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Regisseure Kautter und Dietrich über "Wegschließen"„Es sind eure Entscheidungen“

Das dokumentarische Stück "Wegschließen und zwar für immer" am Deutschen Theater in Göttingen soll den Diskurs über die Sicherungsverwahrung abbilden.

Leute treffen aufeinander, wie sie es im realen Leben nie könnten: Sibille Helfenberger und Thomas B. Hoffmann. Bild: Isabel Winarsch
Interview von Jakob Epler

taz: Frau Kautter, Herr Dietrich, „Wegschließen und zwar für immer“ ist dokumentarisches Theater. Alles, was gesagt wird, sind Zitate. Warum zeigt man dann nicht lieber einen Dokumentarfilm?

Nico Dietrich: Wir wollen den Diskurs abbilden, alle Sichtweisen auf das Thema vereinen. Wir wollen nicht die Originale auf die Bühne setzen und sagen: „Erzähl uns mal die Straftat!“ Wir wollen uns nicht voyeuristisch zuschmieren mit den Geschichten. Während der Recherche habe ich ein schönes Gespräch mit einem Psychologen geführt. Er sagte: „Wissen Sie Herr Diedrich, alle wollen nur eine voyeuristische Geschichte von mir. Auf den Partys kann ich es schon nicht mehr hören, dieses ’Na, habt ihr auch einen Hannibal Lecter?‘.“ Mich haben das Journalisten gefragt: „Warum können wir nicht noch mehr Straftäter-Geschichten hören?“ Nee, ich bin doch nicht blöd und potenziere hier nochmal öffentlich Straftaten, die eine Privatangelegenheit von Opfer und Täter sind. Genau darauf wollen wir verzichten. Wir wollen den Diskurs und wir wollen den sinnlich erfahrbar machen.

Inken Kautter: Dazu machen wir etwas spezifisch Theatralisches aus den Interviews. Das kann man mit einem Dokumentarfilm nicht schaffen. Das Theater erzeugt eine Unmittelbarkeit zwischen den Zuschauern und den Schauspielern. Außerdem treffen die Leute auf der Bühne so aufeinander, wie sie es im realen Leben nie könnten. Wir haben bei den Textarbeiten und bei der Inszenierung gemerkt, dass etwas irrsinniges passiert, wenn die Richterin über den Gefangenen spricht, während sie im selben Raum auf ihn runter guckt. Wenn das Objekt ihrer Auseinandersetzung auf einmal präsent ist, dann ändert es den Text. Es ist viel beklemmender, wenn die Figuren aufeinander treffen.

Was sollen die Zuschauer mitnehmen?

Dietrich: Wir versuchen das System zu erklären. So, dass alle das irgendwie kapieren. Das ist, so sage ich immer liebevoll, die Low Fi-Variante. Und das Topping ist, dass wir etwas über unsere Gesellschaft erzählen. Das ist es, was wir wollen. Wir sagen, es hat etwas damit zu tun, wie ihr euch verhaltet. Außerdem binden wir das lokal an. Es ist kein abstraktes Diskursding, sondern es sind eure Nachbarn und es sind eure Entscheidungen. Die gehen vom Bundesverfassungsgericht bis auf eueren Acker, da wo die Haftanstalt gebaut wird. Das hat was mit euch zu tun.

Kautter: Das andere ist das Thema Angst. Wir haben da eine klare Haltung: Eine Gesellschaft muss sich daran gewöhnen, mit Angst anders umzugehen und Problemen angstfreier zu begegnen. Wenn alles, was man tut, durch Angst diktiert wird, verliert man die Freiheit. Man kann keine 100-prozentige Sicherheit schaffen, das gibt es einfach nicht. Auf der anderen Seite kann man aber Freiheitsrechte immens einschränken. Und das führt am Ende dazu, dass man lieber Zehntausende zu unrecht wegsperrt, als einen zu unrecht freilässt.

Bild: Meyer Originals
Im Interview: Inken Kautter

Jg. 1978, leitet das Freie Werkstatt-Theater in Köln. Nach dem Studium der Philosophie und Theaterwissenschaften arbeitete sie als freie Regisseurin und Autorin in Berlin und Halle (Saale). Seit 2009 in Köln, schrieb sie für das Freie Werkstatt-Theater »Deutlich weniger Tote« über Deutsche Auslandseinsätze.

In der Göttinger Premiere saßen Leute, die Sie für das Stück interviewt hatten – auch ein Sicherungsverwahrter auf Freigang war dabei. Waren die mit Ihrer Darstellung einverstanden?

Bild: Sebastian Stolz
Im Interview: Nico Dietrich

Jg. 1979, Theaterregisseur und Autor, ist in Brandenburg an der Havel geboren und hat an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch Theaterregie studiert. Danach arbeitete er am Deutschen Theater Berlin, dem Nationaltheater Weimar, an den Sophiensälen Berlin und auf Kampnagel Hamburg.

Dietrich: Wir wissen ja vorher, dass die Originale kommen. Ich möchte sie nicht verraten. Das habe ich auch allen gesagt: „Ich möchte jetzt nicht Ihr Interview benutzen, um irgendetwas herzustellen. Ich gehe zaghaft mit den Dingen um und möchte da etwas erzählen, so dass Ihre Perspektive so steht, wie Sie das wirklich gesagt haben.“

Ist es wirklich unmöglich, dass sie sich nicht trotzdem verraten fühlen?

Kautter: Nein, ist es nicht. Wir haben auch schon Leute gehabt, die mit ihrer Darstellung nicht zufrieden waren. Die haben gesagt: „Mensch Kinder, ihr habt mich da als cocktailsaufenden Großbürger dargestellt. Das geht gar nicht, das bin ich nicht.“ Wir müssen respektvoll mit den Texten umgehen, aber wir dürfen sie auch nicht heilig machen. Wir dürfen nicht die ganze Zeit denken: „Ogottogott, was würde unser Interviewpartner dazu sagen.“ Wir müssen eine gute Umsetzung für das finden, was wir als Essenz aus einem Interview ziehen. Wir bringen maximal sieben Minuten aus einem eineinhalb Stunden langen Interview auf die Bühne. Das kann dann gar nicht alles sein und selbst eineinhalb Stunden sind ja nicht alles. Aber die Leute zu verraten, würde dem Abend schaden. Es geht uns ja gerade darum, die unterschiedlichen Sichtweisen nebeneinander zu stellen und ernst zu nehmen. Und in dem Moment, wo wir eine Figur wirklich lächerlich machen, kann man sie eigentlich auch schon raus nehmen, weil sie zu unserer Form des Theaters nichts mehr beiträgt.

Man hat bei Ihrem Stück zwar Spaß, aber es ist auch ein bisschen Arbeit, sich das anzugucken. Ist Doku-Theater etwas, das die Intendanten der Schauspielhäuser gerne nehmen?

Kautter: Ja, also es ist natürlich nicht Shakespeares sämtliche Werke, leicht gekürzt, in neunzig Minuten. Das Ding kannst du sofort auf den Spielplan setzen und hast es immer voll. Das kann man mit so einem Abend nicht machen. Aber man kann es zwei bis viermal im Monat zeigen und dann ist das auch über einen langen Zeitraum immer gut voll. Das ist ja auch hier so, es ist das kleine Haus, es ist das Studio. Aber nichtsdestotrotz, das Interesse ist erstmal gigantisch. Es ist ja kein Zufall, dass unsere Theaterform vom Deutschen Theater in Göttingen und vom Schlosstheater Celle quasi aufgekauft wurde. Aber es bleibt natürlich ein Segment und im großen Haus läuft Shakespeare.

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