihren Kindern geben sollten“.
Ein Buch voll Verve, wenngleich es, wie sich das für ein Pamphlet gehört, nicht ganz das Abstraktionsniveau erreicht, das die Religionskritik schon einmal hatte. Alles in allem wendet sich Dawkins in seiner thesenfetten Streitschrift gegen zwei Behauptungen aus dem gläubigen Eck. Erstens: dass die Religionen wahr sind. Zweitens: dass sie nützlich sind. Jene Passagen, die Ersteres aufspießen, sind für europäische Leser eher mühsame Kost. Sie zielen einfach zu sehr auf den Kontext der USA, wo ein relevanter Teil der Bürger etwa der Meinung ist, dass die Bibel „wörtlich“ wahr oder zumindest göttlich „inspiriert“ sei. Dort sind ja auch jene, die den Kreationismus oder „Intelligent Design“ in den Schulen lehren wollen, nicht nur am Narrensaum zu finden.
Da in unseren Breiten viele Menschen spontan an Dingen wie der Jungfrauengeburt, der Aufspaltung Gottes in verschiedene Betriebsmodi – Herr, Sohn, Heiliger Geist – oder dem Gipfeltreffen von Moses und Jahwe am Berg Sinai zweifeln, wird von Gläubigen mehr Gewicht auf das zweite Argument gelegt. Die Schrift sei zwar nur metaphorisch zu verstehen, Glaube jedoch aber irgendwie praktisch. Er gebe den Menschen eben Sinn. Bürger, die ansonsten atomisiert nebeneinanderher leben würden, würden zu einer Gemeinschaft zusammengeschmiedet und aus Berserkern tugendhafte Leute gemacht.
Unter den Neuerscheinungen, die dieses Thema fortspinnen, stechen zwei hervor, die in Stil und Typus unterschiedlicher nicht sein könnten. Wiens Kardinal Christoph Schönborn erklärt im Gespräch mit TV-Talkerin Barbara Stöckl, warum Religion gut ist, während Peter Sloterdijk in seinem neuesten Großessay Zweifel anmeldet.
Um es gleich vorwegzunehmen: Sloterdijk liefert wieder einmal ein luzides Opus ab, gelehrt und geistreich, auf einem literarischen Niveau, das heute nur wenige Philosophen zu erreichen vermögen. Aber das hatte man ja nicht anders erwartet. Überraschend dagegen ist der Großdialog von Kardinal und Talkmasterin: Auch dies ein kluges Buch mit guten Fragen und präzisen Antworten.
Sloterdijk fragt, ob es nicht in den großen monotheistischen Religionen ein Aggressionspotenzial gibt, ein inhärentes Eiferertum, eine Unterwerfungslust und ob ihr ewiges Sündengerede wirklich moralische Menschen produziert – oder nicht doch eher Neurotiker. Hier denkt Sloterdijk fort, was Jan Assmann in seiner viel diskutierten Studie „Die Mosaische Unterscheidung“ provokant proklamiert hat, nämlich dass erst der Monotheismus das Kriterium „wahr oder falsch“ in die Religionsgeschichte eingeführt hat. So steckt in jeder der drei großen monotheistischen Religionen ein Kern von Eiferertum, den sie, bei aller Mäßigung und Aufklärung, gar nicht loswerden können.
Verharren im Unglauben sieht der monotheistische Eifer seit je als Verbrechen – das gilt für das Christentum, das sich als „Religion der Liebe“ vorstellt, fast ebenso wie für Islam und Judentum. „Daher umgibt sich die Heilsbotschaft seit ihren ersten Tagen mit einer Eskorte aus Drohungen, die den Unüberzeugten das Schlimmste in Aussicht stellen. Zwar spricht das Evangelium davon, nach allen Seiten Segen bringen zu wollen, doch auf die Nichtbekehrten wünscht der christliche Militantismus von der ersten Stunde an den Fluch des Himmels herab.“
Ob eine solche Religiosität der Moralität nützt, ist sehr fraglich. In diesem Sinne schreibt der Soziologe Gerhard Schulze in dem kleinen Sammelband „Was ist eine gute Religion?“: „So ist Nächstenliebe kein Monopol der Religionen, die oft genug als Nächstenhasser aufgetreten sind, sondern eine anthropologisch gegebene Disposition.“
Es versteht sich von selbst, dass Kardinal Christoph Schönborn all das ziemlich anders sieht. Schönborn liefert im flotten Plauderton, wobei es aber nie allzu seicht wird, ein Exempel dafür, wie die Aufgeklärteren unter Gottes Bodenpersonal die Dinge sehen. Klar, hin und wieder macht er sich so lächerlich, wie es der Kirchenferne von Kardinälen erwartet, etwa wenn er die Beichte „eine wöchentliche oder regelmäßige Powerstation“ nennt. Aber über weite Strecken ist das Buch klug und lebensklug und manchmal richtig amüsant. Schönborn redet nicht herum: Er ist gegen eine politisierende Religion und weiß doch: Religionen sind nie unpolitisch, weil sie auf die gesellschaftliche Moral abzielen.
„Die Grundfrage ist, ob auf die Dauer eine Moral ohne eine transzendente Begründung, ohne eine Begründung in der Religion, im Glauben an Gott, ohne eine Verbindlichkeit Gott gegenüber zu halten ist“ – dies sei, so Schönborn, sehr „fraglich“. Und weiter: „Die Drohung mit dem Gericht Gottes, die tut uns ganz gut.“ Nun ist das gewiss eine fragwürdige Anthropologie, an die er selbst nicht so recht glaubt, wie eine andere Passage beweist, in der der Kardinal sagt: „Ich denke, die meisten Menschen wissen im Innersten sehr genau, was richtig ist und was nicht.“
Alles in allem scheint es so, dass die Religionen ihre sonnigsten Tage hinter sich haben. Nach dem Ende der Ideologien kamen sie als „Sinnressource“ ja in Mode, auch die Kritische Theorie machte ihren Frieden mit der Glaubenskongregation, und kaum eine Ethikkommission kommt heute ohne Bischof, Imam oder Rabbi aus.
Dass der Preis für die Renaissance des Religiösen die Rückkehr des Eiferertums ist, kommt erst allmählich ins Bewusstsein – bisher hat man sich damit beruhigt, dies sei eine islamische Eigenart. Dawkins und seine religionskritischen Mitstreiter hoffen auf die Aufklärung, ja auf einen regelrechten Aufstand der Atheisten, dieser schweigenden Minderheit. Oder ist es sogar schon eine Mehrheit?
Sloterdijk, im Stil Lichtjahre, in der Botschaft aber gar nicht so weit von den amerikanischen „Eiferern gegen das Eiferertum“ entfernt, hofft eher auf „geläuterte Eiferer“, auf jene Anhänger der monotheistischen Religionen, denen viele Stellen ihrer eigenen sakralen Bücher „wie peinliche Archaismen vorkommen“. Auf Bischöfe wie Schönborn eben, die schön erzählen können, dass Religion sehr nützlich ist. Dieser Glaube, wie Christoph Schönborn ihn vertritt, ist eben einer, der wenig Schaden anrichtet und niemandem wehtut. Das ist, wie Peter Sloterdijk zeigt, ohnehin das Beste, was man über eine Religion sagen kann.
Richard Dawkins: „Der Gotteswahn“. Aus dem Englischen von Sebastian Vogel, Ullstein Verlag, Berlin 2007, 560 Seiten, 22,90 € Peter Sloterdijk: „Gottes Eifer. Vom Kampf der drei Monotheismen“. Verlag der Weltreligionen, Frankfurt am Main 2007, 218 Seiten, 17,80 € Christoph Schönborn, Barbara Stöckl: „Wer braucht Gott?“ Ecowin Verlag, Salzburg 2007, 188 Seiten, 17,90 € Sam Harris: „Das Ende des Glaubens. Religion, Terror und das Licht der Vernunft“. Aus dem Amerikanischen von Oliver Fehn. Edition Spuren, Winterthur 2007, 342 Seiten, 22 € Uwe Justus Wenzel (Hg.): „Was ist eine gute Religion? 20 Antworten“. Verlag C. H. Beck, München 2007, 133 Seiten, 14,90 €