Religiöse Gewalt in Nigeria: In die Brunnen fließt Blut statt Wasser
Mindestens 500 Menschen starben inzwischen bei religiösen Pogromen in Nigeria. Hinter dem Konflikt steckt ein Machtkampf zwischen christlichen und muslimischen Führungseliten.
NAIROBI taz | Es war ein Blutbad, so viel steht fest. Das wahre Ausmaß des Angriffs auf Kuru Karama am Dienstag letzter Woche aber wird womöglich für immer verborgen bleiben. Wie viele Leichen in den tiefen Brunnen der Stadt gut 30 Kilometer südlich von Jos im Zentrum Nigerias noch verwesen, konnten die Überlebenden auch gestern nur schätzen. "Wir haben bis jetzt 150 Tote aus den Brunnen und aus Sickergruben geborgen", sagt Umar Baza, der Ortsvorsteher der Bergbaugemeinde. "Sechzig Menschen werden noch vermisst, aber wir müssen die Brunnen jetzt mit Sand zuschütten, um den Todesgestank zu überdecken."
Christliche Milizen hätten den Ort umstellt, berichten Bewohner der muslimischen Siedlung. Man habe sich in Häusern und Moscheen versteckt, aber die Angreifer hätten Fliehende erschossen und andere angezündet. Einige hätten sich nur retten können, weil sie sich tagelang in Erdlöchern verkrochen. Das Massaker lässt die Zahl der Toten bei den jüngsten Unruhen im Zentrum Nigerias auf 400 bis 500 schnellen. Offizielle Zahlen sind selbst aus der Provinzhauptstadt Jos nicht zu bekommen.
Die Hauptstadt des Bundesstaates Plateau erholt sich dank einer massiven Militärpräsenz langsam von der Gewalt der vergangenen Woche. Gestern öffneten erstmals wieder Läden, an Wasserstellen bildeten sich lange Schlangen. Soldaten hielten sich im Hintergrund, nach wie vor beherrschten aber Straßensperren und Panzer das Bild. Die Polizei, die die Massaker aufklären könnte, schien wie vom Erdboden verschluckt. Auch 18.000 Bewohner sollen dem Roten Kreuz zufolge aus Jos geflohen sein.
Während religiöse Scharfmacher, Christen wie Muslime, die jeweils anderen Glaubensanhänger verantwortlich machen, setzen sich Stimmen durch, die von einer Instrumentalisierung der Religion sprechen. Landflucht verstärkt die Spannungen in den Elendsvierteln weiter - und sorgt für ethnische Spannungen. Diejenigen, die vom Land kommen, sind meist muslimische Kleinbauern vom Volk der Haussa, denen in Jos Siedlungsrechte und Beschäftigung verwehrt werden.
Auch politisch ist die Stimmung aufgeheizt. Die Führungseliten im mehrheitlich christlichen Süden und ihre Pendants im überwiegend muslimischen Norden Nigerias streiten seit Wochen über die Führung im Land. Nigerias Präsident Umaru YarAdua, Spross einer einflussreichen Familie aus Nordnigeria, ist schon seit über zwei Monaten außer Landes. Er verließ Nigeria Ende November, in Saudi-Arabien behandeln Ärzte seine Herzbeutelentzündung.
Eigentlich sollte in so einem Fall Vizepräsident Goodluck Jonathan Afrikas bevölkerungsreichste Nation führen - doch YarAdua weigert sich, seine Macht formell abzugeben, wohl auch deshalb, weil YarAduas Unterstützer den Einfluss auf die Bundesregierung nicht an einen Christen aus dem Süden verlieren wollen. So zugespitzt ist die Lage, dass Zeitungen schon über einen drohenden Militärputsch spekulierten. In Lagos demonstrierten vergangene Woche Tausende für YarAduas Rückzug.
In Jos glauben nicht wenige, dass die Anstifter der Unruhen mit der Gewalt die Handlungsunfähigkeit des Vizepräsidenten belegen wollten. Doch selbst wenn es so war, die Rechnung ging nicht auf. Jonathan ergriff die Unruhen als Chance, um erstmals faktisch als Staatschef zu handeln. Er war es, der das Militär nach Jos entsandte.
Ein Ultimatum eines Bundesgerichts vom Freitag stärkt zudem Jonathans Position: binnen zwei Wochen soll das Kabinett feststellen, ob YarAdua noch regierungsfähig ist. Wenn dies nicht geschieht, soll der Vizepräsident die Macht auch formell übernehmen. Gerüchte, nach denen YarAdua noch an diesem Mittwoch nach Nigeria zurückkehren soll - und sei es nur, um sein Amt ordentlich zu übergeben -, blieben unbestätigt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Krieg in Gaza
Kein einziger Tropfen sauberes Wasser
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Elon Musk torpediert Haushaltseinigung
Schützt die Demokratien vor den Superreichen!
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus