Reise der Bundeskanzlerin: Mit Highspeed quer durch Afrika

Drei Tage, drei Länder – Angela Merkels Bildungsreise in Afrika diente einem klaren Ziel: die Massenmigration einzudämmen.

Bundeskanzlerin Merkel wird in Niamey, Hauptstadt des Niger, von Präsident Mahamadou Issoufou und Männern vom Stamm der Wodaabe begrüßt Foto: dpa

BAMAKO/NIAMEY/ADDIS ABEBA taz | Die Maschine der Deutschen Luftwaffe hebt in Berlin ab. Zum Mittagessen gibt es Roulade mit brauner Soße, Rotkraut und Klößen. In wenigen Stunden wird die A340 in Afrika landen. Drei Tage braust die Bundeskanzlerin mit Highspeed durch den Kontinent: Mali – Niger – Äthiopien. Eine Bildungsreise.

In Zeiten, da Merkels Regierung wegen ihrer Flüchtlingspolitik unter scharfem Beschuss steht, will sie sich vor Ort anschauen, worum es eigentlich geht. Die Länder, aus denen die Menschen bis nach Deutschland flüchten. Deren Beweggründe.

Ursachen zu bekämpfen sei ein Weg, um der europäischen Flüchtlingskrise Herr zu werden, das sagt Merkel seit einem Jahr in jedes Mikrofon, das ihr hingehalten wird. Aber was heißt das eigentlich? Was könnte die Leute in ihrer Heimat halten?

Kurz und bündig ist Merkels Reise. Es soll diesmal nicht um Wirtschaft gehen, sondern um staatliche Strukturen, Sicherheits- und Migrationspolitik. Sie weiß: Wer in seiner Heimat keine Zukunft sieht, wird sich durch Appelle nicht von der Flucht in Richtung Europa abhalten lassen.

Afrika, das sind sehr viele, unglaublich junge Menschen. Wer bestimmt, dass sie wegbleiben sollen?

Jenes Europa, das mittlerweile tief zerstritten ist, weil es im Nehmen stark ist und im Teilen von Verantwortung schwächelt. Jenes Deutschland, in dem Rechte ihr populistisches Süppchen kochen, in dem sich immer häufiger Gewalt gegen Menschen aus Afrika richtet.

Merkel geht das Problem an, wie sie es versteht: anschauen, analysieren, lösen. Doch Afrika – so viel schon jetzt – ist eine Gleichung mit sehr vielen Unbekannten. Die Probleme, sie sind größer und komplexer und auch brutaler, als Leute wie Frauke Petry sie gern darstellen. Merkel will also klüger werden.

Überall junge Gesichter

Gerade überfliegt die A340 den Norden Malis. Ein riesiges Gebiet, in dem der Staat und seine Instanzen praktisch nicht existieren. Präsident Ibrahim Keita kontrolliert eigentlich nur den Süden. Was dazu führt, dass im Norden das Schlepperwesen floriert. Millionen Menschen durchqueren dort die Sahara in Richtung Mittelmeerküste. Merkel will dem Staat helfen, dort die Hoheit zurückzugewinnen. Einziger Zweck: Die Menschen sollen in Afrika bleiben. Bleiben wollen.

Landeanflug auf Bamako. Winde von 110 Stundenkilometern meldet der Pilot, Gewitter und die Aussicht, bei misslingender Landung einen „Durchstart“ hinzulegen. „Den üben wir immer wieder am Simulator.“ Letztlich geht aber alles glatt.

In Mali explodiert die Bevölkerungszahl. Sieben Kinder bekommt hier jede Frau durchschnittlich. Wenn Merkels Tross durch die leer gefegten und von Scharfschützen flankierten Straßen von Bamako braust, sieht man sie, die vielen sehr jungen Gesichter in Zufahrten und Hoftüren. Man denkt an den öffentlichen Nahverkehr in Deutschland, wo Mittfünfziger still ihre Zeitung lesen und genervt gucken, wenn ein versprengtes Kind krakeelt.

Merkel verspricht Unterstützung

Afrika, das sind sehr viele, unglaublich junge Menschen. Wie lässt sich bestimmen, dass sie wegbleiben aus einer Welt, die sie im Internet sehen? Es sei denn, ihre Welt wird wenigstens annähernd sicher und bietet ihnen eine Zukunft.

Wenn es der malische Staat 2016 gerade so schafft, seine Bürger zu versorgen, ist bereits gewiss, dass im Jahr drauf Hunderttausende kleine Bürger jeden wirtschaftlichen Fortschritt aufessen werden. 4 Millionen Malier sind vor Armut und Gewalt geflüchtet. 130.000 leben in den Nachbarländern, 60.000 haben sich als Binnenflüchtlinge in den Süden aufgemacht.

Merkel redet mit dem Präsidenten und verspricht Unterstützung. Und sie trifft sich mit Religionsvertretern. Mali hat zunehmend Schwierigkeiten, seine Bürger davon zu überzeugen, dass der radikale Islam keine Lösung ist.

Besuch einer Hauptstadt, die hier kaum einer kennt

Früh am nächsten Morgen hebt die A340 wieder ab. Es geht nach Niamey. Dass in Deutschland kaum einer weiß, dass es sich dabei um die Hauptstadt von Niger handelt, deutet schon an, dass es da einiges zu lernen gibt. Bei der Pressekonferenz listet Präsident Mahamadou Issoufou auf, was sein Land braucht: Wasserversorgung. Nahrungsmittel. Grenzsicherung. Geburtenkontrolle. Bildung, um die Mädchen vor Zwangsverheiratung zu schützen. Er hat auch eine Idee, wie das ginge – mit einem „Marshallplan“.

Merkel hält den Ball flach. Nennt Youssoufus Ziele „sehr ambitioniert“ und rattert ihre eigene Prioritätenliste herunter. Drogen-, Waffen- und Menschenschmuggel bekämpfen und damit „illegale Migration“ – das Wort „Flucht“ kommt ihr nicht über die Lippen. 17 Millionen Euro gebe die Bundesregierung in diesem, 60 Millionen im kommenden Jahr.

Man unterstütze die in Mali stationierte UN-Mission Minusma und sei bereit, den örtlichen Flughafen auszubauen. Im Übrigen müsse das Geld so ausgegeben werden, „dass es bei den Menschen ankommt“. Ein Hinweis darauf, dass Entwicklungshilfegelder allzu oft unterschlagen werden.

Ein Willkommenslied für „Madame Merkel“

Wie Geld sinnvoll ausgegeben werden kann, schaut Merkel sich am Nachmittag an. In einer Grundschule biegt ihre schwarze Limousine auf den frisch mit rotem Sand aufgefüllten Hof. Seit einer Stunde warten Kinder mit Flechtfrisuren auf „Madame Merkel“. Als sie endlich kommt, singen sie ein Willkommenslied, die braunen Arme fliegen in die Höhe. Merkel legt den Kopf schief und lächelt.

Im Klassenzimmer nebenan, einem luftigen Bau, fragt sie die Kinder: „Wisst ihr, woher ich komme?“ Schweigen. Dann piepst ein Mädchen: „Allemagne?“ Merkel nickt. Und wie heißt die Hauptstadt? Langes Schweigen. Dann, halb geflüstert: „Europe?“ Merkel lacht, na ja, Deutschland sei ein Teil von Europa.

Die Hauptstadt von Deutschland sei „Ber-lin“. Sagt’s und formt eine klassische Raute. „Berlin, das ist meine Hauptstadt.“ Ein Mitarbeiter trägt ein Netz Fußbälle herein, großes Hallo bei den Kindern. Sie mahnt: „Ihr müsst die Mädchen mitspielen lassen. Und ihr müsst den anderen was abgeben.“

Reich sein, weil andere arm bleiben?

Man kann sich vorstellen, wie Frauke Petry schon am nächsten Tweet schraubt: „Statt fortwährend Steuergelder ins Ausland zu bringen, sollte die Kanzlerin endlich etwas für deutsche Bürger tun. Abwählen!“

Es ist aber so, dass es schwerfällt, sich diesen Bildern zu entziehen: Wenn man den Kindern zusieht, ploppt eine Gewissensfrage auf, die Leute wie Petry gern weghöhnen. Kann Europa einfach so weitermachen: reich sein, weil andere arm sind? Gibt es eine Rechtfertigung dafür, dass diese Kinder keine Chance bekommen?

Gegen Abend startet wieder der A340. Fünfeinhalb Stunden Flug nach Äthiopien, alle sind erschöpft. Es gibt Nudeln mit Geflügel und roter Soße.

Blau umzäunte Baustellen chinesischer Investoren

Es ist kurz nach neun, als Merkels Konvoi am Nationalpalast von Addis Abeba vorfährt. Die Fahrt führte durch eine moderne Millionenstadt, überall sieht man blau umzäunte Baustellen chinesischer Investoren.

Die Nacht war kurz, Merkel wirkt müde. So wie die Präsidentengarde die deutsche und die äthiopische Nationalhymne leicht schleifend vorträgt und wie Merkel und der Premierminister das rote Teppichkarree abschlurfen, könnte man fast vergessen, dass dies ein Land im Ausnahmezustand ist.

In den letzten Wochen sind bei Protesten und Unruhen Hunderte ums Leben gekommen. Die größten Volksgruppen, die Oromo und die Amhara, werfen der Minderheit der Tigray in der Regierung systematische Diskriminierung vor. Ministerpräsident Hailemariam Desalegn hat den Ausnahmezustand ausgerufen. Ein Sicherheitsrisiko? Sagen wir so: In Frankreich und der Türkei gilt der auch; also kein Grund, nicht zu kommen.

In ganz Äthiopien ist das Internet abgeschaltet

Also nimmt Merkel die Parade ab, um sich – an einem stolzen, ausgestopften Löwen vorbei – mit Desalegn zu unterhalten. Bei der Pressekonferenz weist sie darauf hin, dass die freie Meinungsäußerung ein Grundmerkmal der Demokratie sei. So wie der Umstand, dass in jedes Parlament eine Opposition gehöre. Im äthiopischen Parlament fehlt sie. Merkel bietet Unterstützung bei der Ausbildung der Polizei an, „damit die Verhältnismäßigkeit der Mittel gewahrt wird“.

Desalegn verspricht eine Wahlrechtsreform, rechtfertigt aber langatmig seine Politik: Man könne gewalttätigen Extremismus nicht dulden. Die Demokratie sei in Äthiopien „nicht flügge“, der „politische Raum“ müsse erst einmal für die Zivilgesellschaft geöffnet werden.

Im ganzen Land ist gerade das Internet abgeschaltet. So will man Menschenrechtlern und Oppositionellen die Kommunikation erschweren. Nach ihrem Treffen mit Desalegn trifft sich Merkel mit sechs von ihnen.

Kaum auszudenken, wenn Äthiopien in Gewalt versinkt

Keine Frage, die repressive Politik der äthiopischen Regierung kann sie nicht gutheißen. Kaum auszudenken, wenn auch noch Äthiopien in der Gewalt versinkt, ein Land, das als Stabilitätsanker in Ostafrika gilt. Alles hängt ja mit allem zusammen.

Geht es in Afrika politisch weiter abwärts, brechen die Märkte ein. Dann machen sich noch mehr Menschen auf in Richtung Europa. Das will Merkel verhindern. Noch mehr Streit in der Europäischen Union, noch mehr Krakeelerei von Horst Seehofer – das braucht im Wahljahr kein Mensch. Merkel muss zeigen, dass sie handelt. Was sie tun wird, darüber wird sie nun nachzudenken haben. Worüber konkret – davon hat sie sich drei Tage lang einen Eindruck verschafft.

Nachmittags um vier hebt der A340 aus Addis Abeba ab. Unten: Vorstädte, Felder, Berge. Dann Wolken. Sieben Stunden dauert der Flug nach Berlin. In Merkels Hauptstadt.

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