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Religionsdebatte in IranGott ist kein Autor

Der Philosoph Soroush provoziert das iranische Establishment. Er meint, nicht Gott, sondern Mohammed habe den Koran verfasst. Deshalb sei das heilige Buch des Islam nicht unfehlbar.

Ob dieser Koranleser an der Unfehlbarkeit der heiligen Schrift zweifelt, darf bezweifelt werden. Bild: dpa

Nicht Gott, sondern der Prophet Mohammed ist der Autor des Korans, behauptet der iranische Religionsphilosoph Abdolkarim Soroush. Soroush zählt zu den Reformdenkern, die den Koran nicht als reines Gotteswort, sondern als vom Propheten vermittelte Botschaft sehen. Diese Lesart würde zwar viele Probleme des heutigen Islam lösen, ist konservativen Kreisen aber unwillkommen.

Neu ist die These Abdolkarim Soroushs nicht. Im Laufe der nun 1400-jährigen Geschichte des Islam gab es immer wieder Strömungen und einzelne Theologen, die das heilige Buch der Muslime dem Propheten zuschrieben. Auch in der Gegenwart gibt es namhafte Vertreter des Reform-Islams, die der allgemeinen Auffassung, der Koran stamme direkt von Gott, widersprechen. Neu ist jedoch, dass nun die weitreichenden Konsequenzen, die sich aus dieser These ergeben, immer klarer beim Namen genannt werden. Das genau tut Soroush.

Soroush wendet sich entschieden gegen die traditionelle Auffassung, die den Propheten Mohammed als Boten betrachtet, der die Offenbarung von Gott empfangen und sie mit demselben Inhalt und denselben Worten verkündet habe. Diese Sichtweise degradiere die Persönlichkeit des Propheten zu einem willenlosen Instrument Gottes. Nach Soroushs Auffassung ist vielmehr Mohammed der Autor des Korans. Genauso wie ein Dichter eine Eingebung durch seine Persönlichkeit, seine Sprache und seinen Stil prägt und sie in ein Gedicht kleidet, habe Mohammed die Offenbarung aufgenommen, sie verarbeitet und mit eigenen Worten verkündet. Allerdings gebe es einen großen Unterschied zwischen einem Dichter und dem Propheten, ebenso zwischen künstlerischer Eingebung und der Offenbarung. Mohammed sei ein Auserwählter gewesen, den Gott zu seinem Propheten bestimmt habe, erläutert Soroush. Er sei aber immer noch ein Mensch gewesen und damit allen Einschränkungen unterworfen, die ihm die Zeit, in der er lebte, und der Ort, an dem er weilte, auferlegten.

Die Mission Mohammeds sei es gewesen, die Offenbarung, die jenseits des menschlichen Verstands und seines Auffassungsvermögens liege, an die Menschen zu vermitteln. Er musste also das Unfassbare für die Menschen fassbar, das Unendliche, Unbegreifliche begreifbar machen. Diese Mission konnte er zwangsläufig nur vollbringen mit seiner Sprache, seinem Verstand, seinen menschlichen Fähigkeiten, die historisch bedingt und mit Einschränkungen und Unzulänglichkeiten behaftet waren. Dieser Tatbestand erkläre auch die Fehler und Widersprüche im Koran, meint Soroush. So ließen sich aus dem Koran mehr oder weniger genau der Bildungsstand des Propheten, der Grad seines Wissens und seiner Erkenntnis, ja sogar sein Gemütszustand feststellen.

Allgemein betrachten die Muslime bis zum heutigen Tag den Koran als direkte Offenbarung Gottes und Mohammed als ihren Überbringer. Daraus folgt, dass der Koran keinerlei Fehler oder Widersprüche aufweist und damit für die Ewigkeit bestimmt ist. Denn Gott ist makellos, und seine Worte sind zeitlos und an keinen Ort gebunden. Widersprüche und Fehler, die im Text eindeutig nachzuweisen sind, werden von Traditionalisten als scheinbar bezeichnet - scheinbar, weil unser Verstand und unser Auffassungsvermögen nicht dazu ausreichten, den wahren Kern der Aussagen zu begreifen. So seien die Menschen in jeder Epoche nur in der Lage, einen Teil des Korans zu verstehen. Die ewige Gültigkeit des Korans bleibe davon unberührt.

Demgegenüber vertritt Soroush die Auffassung, die Aussagen des Korans seien, soweit sie die Grundsätze des Glaubens betreffen, fehlerfrei und für die Ewigkeit bestimmt. So zum Beispiel jene über die Eigenschaften Gottes, über das Leben nach dem Tod oder über die Regeln des Gebets. Diese Teile des Korans seien mit den Worten Gottes identisch. Fehler und Widersprüche zeigten sich aber bei den Aussagen, Anweisungen und Vorschriften, die historische Ereignisse, andere Religionen oder insbesondere das irdische Leben und die menschliche Gemeinschaft im Alltag betreffen. Gerade solche Passagen seien Ausdruck des damaligen kulturellen und geistigen Entwicklungsstands gewesen; sie seien inzwischen längst überholt und müssten durch modernere Erkenntnisse ersetzt werden.

Würde man Soroush folgen, stünde die gesamte islamische Gesetzgebung, die Scharia, von den Benachteiligungen der Frauen bis zu den Strafmaßnahmen auf dem Prüfstand und müsste an die Moderne angepasst werden. Eine derartige Historisierung der Offenbarung und Entheiligung des Korans würden die größte Hürde, die den Weg zu Reformen im Islam versperrt, beseitigen und eine Modernisierung erlauben, ohne den Kern und die geistig-metaphysische Substanz des Glaubens anzutasten.

Doch mit Recht stellt Soroush fest, dass seine Auffassung zwar von einigen Reformern, auch unter den Sunniten, geteilt werde, bei den tonangebenden Konservativen, allen voran bei den herrschenden schiitischen Islamisten in Iran, jedoch auf massiven Widerstand stoße: "Ihre Macht basiert auf einer konservativen Auslegung des Islam. Daher befürchten sie, durch Diskussionen wie die über die Rolle des Propheten alles zu verlieren."

Tatsächlich sind die jüngsten Äußerungen Soroushs in Iran heftig angegriffen worden. Manche werfen ihm sogar vor, er habe sich vom Glauben abgewandt und sich unter die erklärten Feinde des Islam im Westen eingereiht. Denn er leugne nicht nur die Offenbarung, sondern werfe sogar dem Propheten mangelndes Wissen und unzulängliche kulturelle Entwicklung vor. Damit unterhöhle er nicht nur die Basis des Glaubens, sondern auch die des islamischen Gottesstaates. Etwas ernsthafter setzt sich der konservative Geistliche Ajatollah Jafar Sobhani mit den Thesen Soroushs auseinander. Zunächst verweist er auf zahlreiche Stellen im Koran, an denen ausdrücklich betont wird, dass der Koran Gottes Wort und Mohammed der Überbringer der Offenbarung sei. Selbstverständlich habe Mohammed nicht die Rolle eines einfachen Boten gespielt. Er habe, bevor er die Offenbarung empfangen konnte, "seelisch und geistig eine Stufe erreichen müssen", die ihn dazu befähigte, die "Stimmen der Engel zu vernehmen und deren Antlitz zu sehen". Er habe die seelische Kraft erlangen müssen, einerseits in der materiellen Welt existieren und gleichzeitig ohne Furcht "überirdische Regionen betreten und Gottes Botschaften empfangen" zu können.

Sobhani wirft Soroush darüber hinaus Widersprüche in dessen Argumentation vor. Einerseits konzediere Soroush, dass Mohammed in der Lage gewesen sei, die Offenbarung, soweit sie das Leben nach dem Tod oder die Eigenschaften Gottes betreffe, direkt zu vermitteln und sie wie von Gott mitgeteilt zum Ausdruck zu bringen. Wie könne er dann gleichzeitig behaupten, dass dem Propheten andererseits aufgrund seines historisch bedingten Wissensstandes in den Teilen, die das irdische Leben betreffen, Fehler und Widersprüchlichkeiten unterlaufen sein sollten?

Ähnlich wie Sobhani haben zahlreiche Geistliche und Theologen gegen die Thesen von Soroush Stellung genommen, so dass inzwischen eine regelrechte Front gegen den zurzeit im Ausland weilenden Religionsphilosophen entstanden ist. Alle weisen ihn warnend darauf hin, er spiele mit dem Feuer. Doch die Diskussionswelle, die nun einmal nicht nur im Iran, sondern in zahlreichen islamischen Ländern in Bewegung gesetzt worden ist, wird sich wohl kaum aufhalten lassen.

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3 Kommentare

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  • S
    Schreiber

    Gott - die Zeit.

    Als "Gesandter Gottes" tritt Mohammed in seiner Zeit auf. Im Fluß der Zeit liegen - in Fließrichtung - die Felsen der Religionen. Auf diesen Felsen wachsen auch Pflanzen, jeweils spezifische. Ihre Lebensdauer entspricht ihrer Grundlage, ihrer Entstehung und ihrer Umgebung. Wenn der Lauf der Zeit - in der Zukunft - durch die Dortigen aufgestaut wird, sei es durch politische, philosophische oder wirtschaftliche Umwälzungen, dann wirkt der Rückstoß auf die Fließkraft und dann auf diese Felsen. Der jeweils Letzte wird am meisten erfaßt: Der Islam. In dieser Phase sind wir. Wird die Fließblockade weiterhin aufgebaut - philosophische und technisch-wirtschaftliche Veränderungen greifen ein -, werden auch die früheren Felsen tangiert. Und wenn sie nicht untergehen wollen, müssen sie sich abspalten, aufholen und die Blockade durchbrechen:

    Religion wird es in der Zukunft nur noch geben, wenn sie leuchtende Erkenntnis gibt. Das kann sie nur mit dem Wissenschaftskern, der in der Gottes-Idee schlummert. Das Gesicht Gottes ist im Hirn des Menschen: dort, wo Empfindung, Gefühl, Erkenntnis und Handlung in eins verknüpft werden. Gott - die Zeit allen Lebens.

    Gott - die Schichten der Generationen im Jetzt.

    Gott - die Zeit allen Lebens.

  • DH
    Dr. Hassan Rezaei

    Soroushs Ideen, obwohl sehr provokativ, sind sehr widersprüchlich und werden daher nach und nach im akademischen Bereich und insbesondere an den Islamische Seminaren als nur unzureichend ausgearbeitete Thesen betrachtet. Einen Überblick auf zahlreichen intellektuellen Weblosgs von junger gelehrter Generation ist ein Beweis. Zum Beispiel hier: http://imayan.blogsky.com

    Man vernimmt dieser Tage sogar, dass Soroush sein Prestige als autoritativer Religionsphilosoph zumindest in Iran komplett verloren hat. Eine klare Schwäche in Soroushs Thesen zum Koran liegt darin begründet, dass er kaum wissenschaftlich argumentiert, sondern seine Beiträge eher mit Gedichten und Poesie füllt. Man erkennt sehr schnell, dass in seinen Schriften verschiedenen Ansätzen in oftmals inkonsistenter weise zusammengestellt sind. Im Vergleich zu Soroushs Thesen werden die Ideen von Mohammad Mojtahed Schabestari und Mustafa Malekian zum Koran von prominenten iranischen Islamwissenschaftlern als wesentlich harmonischer und konsistenter bewertet. Eine interessante Serie von Anregungen hierüber wurde kürzlich von Abolhassan Banisadr, Islam-Denker und erster Staatspräsident in der iranischen Geschichte, veröffentlicht. Banisadr, der gleich nach der iranischen Revolution von 1979 aufgrund seiner kritischen Haltung gegen Fundamentalisten mit Ayatollah Khomeini in Konflikt geraten war und ins Exil fliehen musste, versucht, diese Frage umzuwandeln. Er kritisiert Soroush Haltung sehr scharf und betont, dass die Fragestellung ob der Koran Mohammads oder Gottes Wort sei, an sich falsch formuliert ist. Die richtige Frage sei dagegen die, ob der Koran eine Rechtslehre an sich ist? Wenn dies der Fall ist bedeutet dies, dass der Koran einen Freiheitsdiskurs darstellt und daher von jedem freien Geist praktiziert werden kann und soll. Sind die Inhalte jedoch widersprüchlich und dienen nicht der Durchsetzung einer kohärenten Rechtslehre, dann handelt es sich bei dem Koran um nichts weiter als einen Machtsdiskurs. In diesem Falle wäre es absolut gleichgültig ob der Koran das Wort Gottes oder von Mohammads darstellt. Für Banisadr jedenfalls steht das Recht selbst und sich selbst offenbart. Herr Niroumand kennt sicherlich diese Serien von Artikeln da sie in Gänze Online zur Verfügung stehen und es wäre sehr nützlich, so denke ich, wenn er auch darüber berichten würde. Auf diese Weise würde das deutsche Publikum mit der Vielfalt der Diskurse innerhalb des jetzigen iranischen Islam vertraut gemacht.

  • A
    anke

    Was tut ein Gesandter? Erst neulich hat sich die taz mit dieser Frage befasst. Aussterben, war ihre Antwort. Nun – ganz so drastisch, nehme ich an, wird es dann doch nicht kommen. Das Bedürfnis nach Vermittlung nämlich werden die Menschen (schon wegen ihres vergleichsweise unterschiedlichen geistigen Potentials und ihres immer nur partiellen Wissens) auch in Zukunft haben – vorausgesetzt natürlich, die Vermittler versagen nicht vollständig und die Zukunft findet tatsächlich statt.

     

    Mohammed, so übersetzt zumindest Wikipedia das Glaubensbekenntnis, sei ein Gesandter Gottes gewesen, eine Art Diplomat also. Er sollte, muss man annehmen, das Wort Gottes nicht bloß unverständlich vor sich hin murmeln, er sollte es zu Gehör bringen. Schließlich: Was hätte es Gott in seiner unendlichen Gnade genutzt, hätte man Mohammed für einen übergeschnappten Spinner gehalten, den man auslachen, wenn gar erschlagen muss? Die Zeiten waren hart damals und die Menschen waren nicht eben zimperlich, wird behauptet. Nichts hätte es damals genutzt, hätte sich Mohammed als überqualifizierter Klugscheißer geoutet, und genau da liegt das Problem mit den unflexiblen Religionen. Genauer gesagt: Das Problem all zu unflexibler Religionsführer besteht darin, dass Sie es den Menschen nicht gestatten, klüger zu werden, als ihre Vorfahren waren.

     

    Mag ja sein, dass Gottes Botschafter qualifiziert war. Seine Zuhörer können es (zumindest mehrheitlich) nicht gewesen sein, sonst hätten sie ihn nicht zunächst einmal vertrieben aus Mekka. Auch in Medina scheint er anfangs nicht sonderlich erfolgreich gewesen zu sein, sonst hätte er sich später nicht zu rächen brauchen an den jüdischen Stämmen des Yathrib. Irgend etwas also muss passiert sein zwischenzeitlich Immerhin ist der Islam heute die zweitgrößte Religion der Welt. Was liegt näher als anzunehmen, der Prophet hätte – ähnlich wie seinerzeit Martin L. – irgendwann beschlossen, dem Volk aufs Maul zu schau'n um es zu erreichen?

     

    Weder Gott selbst noch Mohammed müssen fehlbar gewesen sein. Es genügt, wenn das gemeine Volk es war. Und wer wollte die Fehlbarkeit des gemeinen Mannes bestreiten? Ein konservativer Ajatollah doch gewiss nicht. Mohammed musste, meint Jafar Sobhani, die seelische Kraft erlangen, einerseits in der materiellen Welt existieren und gleichzeitig ohne Furcht überirdische Regionen betreten und Gottes Botschaften empfangen zu können. Was, wenn der Mann Recht hätte?

     

    Wer weiß - vielleicht war es ja gerade Mohammeds Auftrag, in Bezug auf das irdische Leben an die Erfahrungen und den Wissensstand seiner Zeitgenossen zu appellieren, das Leben nach dem Tod oder die Eigenschaften Gottes, die weit jenseits des Erfahrbaren liegen, aber ganz wörtlich zu verkünden? Ist die Idee des Säkularen tatsächlich eine Erfindung der Neuzeit? Würde Ajatollah Sobhani, sollte er den göttlichen Auftrag zur Missionierung eines ganzen Volkes erhalten, anders vorgehen, als Mohammed es vermutlich getan hat? Wenn ja: wie, um Gottes Willen? Und: Hat Gott ihn womöglich deswegen nicht auserwählt?