piwik no script img
taz logo

Archiv-Artikel

Reisemarie und Schreibmarie

Lesung oder Freiflug? In jedem Fall gesponsort von STA-Travel: Marie Pohl trug im Roten Salon „Maries Reise“ vor

Die Schlange der Wartenden zieht sich über zwei Treppen bis unten zur Tür des roten Salons in der Volksbühne. Reger Andrang. Ist es die „junge Autorin“? Der Freiflug, der verlost werden soll? Oder die Neugier auf die Kombination aus beidem, auf das, was ein Event zu werden verspricht? Der Beginn der Lesung also wird sich verzögern. Oben im roten Salon ist das egal. Dort lässt sich in sanftem Licht bei sanfter Musik loungen. Oder einen Blick auf den STA-Stand werfen: „Die Welt ist voller Entdeckungen – wir bringen dich hautnah dran.“

Bevor sich das Fräulein Marie auf seinen auserwählten Weg macht, bevor sie studiert und sie dann alle mit „Sie“ ansprechen, so hatte die zwanzigjährige Marie Pohl beschlossen, wolle sie „ihre Generation in ihrer Anfangs-Aufbau-Zeit finden und porträtieren“. Dafür ist sie in acht Städte gereist, mit einem Vertrag für das Buch und finanziert vom Stern. Nun ist „Maries Reise“ erschienen und die „junge Autorin geht wieder auf Reisen“, diesmal auf Lesereise, diesmal in Deutschland, diesmal gesponsort von STA-Travel.

So ist es wohl konsequent, dass STA-Travel den Abend rahmt. Zunächst also heißt eine junge Mitarbeiterin alle bei dem Ereignis willkommen, das hier „die STA-Travel-Lesereise von Marie Pohl“ genannt wird. Dann möchte sie „erst einmal“ STA-Travel vorstellen: „Ja, auch das gehört dazu“, wird gegen das abwehrende Raunen aus dem Publikum gekontert. Die Formalitäten wollen wohl erledigt sein. Rasch also ein paar Facts über das Unternehmen, dann aber zum Wesentlichen: „Wir haben uns auf euch spezialisiert.“

Die Protagonistin des „euch“ ist das Fräulein Marie, das nun in extravagantem Outfit, mit breitkrempigem Hut aus weichem schwarzem Filz, grünbunter Chiffonbluse und schwarzem Minirock mit Tüll am Lesetisch sitzt und auf den übervollen Saal herunterblickt: „Man, das sieht ja krass aus, halli hallo.“ Dann beginnt sie zu lesen. Oder vielmehr: Sie. trägt. vor. Das macht sie sehr professionell, schöpft die Modulationsmöglichkeit der Stimme aus und ist zugleich sehr theatralisch, wenn sie Anführungszeichen mit den Fingern in die Luft schreibt oder beim „Oh my god“ die Hand an die Wange legt.

Ein Abend der Diskrepanzen, der zwischen Promotionevent und Lesung ebenso changiert wie zwischen dem „Ah, die Verlosung! Ihr dürft ja noch nicht gehen“ und dem eingeschobenen „Das ist auch etwas, das Sie über Havanna wissen müssen“, dem „Ja also, ich les das einfach mal“ und dem Vortrag in Kunststimme, wo sich die Vokaaale deeehnen. Es ist eine Lesung, so macht der Gestus deutlich, und auch: Der Reisebericht ist ein Roman. So zumindest will es der Pressetext. Marie Pohl sagt, es seien acht Kurzgeschichten. Nur: Ist eine kurze Geschichte zwingend eine Kurzgeschichte?

Sicher scheint, dass man sich dann wirklicher fühlt, wenn man sich medial verdoppelt, sich selbst beim Fühlen fühlt und beim Sehen sieht. In der expressiven Empfindsamkeit wird das Leben zu „etwas“ und dabei irgendwie zum Werk. Im Buch ist das an einer Stelle als Gleichzeitigkeit von „Reisemarie“ und „Schreibmarie“ benannt: Einerseits gibt es die erlebende „Hauptfigur“ des Buches, und andererseits diese Instanz, die die Hauptfigur führt. Nur scheint das längst keine Spannung mehr. Beide ebenso ununterscheidbar miteinander verwoben wie die Lesung mit dem Promotionevent. „Create experience – feel individual“, so heißt das, sich das Leben für sich selbst zum Ereignis zu machen, in den Broschüren von STA-Travel. Hellblauer Druck im Hintergrund, verbale Endlosschleife eines Lebensgefühls: „Schrill, trendy, abgefahren“. Spätestens mit der Losziehung hat sich der Sponsor wie ein warmes Band um den Abend gelegt. Wie sagte noch ein junger Mann aus der Menge: „Ich glaube, ich schreibe auch mal ein Buch.“ KATRIN KRUSE