: Reine Geschmackssache
Wechseljahr 2008 (26): Wie fühlt sich Amerika? Dagmar Herzog über die Verfasstheit einer Changing Nation
Für liberale Kommentatoren ist es ist ein Rätsel, wie die Republikaner es immer wieder schaffen, aus Niederlagen doch noch Triumphe zu machen. New-York-Times-Kolumnist Bob Herbert kratzt sich am Kopf. Wie ist es möglich, fragt er sich, dass Obamas ausrutscherfreie Weltreise ihm doch noch übelgenommen wird. Statt Wählerzustimmung hat sie Unmut hervorgerufen und McCain erneut stärkere Unterstützung gebracht. Was Liberale endlich begreifen sollten, ist der Umstand, dass das, was beim amerikanischen Publikum als Wahrheit gilt, selbst dauernd infrage gestellt wird. Es ist mehr als ein ideologisches Problem, es ist ein epistemologisches. Gegen gewieftes, mit Überzeugung vorgetragenes Lügen ist tatsächlich schwer anzukommen.
Man nehme das Beispiel von McCains neuestem Werbespot, der es schafft, die in schwindelnde Höhe steigenden Benzinpreise den Demokraten in die Schuhe zu schieben. Zu eingeblendeten Fotos eines lächelnden Obama und einer altmodischen Benzinpumpe erzählt der O-Ton Folgendes: Die Preise steigen nur, weil Demokraten sich weigern, an Amerikas eigenen Küsten nach Öl zu bohren. Ach so. Es sind die Umweltschützer, die für unsere Abhängigkeit vom fremden Öl verantwortlich sind.
Oder man betrachte das Verhalten des CNN-Moderators Glenn Beck, der es auf den ehemaligen Vizepräsidenten und Nobelpreisträger Al Gore abgesehen hat. Schon vor zwei Jahren sagte Beck, dass Gores Feldzug gegen die Erderwärmung „wie bei Hitler“ sei: „Wenn man ein bisschen Wahrheit nimmt und dann mit der Unwahrheit oder mit seiner eigenen Theorie mischt, dann bewegt man die Menschen zum Glauben. […] Das ist wie bei Hitler. Hitler sagte ein wenig Wahres, und dann mischte er es mit ‚und die Juden sind Schuld‘.“
In diesen Tagen beginnt Gore mit einem neuen großen Appell für eine alternative Energieproduktion. Damit will er nun nicht nur den Klimawandel verlangsamen, sondern eben auch die Abhängigkeit von fremdem Öl vermindern. Damit soll zugleich der sich weiter verschärfenden Wirtschaftskrise entgegengewirkt werden. Schon ist Beck wieder zur Stelle, um Gore als hysterischen, manipulativen Scharlatan zu entlarven – samt geladenen Experten, die mit nicht zu überbietender Schlägermiene über Gores Rede spötteln.
Die USA sind ein tief entzweites Land. Das kann man in jedem beliebigen Mall-Buchladen sehen. Beflissen marktgesteuert bieten die Läden dem gespaltenen Publikum zwei Arten von politischen Büchern: jene, die die Republikaner der Bush-Ära demaskieren, und jene, die höhnisch gegen den (entweder als jämmerlich unmännlichen oder verdeckt bösartig dargestellten) Liberalismus wettern. Ähnlich geht der populäre Radiosender Sirius vor. Er bietet ganz unverfroren beides: „Sirius Patriot“ und „Sirius Left.“ Kunden können sich an der jeweils bevorzugten Version der Wirklichkeit ergötzen. Was als Wahrheit gilt, wird zur Geschmacksache. Räson, Empirie und Abscheu gegenüber der Bush-Regierung finden viele Abnehmer. Und dennoch findet rechte Chuzpe (die sich fröhlich grinsend als „kontrovers“ bezeichnet) weiterhin ein enthusiastisches Publikum.
DAGMAR HERZOG, geboren 1961, Historikerin, forscht u. a. über den Aufstieg der religiösen Rechten in den USA