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Reiswein lehrt Demokratie

Tradition gegen Technokraten: Zwei berühmte Sake-Braumeister könnten die japanische Anti-Atomkraft-Bewegung am Sonntag zum Sieg führen  ■ Aus Maki Georg Blume

Dies ist die Geschichte von zwei Braumeistern, die ihrem Land das Reisweintrinken auf demokratische Art und Weise lehren wollen. Einer von ihnen ist der Weinlieferant des Kaiserhofs, der andere verkauft sein Gebräu unter dem wohlklingenden Namen Sasaiwai im ganzen Land. Beide stammen aus hochangesehenen Familien, die über Jahrhunderte die Kunst des japanischen Sake-Brauens gepflegt haben. In ihren Fässern gärt nur der beste Reis des Landes, und alle Brauereien des Inselreichs beneiden die beiden Freunde um das säuerlich-frische Quellwasser, das aus ihren wertvollen Ländereien sprudelt.

Trotz aller Vorteile und Achtung, die sie bis heute genossen, waren die zwei Braumeister aber unzufrieden: Denn je länger die Demokratie in ihrem Land währte, desto weniger schienen die Menschen den Reiswein so zu trinken, wie es die Tradition empfiehlt. Nach alter Sitte trinken die Menschen Sake bei der Betrachtung der Natur: Der Schönheit des Mondes, der Blumen und des frisch gefallenen Schnees entsprechen die vier Geschmacksrichtungen, die ein guter Reiswein vereinigt: Süße, Säure, Schärfe und Bitterkeit. Doch davon wollten die meisten seit langem nichts mehr wissen. Unter der Demokratie begannen sie den Wein immer dann zu trinken, wenn sie die Regeln der Gesellschaft außer Kraft setzen wollten. Vor Wahlen werben Politiker mit teurem Reiswein um Stimmen. Bald hatten die Braumeister endgültig genug von dem Treiben.

Das Ende der Geschichte kann hier leider nicht vorweggenommen werden, denn die zwei Braumeister haben ihren Kampf gegen den Sake-Mißbrauch gerade erst gegonnen. Der eine von ihnen, Takaaki Sasaguchi, ist heute Bürgermeister des stolzen Weinstädtchens Maki am Japanischen Meer. Sein Freund Iichiro Uehara, der jüngst den Sake für die Hochzeit des Kronprinzen braute, leitet die Kampagne für ein Referendum, das in diesen Tagen ganz Japan beschäftigt. Am Sonntag stimmen die 23.000 Wahlberechtigten von Maki in einer Volksabstimmung über den Bau eines Atomkraftwerks in ihrem Landkreis ab. Scheitert der Reaktorplan, droht das derzeit ehrgeizigste AKW- Programm der Welt zusammenzufallen. Nicht weniger bedeutsam könnte die Lektion des lokalen Widerstands sein. Schon drohen auf der Insel Okinawa ähnliche Referenden, die das japanisch- amerikanische Militärbündnis gefährden.

„Seit der Zeit des Shoguns mußten die gewöhnlichen Leute von Maki den Befehlen der Regierenden gehorchen. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Noch immer hört die Regierung in Tokio den Bürgern nicht zu“, sagt Bürgermeister Sasaguchi mit bebender Stimme. Der stämmige Mittvierziger ist es nicht gewohnt, das Wort gegen die Mächtigen zu richten. Generationen seiner Vorväter standen immer auf ihrer Seite und schworen Loyalität zum japanischen Sonnenbanner, das jetzt vor Sasaguchis Bürofenster weht. Ungerührt fährt der Bürgermeister fort: „Die Voraussetzung für eine parlamentarische Demokratie, wie Japan sie hat, sind Kandidaten, die Versprechen geben und ihre Pläne offen diskutieren. Diese Voraussetzungen werden bei uns nicht mehr erfüllt. Korruption und Bestechungsversuche verdecken in Japan die realen politischen Zwecke der Machthaber.“

Bürgermeister Sasaguchi hat nie gesagt, ob er für oder gegen das Atomkraftwerk am Ort ist. Doch die Pro- und Contra-Argumente kennt in Maki ohnehin jeder. Die einen versprechen sich Arbeitsplätze für die Bauindustrie, die anderen fürchten Radioaktivität im Grundwasser. Wirklich überzeugte Atombefürworter aber gibt es spätestens seit dem großen Unfall im Schnellen Brüter Monju vom vergangenen Dezember nur noch wenige.

Vieles an der Maki-Story erscheint schon von weitem märchenhaft: Da begehrt ausgerechnet in einem der konservativsten Flecken Japans die lokale Bevölkerung gegen den Zentralstaat auf. Nicht die Not treibt dort die BürgerInnen, sondern ihr Reichtum. Seit Jahrhunderten erfreuen sich die Bauern von Maki und der umliegenden Provinz Nishikanbara der höchsten Reiserträge in ganz Japan. Kommunisten und Sozialisten waren hier stets Fremdlinge, Armut und Elend nur aus Erzählungen bekannt. „Die Menschen in Maki sind so reich, daß sie nur die Loyalität des Geldes kennen“, erklärt eine Kellnerin, die vor zehn Jahren in eine einheimische Familie einheiratete.

Alter Reichtum und Demokratie kamen in Maki schlecht miteinander aus. „Wir hatten in den vergangenen 25 Jahren fünf Bürgermeister, weil jeder etwas anderes tat, als er versprochen hatte“, berichtet Makoto Kikuchi, Generalsekretär der Bewegung für das AKW-Referendum. Der Grund für soviel Unruhe: Schon 1969 entschied sich die nordjapanische Elektrizitätsversorgungs-Gesellschaft für Maki als Standort eines Atomkraftwerks. Politische Probleme waren von Anfang an nicht eingeplant, da in Tokio und Maki mit den Liberaldemokraten die gleiche Partei uneingeschränkt regierte. So nahmen die Genehmigungsverfahren für das AKW schnell alle Hürden, bis ein unvermutetes Problem auftauchte: Der Stadt Maki gehörte ein Fleckchen Land inmitten des vorgesehenen Baugeländes. Keinem Bürgermeister gelang bis heute die Freigabe des Grundstücks – alle wurden rechtzeitig abgewählt.

Die Frage, über die Makis Bürger am Sonntag abstimmen, lautet deshalb: „Befürworten Sie den Verkauf des städtischen Landbesitzes an die Betreiber des Atomkraftwerks?“ Inzwischen glauben fast alle, daß sich Makis BürgerInnen mit großer Mehrheit für das Nein entscheiden werden.

Ohne den klugen Einsatz der beiden Sake-Brauer wäre es soweit nie gekommen. Große Sake-Familien gehören in Japan zur Macht wie der Adel zum Kaiserhof. Shin Kanemaru, der letzte große Königsmacher der Liberaldemokraten, war der Sohn eines mächtigen Sake-Brauers. „Mir war klar: Wenn Uehara und ich aufbegehren, wird es für den Rest der Leute nicht mehr so schwer sein“, räumt Sasaguchi ein.

Sake-Boss Uehara besuchte während der vergangenen Monate alle Haushalte, deren Abstimmungsverhalten am Sonntag nicht voraussehbar schien. Ein solcher Besuch aber war für die Bürger von Maki etwas ganz anderes als die gewöhnliche Aufwartung eines Politikers – hier kam der Erbe einer Familie, die über Generationen hinweg für das Wohl des Landes gesorgt hatte. „Ich unterhalte mich mit den Leuten nicht an der Türschwelle,“ gibt Uehara zu. Er leugnet auch nicht, daß dem Nein zum AKW schon deshalb ein paar tausend Stimmen sicher sind, weil viele Bürger in simpler Folgsamkeit mit ihren berühmten Sake- Brauern abstimmen.

Doch noch ist nicht alles gelaufen: „Man überschätzt, was die Zeitungen schreiben, und unterschätzt die Stimmen der Alten, die den wählen, der ihnen am meisten zahlt,“ warnt die aufmerksame Kellnerin. Keine Zweifel bestehen, daß die AKW-Befürworter in diesen Tagen noch einmal Millionen in den Wahlkampf investieren. Dennoch muß der Eindruck schon sehr täuschen, wenn Maki sich noch einmal als bestechlich erweisen würde. „Für guten Sake bedarf es nicht nur guten Reis und guten Wassers, sondern eines guten Managements“, erklärt der Bürgermeister seine Brau-Philosophie. „In diesem Sinne trägt Demokratie im Unternehmen zum Geschmack des Weines bei.“

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