Reisebuchhändlerin Kiepert im Interview: „Irgendwie ist der Laden mein Leben“
Regine Kiepert führt seit über 40 Jahren den traditionsreichen Reisebuchladen Schropp. Nun wurde ihr der Mietvertrag gekündigt.
taz: Frau Kiepert, Sie müssen im Herbst zum vierten Mal mit Ihrer Reisebuchhandlung Schropp umziehen. Wollen Sie nicht nebenbei noch ein Umzugsunternehmen gründen?
Regine Kiepert: (lacht) Ja, ich sollte wohl darüber nachdenken. Das erste Mal sind wir nach der Wende umgezogen, von der Potsdamer Straße nach Friedenau. Grund war damals eine Mieterhöhung von 400 Prozent. Friedenau war aber nichts für uns. Es war zu ruhig, zu dezentral. Also ging es zurück in die Potsdamer Straße, diesmal Ecke Bülowstraße. Da waren zwar die Umsätze enorm, aber wir hatten auch eine Ladenmiete von 15.000 Euro und einen ungnädigen Vermieter. 2008 sind wir hier in der Hardenbergstraße gelandet. Also, was die Logistik angeht, habe ich schon eine Erfahrung.
Sind Sie wütend?
Ich war eher schockiert, als unser Vermieter uns mitgeteilt hat, dass er den Vertrag im Oktober auslaufen lassen will. Er weiß doch ganz genau, dass bei uns in der Coronazeit Einnahmen nicht unbedingt sprudeln. Wir sind ja total vom Tourismus abhängig. Also kein Vergleich zu den Sortimentsbuchhandlungen mit möglichst breiter Auswahl an Titeln. Wir haben Umsatzeinbußen von über 60 Prozent.
Die Frau Regine Kiepert, die Tochter des legendären Berliner Buchhändlers Robert Kiepert, ist 63 Jahre alt. Mit 21 übernahm sie die Buchhandlung Schropp. Zuvor hatte sie Geografie studiert und für ihre Diplomarbeit in einem Dorf in Pakistan recherchiert. Bis zur Insolvenz der Buchhandlung Kiepert war sie dort für das Marketing, die Lesungen und die Organisation der Bücherfeste zuständig. Regine Kiepert ist durch die Mongolei geritten und war in Laos, Kenia und Guatemala wandern.
Die Buchhandlung Schropp Land & Karte ist eine der ältesten Buchhandlungen Berlins. Sie wurde im April 1742 gegründet, als Simon Schropp vom preußischen König die Erlaubnis erhielt, mit Landkarten zu handeln. Im Sortiment von Schropp finden sich heute rund 20.000 Reiseführer aus allen Regionen, Spezialkarten, Wander- und Fahrradkarten, Atlanten, Kompasse, GPS-Geräte und Globen. In der Werkstatt der Buchhandlung können Kund*innen ihre Wandkarten aufziehen, rahmen oder laminieren lassen. Auch in Sachen Beratung gilt Schropp als die beste Reisebuchhandlung Berlins. Noch befindet sich die Buchhandlung in der Hardenbergstraße 9a, gegenüber der TU. Im Oktober muss sie aber umziehen. (SM)
Haben Sie für Ihre Buchhandlung schon einen neuen Ort gefunden?
Ich würde gerne einen bestimmten leerstehenden Laden mieten, in einem Eckhaus am Hohenzollernplatz. Aber da ist jetzt ein Testzentrum eingezogen. Das Problem ist, dass der Standort eines neuen Ladens schon einige Kriterien erfüllen muss.
Brauchen Sie das bürgerliche bis großbürgerliche Publikum aus dem alten Westberlin?
Wir brauchen alle, die Reiseführer und Karten oder Globen lieben. Ich denke, die Kunden werden uns teilweise folgen, teilweise werden aber auch neue hinzukommen. Also muss der neue Ort auch verkehrsgünstig gelegen sein. Wir müssen gesehen werden. Zum Glück haben wir viele Stammkunden und einen großen Verteiler. Vor Corona haben wir regelmäßige Veranstaltungen organisiert. Das wollen wir fortführen.
Können Sie sich denn die aktuellen Mieten leisten?
Unsere Miete ist bezahlbar, aber wenn man die kleinen Hinterzimmer, Kammern und den Vorplatz abrechnet, Raum, den wir gar nicht nutzen, dann brauchen wir nur 200 Quadratmeter. Das, was wir für diese Räume ausgeben, das können wir uns also auch für 200 Quadratmeter an einem anderen Ort leisten. Zu diesem Mietpreis findet sich schon was.
Was ist dann das Problem?
Den richtigen Laden finden und der Umzug selbst. Der wird locker 100.000 Euro kosten, die ich irgendwo zusammenkratzen muss. Und wenn ich dann irgendwie das Gefühl habe, so doll ist das am neuen Ort gar nicht, dann macht das ja keinen Sinn.
Warum ist so ein Umzug denn so teuer?
Das sind Erfahrungswerte. Nur mit Glück ist in einem neuen Laden auch ein akzeptabler Boden drin. Immer muss eine neue Beleuchtung konzipiert und Computer verkabelt werden. Es braucht eine neue Neonschrift. Vor allem die Regalierung ist teuer. Man weiß nicht, ob sich die Mieten überschneiden, wie es mit der Kaution wird. Das läppert sich alles. Ich habe schon überlegt, eine Crowdfunding-Aktion zu machen. Wenn ich nur so 30.000 oder 40.000 Euro zusammenbekommen könnte, das wäre schon mal gut.
Bis wann wollen Sie das alles wuppen?
Ich habe mir bis Juli Zeit gegeben, etwas zu finden, und dann fängt die ganze Planung an. Wir müssen den eigentlichen Umzug am Wochenende schaffen und am neuen Standort am Montag mit provisorischen Regalen von unserem ITB-Messestand eröffnen. Die Aus- und Umbauphase wird mindestens vier Wochen dauern. Das wird sicher chaotisch, vor allem wenn wir bei steigendem Kundenaufkommen im völligen Provisorium arbeiten. Zumachen geht nicht.
Das klingt nicht so, als könnten Sie diesen Sommer verreisen.
Wir haben mit einer Umsatzwelle gerechnet. Viele Leute scharren nun mit den Hufen und wollen unbedingt wieder verreisen. Ich hatte trotzdem geplant, schön nach Tirol zu fahren und den Fischerweg in Portugal zu gehen, die Rota Vicentina immer am Atlantik lang, kennen Sie den?
Nein.
Macht nichts. Geht jetzt sowieso nicht mehr dieses Jahr.
Was müsste denn passieren, um Buchläden und ähnliche Gewerbe, die vielleicht nicht so viel umsetzen wie andere, besser zu schützen?
Gewerbemietverträge sind befristet. Es geht nicht, dass die Miete von jetzt auf nachher um 400 Prozent erhöht wird. Da nützt einem keine Option auf Mietverlängerung im Vertrag. Staffelmieten mit jährlicher Mieterhöhung machen den Gewerbetreibenden ständig Druck. Oft gibt es Kündigungsfristen von nur drei bis sechs Monaten. Vielleicht sollten Buchhandlungen unter Denkmalschutz gestellt werden.
Was ist das hier eigentlich für ein Laden, in dem wir uns hier befinden?
Die Regale, die Sie hier sehen, die hat alle mein Vater gebaut. Das war nach der großen Kiepert-Insolvenz 2002. Ich habe hier, in der Hardenbergstraße, neben dem großen Kiepert am Ernst-Reuter-Platz, damals mit meiner Mutter eine kleine Buchhandlung gegründet. Beide Eltern hatten noch eigene Firmen, meine Mutter eine Versandbuchhandlung und mein Vater eine verbliebene kleine Filiale an der Humboldt-Universität. Sie brauchten nach der Pleite einen Arbeitsort. Aber das hat nicht funktioniert. Wir sind hier in einer sehr großen, typischen Berliner Altbauwohnung. Die Leute kamen hier herein und wollten wissen, wo es denn zum ersten Stock geht. Die wollten ihren alten Kiepert zurück. Die neue, kleine Kiepert-Buchhandlung wurde also eine Versandbuchhandlung. Und ich habe mit Schropp den Ort übernommen.
War die Insolvenz damals ein Schock für Sie?
Es war keine schöne Zeit. Die ganze Familie hat persönlich mitgehaftet. Plötzlich gab es nur noch Schulden. Ich war damals sehr froh, dass ich immer noch meinen Reisebuchladen hatte.
Wie sind Sie eigentlich zu Ihrem Beruf gekommen?
Also, bei uns war es in der Familie Tradition, dass wir alle eine Lehre im Buchhandel machen mussten.
Sie alle? Wen meinen Sie damit?
Das waren mein Bruder und ich und meine drei Cousinen, die Schwester meines Vaters war ja am Unternehmen beteiligt. Die Lehre sollte unser Standbein sein. Als Spielbein galt das Studium. Wir konnten studieren, was wir wollten, auch wenn es immer hieß, dass wir letztendlich doch wieder alle zurückkommen werden. Na ja, das hat sich bei mir dann bewahrheitet.
Ihr Vater Robert ist 2017 gestorben. Er muss ein charismatischer Mann gewesen sein. Bei der Inventur soll er mittags von der Empore herab ins Waldhorn zum Mittagsimbiss geblasen haben. Stimmt das?
Ja.
Hatten Sie nie das Bedürfnis, zu rebellieren?
Ich bin in diesem großen Haus am Ernst-Reuter-Platz aufgewachsen, ich kenne da jede Schraube im Keller. Wir haben jedes Wochenende dort verbracht. Mein Vater war ja nicht nur ein großer Buchhändler, sondern auch ein großer Handwerker. Er hat da Lüftungsrohre verlegt, alles Mögliche. Und wir Kinder mussten immer irgendwas halten. Aber ich habe da sehr gern mitgemacht. Ich war wohl eher konform.
So wirken Sie aber gar nicht.
Wie wirke ich denn?
Lässig. Selbstbewusst.
Ich glaube, das ist alles erst später gekommen.
Sie sind in ziemlich begüterten Verhältnissen aufgewachsen.
Es hieß immer, wir hätten die Goldbarren im Keller. Das stimmte definitiv nicht. Bei uns ging es sehr sparsam zu. Wenn ich mich aber getraut hätte Kunst zu studieren und nicht so verletzlich gewesen wäre und so große Angst gehabt hätte vor einer eventuellen Ablehnung, dann hätte ich das auch machen können, ohne mir dann vielleicht später mal Sorgen machen zu müssen. Bis zur Insolvenz habe ich mir, ehrlich gesagt, über Geld keine Gedanken gemacht.
Was haben Sie denn dann statt Kunst gemacht?
Ich habe Geografie studiert und bin darin voll aufgegangen. Ich habe ganz viele Exkursionen gemacht. Ich habe Urdu gelernt und in Pakistan meine Diplomarbeit geschrieben.
Darf ich fragen, worüber?
Über die Theorie des peripheren Kapitalismus von Dieter Senghaas.
Wie bitte?
(lacht) Es ging darum, wie die kapitalistische Entwicklung langsam die originären dörflichen Strukturen überprägt. Was ich dann vorgefunden habe, war etwas ganz anderes, aber es war sehr interessant, sehr prägend. Ich habe dort mit den Menschen gewohnt, das Dorf kartiert, Interviews geführt. Hätte sich damals in der Geografie ein Projekt oder eine Stelle aufgetan, dann wäre ich wahrscheinlich eher in diese Richtung gegangen.
War das für Sie eine Herausforderung, nach so einem Abenteuer nicht nur nach Berlin zurückzukehren, sondern auch in eine Buchhandlung?
1979 wollte die damalige Besitzerin die Buchhandlung Schropp verkaufen. Ich war damals 21 Jahre alt. Die Vorbesitzerin hat die Firma eher „unorthodox“ geführt und hat zuletzt sogar in ihrem Laden gewohnt. Die musste ich noch ein paar Jahre lang übernehmen – das hatte sie sich vertraglich zusichern lassen. Es war schwierig.
Was war das für ein Laden?
Es war ein sehr dunkler Laden. Zwischen den Regalen lagen Dinge, die dort nicht hingehörten, benutzte Bratpfannen zum Beispiel. Die Potsdamer Straße fand ich damals auch ziemlich hässlich. Aber irgendwie hatte ich trotzdem Lust auf diesen Laden. Ich weiß noch ganz genau, wie ich zunächst einmal die Regale hell gestrichen habe, mit ordentlich Lackfarbe, den Kopf immer schön drin in den Regalen, um mit dem Pinsel in die letzten Ecken zu kommen. Bis tief in die Nacht hinein. Und dann bin ich immer etwas vernebelt noch in die Kneipe auf ein Glas Wein, damals war da noch mehr Straßenstrich als heute, und die Stimmung in den Kneipen war sehr ausgelassen. So habe ich die Potsdamer Straße kennengelernt. Ich hätte damals die Möglichkeit gehabt, das Haus für einen Appel und ein Ei zu kaufen. Aber das Haus war mir zu hässlich. Heute wäre ich klüger.
Gibt es eigentlich Menschen, die mit einer Reisebuchhandlung reich geworden sind?
Ganz bestimmt nicht. Wenn der Mindestlohn nochmal erhöht wird, dann arbeiten wir hier alle zum Mindestlohn. Aber es macht uns eben Spaß. Wir sind wirklich eine große Familie. Eine Familie aus älteren Damen. Die meisten seit über 20 Jahren dabei. Ein besseres, loyaleres Team kann ich mir gar nicht vorstellen.
Nur Damen?
Nur Damen. Wir hatten mal einen amerikanischen Buchhändler dabei, der war sehr männlich. Der Ton und das Verhalten waren lauter, als wir es gewöhnt waren. Es krachte und polterte. Na ja, hat jedenfalls nicht funktioniert.
Wenn ich Sie mir so ansehe, dann haben Sie nach der Kündigung Ihres aktuellen Mietvertrags wahrscheinlich keinen Gedanken ans Aufhören verschwendet, oder?
Ich werde oft gefragt, ob ich wirklich nochmal von vorn anfangen will. Ich bin ja schon 63. Aber irgendwie ist der Reisebuchladen mein Leben. Ich will nicht aufhören zu arbeiten, zumindest nicht ganz. Also: Zehn Jahre muss er schon noch laufen. Aber ich muss anfangen, darüber nachzudenken, wer den Laden übernehmen könnte. Das muss dann allerdings eine Person sein, die jung ist und hochinteressiert, wohlhabend und Social-Media-affin. Ich habe mir vorgenommen, den 300. Geburtstag von Schropp im Jahr 2042 zu erleben, als Zuschauerin, mit 84 Jahren.
Denken Sie, dass es bis dahin noch Reiseführer geben wird?
Ja, es wird weiterhin Reiseführer und vor allem Landkarten geben. Aber ob in dieser Auswahl? Eher nicht. Dafür wird es weiter vieles Analoge zur Orientierung geben.Zum Beispiel Globen oder aufgezogene Wandkarten. Das bringt einen höheren Umsatz als ein kleines Kärtchen für 5,90 Euro. Im Reisebuchladen ist es nicht so schwer, den Bereich Nonbooks auszubauen. Ich würde gerne für die scheinbar antiquierten Produkte werben. Man könnte zum Beispiel Schulklassen einladen und etwas über Maßstäbe, Landkarten und Globen erzählen. Aber auch unabhängig davon meinen wir, dass der Reiseführer noch eine Weile leben wird. Unser Publikum ist eher in unserem Alter. Also über 50, würde ich mal sagen. Viele von diesen Leuten verreisen immer noch lieber mit einem gut ausgewählten und lektorierten Reiseführer und Landkarte als mit dem Smartphone. Besonders, wenn sie wandern oder Rad fahren, was ja im Augenblick viel gemacht wird.
Landkarten sind besser?
Wir hoffen darauf, dass auch die Jüngeren nach und nach verstehen werden, dass man nur mit Landkarten einen wirklichen Überblick bekommen kann, eine Vorstellung von dem Ort, an dem man sich bewegt. Man lässt sich nicht einfach irgendwo hinführen. Eine Karte hat immer und überall denselben Maßstab, man kann sie auf dem Tisch ausbreiten und zusammen planen. Das ist viel schöner, als auf dem Smartphone herumzuwischen und ständig die Orientierung zu verlieren.
Ich nehme an, man wird hier im Laden auch gut beraten, oder?
Ich gucke mir die Personen, die hier reinkommen, sehr genau an und überlege, was die interessieren könnte. Und dann frage ich natürlich, ob es mehr Richtung Kunstgeschichte, Architektur oder beispielsweise Aktivurlaub gehen soll. Und ich habe natürlich meine Lieblingsverlage, wo ich etwas euphorischer berichten kann. Es ist schon erstaunlich, wie sich die Menschen anstecken lassen, wenn man von etwas begeistert ist. Mein Lieblingsglobus zum Beispiel, der tiefblaue Duo Azzuro, den verkaufe ich am häufigsten, nur weil ich selber so begeistert von ihm bin. Ohne Innenbeleuchtung ist die Meeresoberfläche dunkelblau. Beleuchtet, schaut man tief auf die Tektonik des Meeresbodens. Es gibt aber auch Kunden, die ärgerlich sind, wenn sie im Falk-Plan von Venedig keinen Metroplan finden. Die lassen sich nicht begeistern.
Frau Kiepert?
Ja?
Ich würde so gern mal in Schottland wandern gehen. Hätten Sie da vielleicht etwas für mich?
Kommen Sie mal mit.
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