Rektorentagung in Leipzig: "Die Studis sind furchtbar ungeduldig"
Die Bachelorproteste seien zu allgemein, die Kritik am Demokratiedefizit "barer Unfug", so Hochschul-Chefin Margret Wintermantel. Warum die StudentInnen ihr dafür dankbar sein können.
Eigentlich könnte sie froh sein. So starken Rückenwind hatte Margret Wintermantel, die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz, selten, wenn es um die Anliegen der Hochschulen in der öffentlichen Debatte ging. Die Hörsäle sind besetzt, die Feuilletons sind voll - und alle fragen sich: Was müssen wir tun, damit es an den Universitäten wieder gerecht zugeht?
Zu verdanken hat Wintermantel das den protestierenden Studierenden, die seit Wochen auf die Straßen gehen. Doch anstatt zu würdigen, dass die Studierenden für eine sensibilisierte Öffentlichkeit sorgen, lacht sie ihnen höhnisch ins Gesicht.
"Es bewegt sich schon etwas, aber die Studierenden sind furchtbar ungeduldig", sagte Wintermantel im Deutschlandradio. "Mein Eindruck ist derzeit, dass es wenig konkrete Forderungen gibt, sondern eine allgemeine Unzufriedenheit mit der Studiensituation. Das macht mir schon Sorgen."
Das Gerede von einer Entdemokratisierung der Hochschulen - für Wintermantel ist dieser Fakt "barer Unfug". Mit besonderer Chuzpe ging sie mit ihrer Studierendenschelte auch noch kurz vor ihrem Empfang in Leipzig an die Öffentlichkeit. 3.000 Studierende protestierten bei der Hochschulrektorenkonferenz am Dienstag in Leipzig.
Die Studierenden können der obersten Hochschulchefin für ihre offenen Worte dankbar sein. In den letzten Wochen protestierten die Studierenden auf die größte Gefahr zu, die ihnen bei ihrem Marsch gegen die neue Universität begegnen konnte: von allen geliebt, zerkuschelt und begrüßt zu werden.
Bislang hatten die Uni-PräsidentInnen großherzig Verständnis für die Not an Deutschlands Unis signalisiert. Auch Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) finden gut, dass die Studierenden sich wehren. Allerdings ist das "Zugeständnis", dass Bachelor-Studiengänge künftig acht Semester dauern dürfen, gar kein Erfolg der jetzigen Studierendenproteste. Schavans Ministerium hat das bereits im Sommer zugesagt. Dieses Lippenbekenntnis hat also keinerlei Neuigkeitswert.
Im Gegenteil: Wenn die HochschulrektorInnen nun mit solchen vermeintlichen Versprechen protzen, dann zeigt dies, dass viele Verantwortliche an den Unis - trotz besseren Wissens - noch immer nicht aus ihren Fehlern lernen wollen.
Dass bei den Bologna-Reformen schieflief, was nur schieflaufen konnte, wissen die Verantwortlichen längst. Und zwar nicht erst seit dem Studi-Streik.
Erstens: Die Mobilitätskurven der Studierenden zeigen steil bergab. Statt mehr europäischem Austausch während des Studiums gibt es in den neuen Studiengängen weniger Studierende, die ins Ausland gehen. Der Deutsche Akademische Austauschdienst bemängelt das seit langem.
Zweitens: Viele Bachelor-Studiengänge sind kaum studierbar. Statt die neue Studienstruktur mit Bedacht zu entwickeln, wurden viele Studiengänge im Schnelldurchgang neu entworfen. Die größten Überfrachtungssünden der alten Studiengänge wurden häufig einfach in ein 6-Semester-Studium gepresst. Ganz ohne Not - denn Studiengänge hätten locker von Beginn an auch auf acht Semester ausgelegt werden können. StudierendenvertreterInnen problematisieren dies seit Beginn der Reformen.
Drittens: Angesichts der Arbeitsbelastung bleibt im heutigen Studium kaum noch Zeit für Nebenleben oder Aushilfsjobs. Dabei benötigen 63 Prozent der Studierenden zur Studienfinanzierung ein Nebeneinkommen. Wann sie das erwirtschaften sollen? Keine Antwort. Das deutsche Studentenwerk weist darauf seit Jahren hin.
Viertens: Die soziale Auslese beim Zugang zur Hochschule steigt weiterhin an. Wo das steht? Im statistisch belastbaren und regelmäßig erhobenen Studierendensurvey. Wer den in Auftrag gegeben hat? Die Bundesregierung.
Diese Probleme sind den RektorInnen seit langem bekannt. In breit angelegten Studien sind die Fakten geklärt, auf Bildungskonferenzen wird beim Sekt darüber geplauscht. Alles nichts Neues. Und doch: Viele Studierende müssen heute die Statements der Verantwortlichen feiern wie ein Katholik die heilige Messe: demütig, im Innern skeptisch - und immer in der Hoffnung, dass Erlösung naht.
Dass die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz, gegen die in Leipzig tausende Studierende auf die Straße gingen, nun noch die Studierenden beschimpft, ist ehrlich. Sie fühlt sich belästigt von der Wahrheit. Und sie will, dass auch künftig die HochschulrektorInnen die Wahrheit bestimmen dürfen. Denn natürlich: Solange das Schweigekartell der Hochschulreformer sich weiterhin unhinterfragt darauf verständigen darf, dass an den Reformen nur hier ein bisschen nachjustiert und dort noch etwas aufpoliert werden muss, bleiben die tatsächlichen Probleme ungelöst.
Diese Probleme entspringen nicht den wirren Ideen streikender Studierender, sondern dem Alltag des universitären Lebens. Bislang reagieren die HochschulpräsidentInnen mit Allgemeinplätzen oder mit Geschimpfe. Ehrlicher könnten sie nicht sein.
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