Regisseur über "Der Name der Leute": "Opferkonkurrenz ist furchtbar"
Das Private ist in Michel Leclercs "Der Name der Leute" bis in den Beischlaf hinein politisch. Ein Gespräch über Opferrollen und das Vermögen der Komödie.
taz: Monsieur Leclerc, Ihr Film ist eine Komödie, als solche aber randvoll mit heiklen geschichts- und tagespolitischen Fragen: Es geht um so schwergewichtige Dinge wie den Umgang mit der Schoah in der ersten und zweiten Generation, um Pädophilie, Kolonialismus und Postkolonialismus in der Algerienfrage, Rechtsextremismus, sogar den Glauben an Technik und Atomkraft, aber auch den Umgang mit Muslimen und Islamismus. Wie sind sie beim Integrieren all dieser Tabuthemen in eine einzige Geschichte vorgegangen?
Michel Leclerc: Wir sind von den beiden Familien ausgegangen, den beiden Hauptfiguren. Und die Familien sind wiederum ein wenig nach meiner eigenen und der meiner Lebensgefährtin und Drehbuchkoautorin Baya Kasmi modelliert. Beim Schreiben haben wir uns da gegenseitig unsere Geschichten aus der Nase gezogen, teils gegen heftige innere Widerstände. Die erste Fassung war wirklich ein Paardialog, überhaupt noch nicht in Drehbuchform.
Es war uns von Anfang an klar, dass wir all diese Themen nicht für sich, sondern immer im Bezug auf diese uns nahestenden Charaktere und ihre Familien behandeln wollten. Wir wollten zeigen, wie diese Personen und diese Familien damit umgehen, mit dem Missbrauch, mit der Schoah - das schien uns der einzige Weg, nicht zu simplifizieren. Die Wahrheit liegt für uns in den uns vertrauten Charakteren und ihren konkreten Geschichten und Ängsten. Die Verbindung der Themen stellt sich in wiederkehrenden Mustern her: Die Angst vor der Vogelgrippe und die Angst vor Ausländern rufen ähnliche Reaktionsmuster hervor.
Das eigentliche Thema des Films wären dann diese Reaktionsformen: wie man damit umgeht, in Opferrollen gedrängt zu werden, wie man mit seinen eigenen Ängsten umgeht?
Ja. Und auch da sind war ganz stark von der Eigenbeobachtung, von unseren eigenen Familien ausgegangen. Es ist ja ein Phänomen, dass die tatsächlichen Opfer der historischen Ereignisse gar nicht diejenigen sind, die Forderungen stellen. Sie wollen im Gegenteil in der Menge verschwinden, ein Leben führen, das so normal ist wie nur möglich. Damit steht aber die nächste Generation vor einer heiklen Aufgabe: Wie geht man damit um, dass man Kind von Opfern ist? Und wie geht man damit um, dass die Eltern davon gar nichts wissen wollen? Da kommt es dann zu Phänomenen der Opferkonkurrenz, die ich furchtbar finde.
Zweierlei ist mehr als erstaunlich an dem Film. Zum einen, dass er überhaupt finanziert werden konnte. Mit seiner radikal komischen Auseinandersetzung mit Tabuthemen hätte er in der deutschen Konsenskultur wohl keine Chance gehabt. Wie ging das in Frankreich? Und dann haben Sie es auch noch geschafft, den französischen Expräsidentschaftskandidaten Lionel Jospin zum Mitmachen zu überreden. Wie war das möglich, das eine wie das andere?
"Der Name der Leute" inszeniert einen Frontalzusammenstoß: zwischen dem nicht mehr ganz jungen, etwas verklemmten Veterinärmediziner jüdischer Abstammung Arthur Martin und der jüngeren offenherzigen linken Halbalgerierin Bahia Benmahmoud. Aus den Widersprüchen, die auf den ersten Blick persönliche, auf den zweiten politische sind, schlägt das Drehbuch jede Menge Funken. Es werden Fragen der Opferpolitik verhandelt, die Rechte per Beischlaf zur Linken bekehrt, und der steife Sozialist Lionel Jospin legt höchstpersönlich einen veritabel komischen Auftritt hin. In Frankreich war der Film ein Riesenerfolg, über den nur die Le-Pen-Rechte Böses zu sagen hatte. Für das Drehbuchautorenpaar Baya Kasmi und Michel Leclerc und den Nachwuchsstar Sara Forestier gab es den französischen Filmpreis César.
Michel Leclerc
ist als Regisseur ein Autodidakt. Er drehte Kurzfilme mit Freunden, arbeitete als Cutter fürs Fernsehen, schrieb Drehbücher und kam so nach und nach ins Filmgeschäft. "Der Name der Leute" ist sein zweiter Spielfilm. Leclerc schreibt auch Chansons - nicht zuletzt den, der unter dem Abspann läuft - und macht mit seiner Band "Minaro" selbst Musik. Er führt, natürlich auf französisch, ein Blog unter www.jetevoisvenir.fr.
Ich hatte das Glück, dass meine Produzenten von dem Projekt sehr überzeugt waren. Künstlerisch jedenfalls. Sehr originell, meinten sie, aber ökonomisch: eine sichere Katastrophe. Es war nicht ganz einfach, das Geld aufzutreiben, aber wir hatten Glück mit einem Drehbuchpreis in einem frühen Stadium. Und mit Jospin: noch so eine Glückssache. Wir hatten vorher keinerlei Kontakt zu ihm, schickten ihm einfach das Drehbuch. Er mochte es wohl - und hat seinen Text dann selbst geschrieben. Was er sagt, sind also seine eigenen Worte. Da schlummerte wohl ein bislang unentdecktes komisches Talent.
Könnten Sie sich vorstellen, diese Geschichten nicht in Form einer Komödie zu erzählen?
Nein. Ich höre immer wieder Autoren, die sagen, es sei schwieriger, eine Komödie als eine Tragödie zu schreiben. Für mich stimmt das sicher nicht. Es gibt ja tragische Momente in unserem Film. Davor hatte ich aber die meiste Angst. Ich verabscheue falsches Pathos, ich hasse es, wenn man versucht, mich zu Tränen zu zwingen. Das finde ich ganz schwierig, da den richtigen Ton zu finden. Die Unterscheidung zwischem Komischen und dem Nichtkomischen scheint mir einfacher und klarer.
Es ist aber vielleicht gerade wichtig, sich über die eigenen Pathosschwellen hinauszuwagen, auch in der Komödie?
Oh ja. Ich empfinde das als doppelte Herausforderung: Wie weit gehe ich auch mit der Ehrlichkeit, mit der Ernsthaftigkeit in der Komödie? Ich finde das ja äußerst uninteressant, wenn mir jemand im Kino mit vollem Ernst seine eigenen privaten Probleme erzählt. Also braucht es genau die richtige Distanz zwischen dem ganz Unpersönlichen, der rein mechanisch erzählten lustigen Geschichte und dem allzu Privaten. Für mich liegt aber genau zwischen beidem das größte Zuschauervergnügen. Und die Komödie, wie ich sie verstehe, scheint mir die Form, die genau diese mittlere Position möglich macht.
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