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Reisewege zur Kunst

Willkommen in Megalopolis! Mit der 2. Kunstbiennale in Korea will sich Asien als Standort für Kultur etablieren. Die einzelnen Sektionen wirken dennoch nomadisch  ■ Von Stephanie Tasch

Auf den ersten Blick ist alles wie in Kassel. Nach stundenlanger Bahnfahrt von Seoul in den Südwesten, vom Zentrum in die Peripherie, wiederholt sich die Ödnis des Bahnhofsvorplatzes im Kleinformat. Straßenmusiker spielen, ein Stadtstreicher tanzt dazu. Es ist sehr leer, der Wind pfeift, und bis zur Kunst ist es noch weit. Kwangju, die fünftgrößte Stadt Koreas, ist steingewordene Nachkriegszeit. Monoton ragen die Neubauten empor, breit sind die Straßen; das Großraster der autogerechten Stadt hat sich über das kleinteiligere Muster früherer Lebensweisen gelegt. Wir sind aber nicht in Kassel. Kwangju verdankt die Unwirtlichkeit seiner Stadtlandschaft nicht Kriegszerstörungen, sondern den Segnungen des koreanischen Wirtschaftswunders.

Die Fronten des Koreakrieges verliefen weiter im Norden und im Südosten; der Umbau der Agrar- zur Dienstleistungsgesellschaft spannt nun die Stadt in ein System von Autobahnanschlüssen, Eisenbahnlinien und Ringstraßen ein. So läßt sich in einer der traditionell wohlhabendsten Regionen der Halbinsel eine der Leitthesen der Biennale maßstabsgerecht überprüfen. Der Verwestlichung asiatischer Städte im Namen von Globalisierung, Wohlstand, Fortschritt und Hygiene entspricht die gleichzeitige Folklorisierung oder Selbst- orientalisierung der lokalen Kultur, deren sorgfältig konservierte Artefakte, sei es in situ, im Museum oder bei Brauchtumsfesten, zur touristischen Attraktion für die eigene Bevölkerung werden.

Die Selbstdarstellung der Stadt Kwangju bedient sich der lokalen kulturellen Tradition einerseits (Keramik und Kulinarisches) und der Reputation als Ort der Rebellion gegen politische und ökonomische Unterdrückung andererseits. In der jüngsten Geschichte waren es die blutig niedergeschlagenen prodemokratischen Demonstrationen des Jahres 1980, die zum Ende der Militärdiktatur in Korea beitrugen und bis heute eine bestimmende und sehr lebendige Erinnerung in der Bevölkerung sind. Anläßlich der ersten Biennale 1995 fanden auf dem Friedhof der Märtyrer des 18. Mai 1980 noch Gegenveranstaltungen statt. Ihr Organisator Lee Young-chul ist in diesem Jahr künstlerischer Leiter der Biennale.

Die politische Bedeutung der Ausstellung ist jedoch nicht ausschließlich lokalhistorischer Natur. Ihre Gründung war wesentlich durch die Rivalität der regionalen Zentren um kulturelle Großereignisse motiviert. In Kwangju sicherte man sich die einzige Kunstbiennale Asiens, während auf der anderen Seite der Halbinsel, in der Hafenstadt Pusan, ein internationales Filmfestival den Wunsch der Stadtkämmerer nach weichen Standortfaktoren erfüllt (siehe taz, 6.11.1997). Auf nationaler Ebene gibt es ein großes Interesse an der Entwicklung Koreas zum internationalen Kulturstandort, eine Tendenz, die auf dem Markt für moderne und zeitgenössische Kunst schon seit einigen Jahren beobachtet werden kann.

Statt wie bei der ersten Biennale die Welt in kontinentale Happen aufzuteilen und Kunst unter eher landsmannschaftlichen Aspekten zu präsentieren, zielt Lee Young- chuls Ausstellungskonzept auf die Aufhebung konventioneller Grenzen. Unter den Untertiteln „Speed/Water“, „Space/Fire“, „Hybrid/Wood“, „Power/Metal“ und „Becoming/Earth“ markieren fünf Gastkuratoren das Terrain, auf dem die von Lee definierten Kräfte einer Welt im Umbruch mit den fünf Elementen der ostasiatischen Kosmologie interagieren. Dem globalistischen Anspruch der Hauptausstellung antwortet der Regionalismus der Spezialschauen auf dem Biennalegelände im Joongwoe-Park und in der Stadt selbst: „Memory and History“, koreanische Kunst und visuelle Alltagskultur seit 1945; „Nomadic Passages“, Schamanismus und zeitgenössische koreanische Kunst; „Crossings East and West“, Wechselbeziehungen zwischen koreanischer und westlicher Kunst; „Kwangju Aperto“, junge koreanische Künstler und „Urban Vision: Public Art Project“, ein Projekt zur Stadtentwicklung, das über die Dauer der Biennale hinaus fortgesetzt werden soll.

So steht man am Ende dieses Großkunstsommers am äußeren Ende der koreanischen Halbinsel und sieht eine Ausstellung, die in vielem einlöst, was Kassel versprach. Zum Beispiel die globale Besetzung. Zugegeben, die westlichen Künstler bleiben in der Mehrheit, aber den in sämtlichen Sektionen vertretenen Künstlern der zweiten und dritten Welt kommt deutlich nicht nur eine Alibifunktion zu. Selbst wenn die Auftritte der koreanischen Künstler nicht zu den stärksten der Biennale gehören. Mit Ausnahme der Fotos von Park Hong-chun, in denen Vergnügungsparks im Dauerstarren der geöffneten Blende als Grabanlagen des ausgehenden 20. Jahrhunderts erscheinen, bleibt der Eindruck schwach. Man wünschte sich statt dessen, einige der jüngeren, in „Kwangju Aperto“ gezeigten Künstler in der Hauptausstellung zu sehen. Auffallend ist die Beteiligung aus der Volksrepublik China: Chen Zhen, geboren 1955 und in Paris, New York und Shanghai ansässig, sowie der documanta-Teilnehmer Feng Mengbo, 1966 in Peking geboren, markieren typische Positionen von zwei Generationen chinesischer Avantgardekünstler zwischen westlichem Exil und der Duldung im eigenen Land. Ihre Anwesenheit bestätigt die Beobachtung aus Kassel, Lyon und Münster, daß die Volksrepublik dem Ghetto der Exotenausstellungen entronnen ist.

In der Sektion „Speed“ führt Harald Szeemann exemplarisch vor, wie sich die riesigen, neutralen Kuben der Biennalehallen rhythmisieren und souverän bespielen lassen. Ben Vautiers Arbeiten thematisieren zum Auftakt die Relativität des Geschwindigkeitsbegriffs. Die Frage „Is time quick or slow?“ gewinnt an Relevanz angesichts der im Schnellschritt in Zweierreihen an Joseph Beuys' Notaten auf Schultafeln und Yves Kleins „Kosmogonien“ vorbeistürzenden Schüler. Nachdem so in Echtzeit die Diskrepanz von Denk-, Schreib- und Betrachtertempo veranschaulicht ist, geht es weiter zum Gegenteil von Geschwindigkeit in Wolfgang Laibs Haselnußpollenfeld bis hin zur rasenden Kakophonie der Elemente in dem köstlichen Video „Apocalypse Now“ von United Swiss Artist. Pipilotti Rists Video „Sip my Ocean“ wurde von den Künstlerkollegen (zu Recht, zu Recht!) mit einem der fünf Biennalepreise ausgezeichnet. Die Unterwasserkamera streicht zwischen Korallenriffen entlang, begegnet auf ihrem sanft schlenkernden Weg auf den Meeresboden herabsinkenden Kitschobjekten, tropische Fische umkreisen träge Plastikmilchkännchen. Zuweilen komt eine Taucherin (Rist) ins Bild, und der Spiegelungseffekt der Projektion sorgt für erotische Metamorphosen, in denen ihr Körper zur Seeanemone wird. Im Hintergrund läuft in einer Endlosschleife der Refrain aus Chris Isaaks „Wicked Game“. Der traumtänzerische Sirenengesang verfolgt den Besucher durch den größten Teil der Halle.

Richard Koshalek hat in „Hybrid“ eine Überfülle von Großexponaten zusammengestellt, aus denen man andernorts ganze Ausstellungen hätte bestreiten können. Hybrid in der Tat, aber auch hier gibt es interessante Entdeckungen, wie etwa die ortsspezifischen Arbeiten von Rick Lowe („House Projects“) und Renée Green. Greens multimedialer Rauminstallation „Partially Buried (In Three Parts)“ gelingt ein komplexes Netzwerk aus Erinnerungen, biographischer Spurensuche und Dokumentation von Zeitgeschichte. Sie setzt die Erfahrungen ihrer Eltern während der amerikanischen Studentenunruhen und im Koreakrieg zu den Ereignissen der koreanischen Demokratiebewegung in Beziehung, so daß die Radikalität der Proteste mit den Demonstrationen staatlicher Gewalt korreliert.

Als Urvater des Hybriden in der Kunst gilt für Koshalek John Cage. Sein „Essay“, eine Klanginstallation, in der aus 36 Lautsprechern Henry David Thoreaus „Essay: On the Duty of Civil Disobedience“ tönt, ist denn auch in einer der hinteren Raumecken zu finden. Akkumulation, mediale Mischformen und die subversive Kraft der Kunst thematisiert die Installation „In the Name of the Place“ des GALA Committee. Sie bescheren der Biennale ein von vielfältigsten Objekten überbordendes Museum der Soap- opera „Melrose Place“. Man kann davon ausgehen, daß diese Topographie kalifornischen Yuppie- Daseins den Besuchern der Ausstellung vertraut ist: Laut Statistik sehen 37,7 Prozent der Koreaner im Fernsehen am liebsten Seifenopern.

Mariko Moris Cyborgs, Kreuzungen zwischen Engel, Göttin Diana und japanischem Popstar, sind hingegen Geschöpfe einer intergalaktischen Soap-opera, die Bernard Marcades schwer in der Genderdebatte geerdeten Sektion „Becoming“ schon längst entwachsen sind. Dies ist die Halle der ganz großen Gesten, im Vertrauen auf die Wirkung des monumentalen Objekts. Alles ist furchtbar groß, die Leere zwischen den einzelnen Exponaten sehr leer und die Inszenierung so pathetisch, daß nur Paul McCarthys Künstlersatire „Painter“ noch helfen kann. Der Betrachter kreist um Huang Yong- pings überdimensionales Totenfloß („Departure – En route“), das dem anderen Saalende zuzuschweben scheint, an dem unerbitttlich Louise Bourgeois' „Cell (You Better Grow Up)“ wartet. Diese Kathedrale der Angst vor dem Erwachsenwerden ist der Höhepunkt des Raumes, könnte aber auf die Grabkammerillusion der hier schwarz gestrichenen Wände gut verzichten.

„Power“, eingerichtet von Sung Wan Kyung, konfrontiert den Besucher beim Eintritt in die Halle mit einer brutalen Machtdemonstration: Nigel Rolfes Video „Hand on Face“, einer beklemmenden Visualisierung der südafrikanischen Apartheidspolitik. Die Macht des Staates, der Medien, des gesteuerten Blicks auf die Wirklichkeit manifestiert sich in dieser Auswahl fast am nachdrücklichsten über den Comic. Alberto Breccias „Perramus. Ein graphischer Roman“ (deutsch bei Carlsen image) ist eine Aufarbeitung des Terrors der argentinischen Militärdiktatur, die das Häßliche als Ausdrucksmedium ebenso gezielt einsetzt wie die bereits von der documenta bekannten Arbeiten des Israelis David Reeb. Ihr Gestus des „bad painting“ veranschaulicht die prekäre Stellung dieser Kunst zwischen politischem Kommentar und künstlerischer Ware. Dagegen wirkt das elegante Grauen von Mona Hatoums „Light Sentence“ und die David-Lynch-Ästhetik von Gregory Crewdsons liebevoll arrangierten Ekelstilleben eher harmlos.

„Space“, die letzte Sektion der Ausstellung, des in New York lebenden Kyong Park läuft aus medienspezifischen Gründen Gefahr, zum begehbaren Bildband zu werden. In dieser der Zerstörung und Entwicklung des städtischen Raumes gewidmeten Großcollage dominieren Photographie, Pläne und Architekturmodelle. Park präsentiert 21 Städte, mit deutlichem Überhang der Megalopolen Südost- und Ostasiens. In der Tat bezieht seine Übersicht ihre Brisanz aus dem Ausstellungsort, der in einem magischen Dreieck urbaner Explosion zwischen Shanghai, Seoul und Tokio liegt. Die vorgestellten Projekte führen vom zerstörten städtischen Raum (Beirut, Sarajevo, South Bronx) bis zu utopisch anmutenden Neugründungen wie Arata Isozakis „Mirage City“ vor Macao oder der Stadtplanung für Shanghais neue Wirtschaftszone Liujiazui, die von der Realität längst überholt ist.

Der deutsche Besucher findet mit einiger Erleichterung die Berliner Innenstadtbebauung in Relation zum Rest der Welt gerückt. Angesichts von anderer Leute Baustellen ist die größte Baustelle Europas eben auch nur eine Baustelle mehr. Stefanie Bürkle dokumentiert in großformatigen Cibachrome-Photos den Umbruch („Reichstag I – III“) ebenso wie das Wachstum der Neubauten (besonders schön die Potemkinschen Dörfer der Fassadenmodelle, etwa für das Bundespräsidialamt). Ihre Einzigartigkeit gewinnt die Umwälzung aus der historischen Kontinuität der Zerrissenheit, die mit der neuerlichen Bebauung für die absehbare Zukunft zubetoniert wird.

Nach Stunden im globalen Dorf der Kunst holt den Besucher draußen wieder die Provinz ein. Die naheliegende Frage nach der Bedeutung der Ausstellung für Kwangju und nach ihrer Akzeptanz durch die Bevölkerung bleibt unbeantwortet. Was man gesehen hat, war eine für ein internationales Publikum konzipierte Ausstellung mit hohem theoretischem Anspruch bei ebenso hoher ästhetischer Anschaulichkeit. Die Plazierung in der Topographie der Pilgerstraßen zur Kunst ist gelungen, die noch sichtbaren Diskrepanzen zwischen Anspruch und Realität des Unternehmens sind leicht zu beheben: Wohl findet der ausländische Besucher eine durchgehend zweisprachige Beschriftung der Exponate vor, nicht aber eine konsequente Übersetzung ihrer Begleittexte. Die Erinnerung an blicklos sausende Schüler und hilflos blickende Buchhändler lassen vermuten, daß es museumspädagogisch wie logistisch für die Biennalestiftung noch einiges zu tun gibt.

Bis 27. 11., Kwangju. Der koreanisch-englische Katalog, 509 Seiten, kostet etwa 80 DM.

Weitere Informationen: Tel: 0082- 62-5214627, Fax: 0082- 62-5214626 oder übers Internet: http://www.kwangjubiennale.org

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