Regisseurin über Heranwachsende: „Ich mag Teenagerfilme“
In „Knives and Skin“ greift US-Regisseurin Jennifer Reeder mit dem Verschwinden einer Schülerin ein typisches Teen-Thriller-Sujet auf.
Potsdamer Platz, der Nachmittag vor der Premiere von „Knives and Skin“. Begeistert bemerkt Jennifer Reeder den Ausblick auf Augenhöhe mit den Stahlstreben, die das Zelt über dem Sonycenter aufgespannt halten. Das Gespräch mit der US-Regisseurin findet im Plauderton statt, aber sie wirkt dennoch konzentriert. Wir sprechen über ihr Interesse für Teenager und Musik, die Auswahl der Requisite und Nahaufnahmen.
taz: Frau Reeder, in vielen Ihrer Filme geht es um Fragen der Sichtbarkeit und des Verschwindens. Was fasziniert Sie daran?
Jennifer Reeder: Die Vorstellung, unsichtbar oder aber die sichtbarste Person im ganzen Raum zu sein, ist für mich das, was die Zeit als Heranwachsende ausmacht. Man findet zu sich selbst, man will gesehen und wahrgenommen werden, aber zugleich ist das eine Zeit, in der man sich von Minute zu Minute verändert. Meiner Erfahrung nach fühlt man sich manchmal wie ein Monster, und dann möchte man anonym sein und in der Welt verschwinden.
In Ihrem neuen Film „Knives and Skin“ drehen Sie das um in den gewaltsamen Akt, jemanden verschwinden zu lassen.
Ich wollte, dass der neue Film mit dem Motiv des „vermissten Mädchens“ arbeitet, das sich in vielen Teen-Thrillern findet. Aber der Körper von Carolyn [der von Raven Whitley verkörperten Protagonistin in „Knives and Skin“; Anm. d. Red.], hat einen eigenen Willen und kämpft sich zurück in die Sichtbarkeit, ein bisschen wie ein Geist, ein bisschen wie ein Zombie.
Die meisten Ihrer Figuren entstammen dem Leben an High Schools, es gibt Cheerleader, Footballspieler, Maskottchen, die Marching Band.
geboren 1973 in Ohio. Seit 1995 zahlreiche Kurzfilme, 2008 erster Langfilm „Accidents at Home and How They Happen“. 2015 lief ihr Kurzfilm „Blood Below the Skin“ bei der Berlinale, im Jahr darauf ihr Kurzfilm „Crystal Lake“. 2017 folgte mit „Signatur Move“ ein Langfilm nach dem Drehbuch von Fawzia Mirza.
Das geht zurück auf die erste Frage: Die Zeit des Heranwachsens ist eine Zeit einer dauernden Entwicklung. Junge Leute experimentieren mit Musik, mit Kultur, mit Mode. Die Cheerleader, das Maskottchen, das Goth Girl, die einzelgängerische Feministin sind für mich Ikonen, die man als Teenager durchprobiert, ich zumindest habe das gemacht. Gemeinsam mit meiner Kostümbildnerin habe ich meine Figuren verpflichtet, die ganze Zeit im Kostüm zu bleiben: die Cheerleaderin in ihrem Outfit, den Sheriff in Uniform, die Footballer tragen immer ihre Teamshirts. Einen Film darüber zu machen, bietet so viele Möglichkeiten, um großartige Musik einzubauen, um mit Kostümen zu experimentieren, um kulturelle und soziale Fragen zu verhandeln, wie man das in nur wenigen anderen Genres kann. Ich mag Teenagerfilme. Es gibt noch ein paar weitere Teenagerfilme, die ich „in mir“ habe.
„Knives and Skin“ ist seit langer Zeit der erste Langfilm, den Sie selbst geschrieben haben. Wie hat sich die Arbeit an einem Langfilm von den Kurzfilmen unterschieden?
Ich habe einige Jahre an „Knives and Skin“ geschrieben und währenddessen in Kurzfilmen einige der Figuren und einige Szenen ausprobiert. Einen längeren Film zu schreiben war einfacher. Das Drehbuch war viel länger als der fertige Film. Wir haben aus der ersten Arbeitskopie große Szenen und eine ganze Figur wieder rausgeschnitten. Niemand wird diese Szenen je sehen, aber ich werde sie in anderen Filmen verwenden.
Sie haben eine Vorliebe für Nahaufnahmen. In Ihrem neuen Film nutzen Sie dies, um dem Film einen Dreh in Richtung Horror/Thriller zu geben. Was fasziniert Sie so an Nahaufnahmen?
Ich möchte, dass das Publikum eine Figur über Details aus deren Leben kennenlernt. Ein Weg, das zu machen, ist durch Nahaufnahmen. Die Kamera hat die Möglichkeit, Personen unmittelbar körperlich nahezukommen und uns die Macken der Fingernägel zu zeigen oder Eigenheiten der Haut, die uns etwas verraten. Außerdem ist es rein vom Kinoerlebnis großartig, ein Detail einer Person riesengroß auf der Leinwand zu sehen.
Ihre Figuren wappnen sich mittels Routinen und Tier-T-Shirts gegen die Welt.
In meinen ersten Drehbuchentwürfen sind das meist nur Kostümüberlegungen. Für mich gibt es einen speziellen Typus Frau, der solche T-Shirts mit riesigen Tierdrucken trägt. In den nächsten Drehbuchphasen frage ich mich dann oft, wo in Filmen magischer Realismus stattfinden könnte, in denen die Objekte lebendig werden. In „Knives and Skin“ beispielsweise ist das Tiger-T-Shirt an einem Punkt rationaler als die Person, die es trägt. Das ist eines der Dinge, was mich an Film als Kunstform interessiert. Ich habe an einer Kunsthochschule studiert, nicht an einer Filmschule, und mich reizt die Vorstellung, dass das Publikum solche Momente visueller Kunst mitmacht. Vor allem für meine weiblichen Figuren ist das das Lieblingsshirt oder alltägliche Routinen sind ein Mechanismus, um das Leben zu ertragen. Wenn ich auf überraschende Weise etwas Feminismus und Empowerment für Frauen in meine Filme einbauen kann, dann tue ich das.
Wie kommt es, dass es mit einem Mal Männer in Ihrem Film gibt?
Ich mag Männer. In den Kurzfilmen ist die Zeit begrenzt und ich wollte das da nicht, aber im Langfilm konnte ich männliche Figuren einbauen, junge und alte, und versuchen, sie so interessant, kompliziert oder zart zu machen wie möglich. Ich fand, das könnte ein guter Moment sein, um ein Gespräch mit Jungs zu beginnen. Ich habe selbst drei Söhne und interessiere mich sehr für das Jungssein. In dem Drehbuch, an dem ich derzeit sitze, geht es um einen Jungen. Ich bin zwar besessen davon, wie kompliziert heranwachsende Frauen sind, aber mir ist klar, dass heranwachsende Jungs das auch sind. Das gilt auch für Männer, ich würde gern mehr komplizierte Männer in Filmen sehen.
Wann haben Sie damit angefangen, die Handlung des Films durch Details der Ausstattung zu kommentieren?
Ich erinnere mich nicht mehr genau, aber vermutlich als ich angefangen habe, narrativere Filme zu drehen. Vorher habe ich Filme gemacht, die in Galerien und Museen liefen, in denen es keine Dialoge gab. Als ich anfing, narrative Filme zu drehen, hatte ich kein großes Vertrauen in meine Fähigkeiten, Dialoge zu schreiben. Also verließ ich mich auf das Set und die Ausstattung, um Informationen zu transportieren. Das war so etwa 2003/2004. Im neuen Film waren wir so vorsichtig mit Rechtefragen, dass wir alles selbst gemacht haben. Bei dem Buch „The History of Suffrage in Ohio“, das im Film auftaucht, verwende ich zum Beispiel den Namen meiner Großmutter als Autorinnennamen – es ist also kein „echtes“ Buch, aber es bringt etwas feministische Geschichte in den Film. Erfreulicherweise mussten wir das Tiger-T-Shirt nicht selbst machen, aber alles andere haben wir selbst gemacht: die Schuluniformen, das Maskottchenkostüm.
11.2., 20.15 Uhr, Cubix 8
12. 2., 14 Uhr, HAU
13. 2., 11.15 Uhr, Zoo Palast 1
17. 2., 17 Uhr, CinemaxX 1
Was hat es mit dem Singen in Ihren Filmen auf sich?
Die Figuren in meinen Filmen singen jetzt schon eine ganze Weile. In „Knives and Skin“ wollte ich Gesangsszenen, die sich in die Erzählung einfügen, wie den Chorunterricht, aber auch magischere Szenen wie die in der Mitte, in der alle Figuren in Überblendungen gemeinsam mit der Verschwundenen singen. Seit ich eine ähnliche Szene in „Magnolia“ gesehen habe, wollte ich so etwas immer einmal verwenden. Beim Schreiben des Drehbuchs dachte ich dann: Hier kann ich das versuchen. Es ist eine meiner Lieblingsszenen geworden.
Gibt es in den Kinos in den USA zwischen all den Superheldenfilmen noch Platz für einen Film wie den Ihren?
Ich hoffe. Wenn man derzeit keinen Superheldenfilm dreht, kann man sich eigentlich auch gleich einen Job in einem Donut-Laden suchen. Aber ich glaube trotzdem, dass es mit dem richtigen Verleiher ein Publikum für einen Film wie meinen gibt. Vielleicht nicht auf Anhieb, aber irgendwann singen sich die Leute dann mit „Girls Just Wanna Have Fun“ in den Schlaf.
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