Reisen in Äthiopien: „Sie sind bestimmt von einer NGO“
In Äthiopien unter deutschen Entwicklungshelfern, arabischen Investoren, chinesischen Ingenieuren. Touristen kommen eher selten vor.
Herr Ling hat sich viel vorgenommen. Mit Rucksack und kleinem Zelt will der graumelierte Herr in sechs Monaten von Kairo nach Kapstadt reisen – allein, auf dem Landweg und ohne großen Komfort. Der morsche Überlandbus, der von Äthiopiens alter Königsstadt Lalibela durch die Berge zurück in die Ebene führt, passt da gut ins Programm. Es rumpelt und stinkt, der Mittelgang ist überfüllt, lautstark wird um die besten Stehplätze gestritten.
Aber Herr Ling ist nicht nur von stoischem Gleichmut, sondern auch weltläufig. Seiner Heimat China, so berichtet er, hat er längst den Rücken gekehrt. In Vancouver sei das Leben, zumal mit kanadischem Pass, weitaus angenehmer. Und China? Herr Ling winkt ab: „In China haben die Reichen alles Recht auf ihrer Seite, die Armen haben gar keine Rechte.“
Seiner Herkunft entkommt er deshalb nicht. Nicht in einem Land wie Äthiopien. Als wir in der Provinzhauptstadt Bahir Dar aussteigen, stürmen wie überall die Verkäufer heran. „Chinese?“, fragt einer und legt gleich los: „Was ihr Chinesen macht, taugt alles nichts!“ Die Umstehenden nicken. „Die Straßen, die ihr baut, sind schlecht! Der Asphalt hält nicht mal den Lastwagen stand!“ Sein Nebenmann assistiert: „Chinesische Möbel taugen auch nichts. Die guten Sachen verkauft ihr in die reichen Länder. Wir Afrikaner kriegen nur den Schrott!“
Herr Ling scheint derartigen Reklamationszorn schon zu kennen: „Wer soll denn eure Straßen bauen?“, fragt er. „Wir natürlich! Wir Äthiopier sollen sie bauen!“, tönt die Gruppe. „Und warum passiert das nicht?“ Herr Ling hat offenbar einen Nerv getroffen. Die Gruppe wirkt auf einmal verlegen. „Korruption, alles Korruption“, murmelt einer, hat aber wenig Lust das Thema zu vertiefen.
Chinesen haben schlechtes Image
Kein Zweifel. Chinesen sind auf Äthiopiens Straßen unübersehbar. Wer Äthiopiens touristisch beliebte und historisch bedeutsame Nordroute entlang der alten Königsstädte Lalibela, Gonder und Aksum befährt, sieht allerorten chinesische Ingenieure mit weißen Sonnenhüten, die in der Hitze Teermaschinen und einheimische Arbeiter dirigieren. Es ist Schwerstarbeit bei 30 Grad, doch die Infrastruktur des Landes hat davon profitiert. Viele Strecken, die im aktuellen Reiseführer noch als üble Schotterpisten beschrieben werden, erweisen sich als weitgehend asphaltiert.
Chinas Tiefbauingenieure sind bekannt dafür, dass sie schnell arbeiten. Ihrem Image im Land nutzt das wenig. Böses und Böswilliges über die Fremden aus dem Fernen Osten ist in Äthiopien an jeder Straßenecke zu hören. Das beginnt bei den angeblich zügellosen Essgewohnheiten der Asiaten, die in den Augen der christlich-orthodoxen Äthiopier barbarisch anmuten, und endet bei Schauergeschichten über triebhafte Ingenieure, die Äthiopiens Töchter skrupellos schwängern und sitzen lassen.
Gebildeten Äthiopiern wie Tigistu Tiluhan, der in Bahir Dar eine kleine Reiseagentur betreibt und Ökotouren um den nahen Tanasee anbietet, ist die mitunter bizarre Sinophobie seiner Landsleute eher unangenehm. Gegenüber seinen ausländischen Kunden versucht er zu relativieren: „Die meisten Äthiopier wissen wenig über andere Länder und ihre Bewohner. Und was sie wissen, ist oft negativ und von Ängsten besetzt.“ Die Angst immerhin hat Gründe. Obwohl Äthiopien in seiner Geschichte als nahezu einziges afrikanisches Land keine Kolonialherrschaft erlitten hat, ist das Verhältnis gegenüber Fremden ambivalent.
Angst vor Investoren
Mancher erinnert sich noch an Familiengeschichten aus der Zeit um 1936, als Mussolinis Soldaten das Land überfielen und Giftgas gegen Zivilisten einsetzten. Bedrohlicher, weil aktueller, sind die Aktivitäten ausländischer Investoren, die nach Agrarflächen Ausschau halten und mittels „Land Grabbing“ den Aufbau exportorientierter Massenproduktion vorantreiben. Die häufig aus den Emiraten und Asien stammenden Agrarkonzerne, die auf diese Weise auch Produktionsreserven für ihre Heimatmärkte aufbauen, sind in Addis Abeba hochwillkommen.
Sämtliches Land in Äthiopien gehört dem Staat und wird lediglich verpachtet. Kleinbauern, die internationalen Investoren weichen sollen, sind weitgehend rechtlos – beste Bedingungen für die Global Player des Agrarbusiness, doch schlechte Perspektiven für eine Bevölkerung, die noch immer zu 85 Prozent von der Landwirtschaft leben muss. „Wenn die Bauern Fremde sehen, denken sie zuerst an Investoren, die ihnen das Land wegnehmen wollen“, erläutert Tigistu, während wir an einer Siedlung nahe dem Seeufer entlangradeln und eine Horde kleiner Kinder unsere Verfolgung aufnimmt.
„Chinese! Chinese!“, rufen sie, während wir den Kopf schütteln und auf unsere großen Nasen zeigen. Wer Äthiopien bereist, begreift schnell, dass „die Chinesen“ Sündenböcke sind in einem Staat, der seinem Volk kaum Recht auf eigene Meinung zubilligt. Äthiopien pflegt nicht nur enge Wirtschaftsbeziehungen mit Peking, sondern hat sich auch einem Modernisierungskurs verschrieben, der dem in der Volksrepublik sehr ähnelt. Das Regime lässt Straßen, Staudämme und Universitäten bauen, sorgt aber gleichzeitig für rigide Unterdrückung mittels Polizei und Geheimdienst.
Wohltätige Westler in Addis Abeba
Wie viel Sprengstoff der Widerspruch zwischen technokratischem Aufbruch und ziviler Ohnmacht birgt, zeigt sich während eines Spazierganges im Uni-Viertel von Bahir Dar. Nach dem üblichen Small Talk über Automarken und die aktuell wichtigsten Fußballspieler wird ein junger Mann mit Manchester-United-Trikot deutlich: „Wir studieren hier zwar, aber wir haben gar nichts, nicht mal richtige Bücher. Wir schlafen in großen Schlafsälen, ins Internet können wir eine halbe Stunde pro Woche.“ Seine Freunde nicken, halten aber nervös Ausschau, ob in der Nähe nicht etwa die falschen Ohren mithören. Dem United-Fan scheint das egal: „Wir haben kein Geld, weil man hier außer mit Schuheputzen nichts verdienen kann. Wenn wir zu unseren Eltern reisen, um bei der Ernte zu helfen, laufen wir 50 Kilometer zu Fuß, weil wir den Bus nicht bezahlen können.“
Menschen, die sich den Bus leisten können, zählen zu den Privilegierten in Äthiopien. Wenige Tage später auf der endlosen Rückfahrt nach Addis Abeba, eingezwängt zwischen Einheimischen, die eigentlich alles andere als privilegiert aussehen, wird klar, warum. Der Bus passiert einen kilometerlangen, nicht endenden Strom von Bauern, die mit ihren Familien und schwer bepackten Eseln und Ochsen zum nächsten Wochenmarkt unterwegs sind.
Zurück im Hotel in der Hauptstadt gehen die hiesigen Spekulationen über unsere Absichten munter weiter. Dass man in Äthiopien lediglich Urlauber sein könnte, vermutet hier niemand. Weil wir weder nach Investor noch nach Ingenieur aussehen und auch kein Chinesisch oder Arabisch sprechen, scheint der Fall für unsere Kellnerin klar: „Sie sind bestimmt von einer NGO!“, frohlockt sie.
In Addis Abeba ist das allerdings kein sonderlich gewagter Tipp. Nirgendwo auf der Welt finden sich so viele Nichtregierungsorganisationen wie hier. Von den Dickschiffen der Branche wie Unicef und WWF bis hin zu obskuren Hilfswerken evangelikaler Freikirchen bevölkern ihre Mitarbeiter nicht nur die besten Hotels und Restaurants der Stadt, sondern gelten auch als begehrte Arbeitgeber in einem Land, das nicht viele gute Jobs zu bieten hat. Mit Projekten im Gesundheits-, Sozial- und Umweltbereich entlasten sie zudem den Staat, der sich umso mehr an anderen Fronten engagiert – etwa im Grenzland zu Somalia im von den USA unterstützten Kampf gegen radikalislamische Al-Shabaab-Milizen.
Dass die wohltätigen Westler für Äthiopien ebenso zweischneidig sind wie Chinesen und Araber, hat manch kluger Kopf im Land allerdings auch längst begriffen: „Die NGO-Leute leben hier ein gutes Leben. Doch ihr Mandat ist unklar, und was sie leisten, bleibt doch sehr begrenzt“, glaubt der Student Jamal, der im Ethnologischen Museum, dem ehemaligen Kaiserpalast Haile Selaisses, über die 400 indigenen Stämme Äthiopiens informiert. „Viele dieser Stämme waren stark, weil sie alles selbst machen konnten. Es wäre gut, wenn wir auch wieder einiges selbst machen könnten. Aber danach sieht es vorerst nicht aus.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit