Regisseurin über "Brownian Movement": "Körpersprache mächtiger als Dialoge"
Die niederländische Regisseurin Nanouk Leopold erzählt, warum man mit seinen Problemen Kaffee trinken sollte und wie ihre Hauptdarstellerin gleichzeitig schön und hässlich sein kann.
taz: Frau Leopold, die nymphomanische Hauptfigur in Ihrem Spielfilm "Brownian Movement" redet extrem ungern. Was haben Sie gegen Wörter?
Nanouk Leopold: Es ist verrückt. Ich selbst bin ja eher geschwätzig. Trotzdem finde ich Körpersprache gerade zwischen Liebenden viel mächtiger als gesprochene Dialoge. Zumal im Kino. Ich will ja kein Buch schreiben, sondern versuche, mit Bildern zu kommunizieren.
Ihre Kamera klebt förmlich an der Hauptdarstellerin Sandra Hüller, an ihrem blassen, zarten, ebenmäßigen Gesicht, in das die unregelmäßigen Zähne so wenig passen wollen.
Ja, ich mag es sehr. Hüller kann Gefühlslagen ganz schnell wechseln - und dieser Wechsel zeigt sich nur in ihren Augen oder an ihrem Mund, und trotzdem kann der Zuschauer alles genau mitverfolgen. Hüller kann sehr schön und sehr hässlich sein - und zwar in derselben Sekunde. Das ist toll!
Neben dem Ausleuchten von minimalen Bewegungen in Gesichtern scheint das Ausleuchten von eher kargen Räumen für Ihre Geschichte fast genauso wichtig.
Ich vermittele die Gefühle meiner Figuren, indem ich sie zum Beispiel entweder in großen oder kleinen Räumen zeige. Für mich löst das mehr Emotionen aus, als wenn ich jemand weinen lassen würde. Zumal am Anfang, wenn die Zuschauer die Figuren noch nicht kennen, löst Weinen überhaupt keine Emotion aus.
Warum sind Ihre Räume so leer?
Das ist wie eine Recherche, ich nehme alles aus den Räumen, das die Zuschauer ablenken könnte. Ich will einfach nur das Wesentliche zeigen.
NANOUK LEOPOLD wurde 1968 in Rotterdam geboren, studierte an der Niederländischen Film- und Fernsehakademie und an der Akademie für Visual Arts in Rotterdam. Zu ihren bisherigen Filmen zählen "Guernsey" (2005) und "Wolfsbergen" (2007).
Warum lassen Sie die Zuschauer nicht selbst herausfinden, was wichtig ist? Warum kontrollieren Sie ihren Blick so stark?
Vielleicht denke ich mehr wie eine Malerin. Gelbe Tulpen können sehr störend sein (sie zeigt auf die Tulpen im Interviewzimmer). Vielleicht traue ich vor allem mir selbst nicht. Das war mein erster Film, in dem ich mit einer bewegten Kamera arbeitete. Für mich war das ein Riesenschritt. Je nachdem, welches Gefühl wir erzeugen wollten, haben wir entweder mit dem Stativ gefilmt oder von der Schulter. Für Kranfahrten bin ich wirklich noch nicht reif - vielleicht in zehn Jahren.
Ist das nicht ein bisschen viel Bescheidenheit?
Nein. Das war schon in der Kunstakademie beim Fotografieren so. Alle anderen haben sämtliche Objektive ausprobiert. Nur ich hab so lange mit dem 50er fotografiert, bis ich alles davon begriffen habe - und wirklich ein anderes brauchte.
Die Ärztin Charlotte (Sandra Hüller) lebt mit ihrem Mann (Dragan Bakema) und ihrem Sohn in Brüssel und führt ein glückliches Familienleben - bis sie beschließt, sich eine Zweitwohnung zu mieten. Dort trifft sie Patienten, um mit ihnen zu schlafen. Eine Paartherapeutin kann nicht weiterhelfen, das Paar sucht nach anderen Wegen, die Ehe zu retten.
"Brownian Movement", Regie: Nanouk Leopold. Mit Sandra Hüller, Dragan Bakema u. a., Niederlande/Deutschland/Belgien 2010, 100 Minuten
In Ihrem Film ist es die Frau, die Sex mit vielen Männern braucht, um mehr über sich zu erfahren. Der Mann hingegen lebt monogam und leidet unter ihrem Fremdgehen. War es Ihnen wichtig, Geschlechterklischees zu invertieren?
Manchmal finde ich es beängstigend, was für ein Riesenthema daraus gemacht wird, ob nun eine Frau oder ein Mann fremdgeht. Aber ich sollte natürlich nicht so naiv sein. Klar wäre ein nymphomanischer Mann weniger spannend gewesen, denn solche Figuren haben wir ja bereits oft im Kino gesehen.
Hat "Belle de jour" von Luis Buñuel bei Ihrem Film Pate gestanden? Es geht darin um eine Pariser Arztgattin, die heimlich als Prostituierte arbeitet.
Ja, absolut. Ich liebe diesen Film und hab ihn als Jugendliche oft gesehen. Vielleicht ist "Brownian Movement" eine zeitgenössische oder einfach meine Version von "Belle de jour".
Ihr Film spielt zunächst in Brüssel, dann zieht das Paar nach Indien um. Und zwar just nach Ahmedabad, in den Ort also, wo Le Corbusier für zahlreiche moderne Bauten verwantwortlich zeichnet. Sie nutzen auch eines seiner spektakulären Gebäude als zentralen Drehort. Warum arbeiten Sie mit einem so groben Kontrast? Europa wird als geordnet und diszipliniert gezeigt, hingegen findet sich das Paar in Indien stets im Menschengewusel wieder.
Ich wollte die beiden von ihrer gewohnten Umgebung isolieren. Zunächst hatte ich vor, das Paar in die USA in ein Gebäude von Frank Lloyd Wright in Chicago zu schicken. Aber dann hab ich Ahmedabad entdeckt.
Und was gab den Ausschlag für Le Corbusier?
Dieses Gebäude von ihm hat keine Funktion. Es lädt die Besucher einfach nur ein, in großer Ruhe zu genießen, wie das Licht in die Räume fällt. Es ist vor allem ein Kunstwerk, weniger ein Ort zum Wohnen.
Auch Charlotte sitzt hier einfach nur auf dem Boden und lässt die Sonne auf ihr Gesicht scheinen. Ihr Mann folgt ihr heimlich, weil er Angst hat, dass sie wieder einen Liebhaber trifft. Ihr Anblick trifft ihn ins Mark.
Für mich ist das eine der wichtigsten Szenen im Film.
Warum?
Weil sich hier zeigt: Es geht bei diesem Paar nicht um unterschiedliche sexuelle Vorlieben. In der Liebe geht es um Vertrauen. Alles dreht sich um die Frage: Kannst du damit leben, dass die Person, die du liebst, Seiten hat, die du weder kennst noch verstehst? Kannst du das aushalten?
Ist das auszuhalten?
Probleme gibt es ja immer, die gehen nie weg. Also setzt man sich besser zu ihnen hin und trinkt Kaffee mit ihnen. Und von den Räumen von Le Corbusier mit ihrem nackten Material und ihrer offengelegten Struktur geht ein Frieden aus, der es erlaubt, Freundschaft mit den Problemen zu schließen. Ich bin überzeugt davon, dass dieser Frieden der Sinn dieser Architektur in Ahmadebad ist. Auch meine Filme versuchen immer, die Strukturen von einer Freundschaft oder einer Beziehung so offen wie möglich zu legen. Das verbindet mich auch mit Schriftstellern wie J. M. Coetzee oder Marguerite Duras. Auch sie sind präzise, bis es wehtut. Ich versteh nur nicht, warum sie mir immer die Luft zum Atmen nehmen müssen.
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