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Regisseur Miguel Gomes über „Grand Tour“„Für mich bedeutet Filmemachen, meinen Alltag zu verlassen“

Der neuste Film des Regisseurs Miguel Gomes „Grand Tour“ läuft nun auf Mubi. Ein Gespräch über eine Grenzwanderung zwischen Raum, Zeit und Genre.

Die Anmut der menschlichen Gesten: Cláudio da Silva als Timothy Sanders und Lang Khê Tran als Ngoc Foto: Match Factory
Thomas Abeltshauser
Interview von Thomas Abeltshauser

Eine vielschichtige Reise inszeniert der portugiesische Regisseurs Miguel Gomes in seinem sechsten Film „Grand Tour“, in dem er die fiktive Geschichte eines Kolonialbeamten im Jahr 1918 auf der Flucht vor seiner Verlobten quer durch Asien mit aktuellen dokumentarischen Aufnahmen der Region verbindet. Mit diesem wurde der 1972 geborene Gomes im vergangenen Jahr erstmals in den Wettbewerb von Cannes eingeladen und erhielt prompt den Regiepreis. „Grand Tour“ gibt es ab 18. April auf der Strea­ming-Plattform Mubi zu sehen. Ein Gespräch über unerwartete Entdeckungen und die Anmut menschlicher Gesten.

Bild: Patricia Neves Gomes
Im Interview: Miguel Gomes

Der 1972 in Lissabon geborene Filmregisseur begann nach seinem Studium an der Escola Superior de Teatro e Cinema als Filmkritiker. Erste Bekanntheit gewann er mit „Tabu“ (2012).

taz: Herr Gomes, wie kamen Sie auf den Begriff „Grand Tour“, der sich auf eine Reiseroute durch Asien bezieht, die im frühen 20. Jahrhundert populär war?

Miguel Gomes: Ich habe von dieser Route durch William Somerset Maughams Reisebuch „The Gentleman in the Parlour“ aus dem Jahr 1930 erfahren, das mich dann zu dem Film inspiriert hat. Zur Zeit des britischen Empire reisten viele Schriftsteller auf dieser Route, die im alten Burma oder Indien begann und meist in China endete.

taz: Was hat Sie daran interessiert?

Gomes: Für mich bedeutet Filmemachen, meinen Alltag zu verlassen und mich auf ein Abenteuer einzulassen. Ich versuche, etwas einzufangen, das mich überrascht, bewegt und auf eine andere Art und Weise berührt. Bevor wir das Drehbuch zu „Grand Tour“ schrieben, machten wir uns selbst auf Entdeckungstour. Mit einem kleinen Team reisten wir durch Myan­mar und Japan, arbeiteten in jedem Land mit kleinen Produktionsfirmen vor Ort. Das Schreiben kam als Reaktion auf die Erfahrungen dieser Reise, auf das Material, das wir dort aufgenommen haben.

taz: Wie gut kannten Sie die unterschiedlichen Gegenden Asiens?

Gomes: Im Grunde gar nicht, deswegen war es wichtig, zuerst selbst dorthin zu reisen. Wir haben einen Großteil selbst gedreht, nur in China waren wir nicht. Im Februar 2020 waren wir gerade in Japan und planten den nächsten Trip, da sagten unsere chinesischen Partner, es gäbe ein Problem, wir könnten wegen des Covid-Ausbruchs nicht einreisen. Wir dachten zunächst, das wird in wenigen Monaten wieder vorbei sein. Am Ende waren es fast zwei Jahre. 2022 beschlossen wir dann, aus der Ferne zu drehen. Wir hatten eine chinesische Crew vor Ort, ich war in Lissabon in einem Haus mit zwei, drei anderen Leuten, umgeben von Monitoren. Auf einem sah ich, was das Handy des Regieassistenten zeigte, um eine Vorstellung der Umgebung zu haben, ein anderer zeigte die Perspektive der 16-Millimeter-Kamera.

taz: Wie kann man sich die Kommunikation vorstellen?

Gomes: Ich flüsterte dem Kameramann virtuell Anweisungen zu, etwa auf etwas zu schwenken, das ich auf dem Handy sah, das aber außerhalb des Blickfelds seiner Kamera war. Obwohl ich ihm noch nie persönlich begegnet war, funktionierte es überraschend gut, ich konnte fast so Regie führen, als würde ich direkt neben ihm sitzen.

taz: Wie lässt sich ein Land aus der Ferne entdecken?

Gomes: Es schränkt natürlich extrem ein, nicht physisch anwesend zu sein und mit eigenen Augen wahrnehmen zu können. Hauptkriterium, um zu entscheiden, wo wir drehen und welche Art von Ereignissen wir filmen, war immer mein eigenes Interesse. Was fasziniert mich, welche Bilder finde ich reizvoll? Die Männer, die am Jangtse-Fluss Boote stromaufwärts ziehen, das Riesenrad von Rangun, das Pflücken der Lotusblumen in Thailand. Ich wollte die reale Welt festhalten, die aus höchst unterschiedlichen Dingen besteht, eine Art Montage der Attraktionen. Die Gegen­wart ist oft spektakulärer als das fiktionale Kino, das im Studio entsteht.

taz: Würden Sie sich als ethnografischen Filmemacher bezeichnen?

Gomes: Chris Marker ist natürlich ein Bezugspunkt für mich. Und vor ihm Robert Flaherty, der mit Filmen wie „Nanook“ eine lyrische Art erfunden hat, Realität zu inszenieren. Mich interessiert es, Menschen zu filmen, die andere Dinge tun, als ich in Lissabon sehe oder selbst tue. Ich denke, es ist die Aufgabe eines Filmemachers, eine gewisse Anmut in der Welt zu finden und diese einzufangen. Anmut in den Gesten von Menschen, beim Essen, bei der Arbeit, wo auch immer sie etwas tun, ohne dabei an eine Kamera zu denken. Und die Anmut von Dingen, die für sich existieren.

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Der Trailer

Filmstill aus dem Film Grand Tour mit der Panoramaaufnahme einer Metropole bei Nacht
Filmstill aus dem Film Grand Tour mit der Panoramaaufnahme einer Metropole bei Nacht

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taz: Diese Ebene ergänzen Sie dann aber durch eine weitere Dimension, die Welt der Fiktion. Warum?

Gomes: Mir gefiel die Idee eines Mannes, der vor seiner Hochzeit in Panik gerät, in die Ferne flieht und dabei von seiner Verlobten verfolgt wird. Er ist ein melancholisch Verlorener, sie eine energisch treibende Kraft mit einem Ziel. Ich versuche in meinen Filmen auf verschiedene Weise diesen Dialog zwischen parallelen Welten zu etablieren, die gleichberechtigt sind. Der existierenden Realität da draußen und der Welt des Kinos, die ich ganz bewusst künstlich halte, weil ich den Betrachtenden nicht vorgaukeln will, die Wirklichkeit zu sehen, ganz im Gegenteil.

taz: Diese erfundene Ebene steht im starken Kontrast zu den dokumentarischen Bildern, angesiedelt in einer anderen Epoche und gedreht im Studio, mit Anleihen an Stummfilme und Screwballkomödien.

Gomes: Die Welten sollten wie Gegensätze sein, Vergangenheit und Gegenwart, Innen und Außen, künstliches Studiolicht und unwägbare Witterung. Zugleich ergeben sich immer wieder Verbindungen und Überschneidungen auf Bild- und Tonebene. Wenn ich etwa im Studio ein Postamt im Saigon vor 100 Jahren inszeniere, erinnert es an den Exotismus aus einem Hollywoodfilm der 1940er Jahre. Dann schneide ich zu einer Aufnahme eines echten Postamts der Stadt, die heute Ho-Chi-Minh-Stadt heißt. In diesen Bildern schwingt der Zusammenhang von Gegenwart und Kolonialerbe mit und auch, wie sehr unser Blick auf diese Region durch das klassische amerikanische Kino geprägt ist, Filme wie Josef von Sternbergs „Shanghai Express“ etwa. „Grand Tour“ ist so nicht nur eine geografische Reise, sondern auch durch verschiedene Zeiten und Realitäten. Ich will die Illusion des Kinos als Konstruktion sichtbar machen, das Künstliche daran bewusst werden lassen. Meine Filme sind für ein Publikum, das sich seinen eigenen Reim auf scheinbar Widersprüchliches, Diskontinuierliches macht und nicht einfach nur passiv Bilder auf sich einprasseln lässt.

Der Film

„Grand Tour“. Regie: Miguel Gomes. Mit Gonçalo Waddington, Crista Alfaiate u. a. Frankreich 2024, 128 Min. (ab 18. April 2025 auf Mubi)

taz: Sie benutzen dabei sowohl Schwarz-Weiß als auch Farbbilder. Warum?

Gomes: Aus ganz praktischen Gründen. Wir haben auf analogem 16-mm-Filmmaterial in Schwarzweiß gedreht, das aber bei dunklen Lichtverhältnissen nicht empfindlich genug ist. Wenn man nachts filmt, ist es sehr schwierig, dass es gut aussieht oder man überhaupt etwas erkennt. Wir haben solche Szenen dann auf viel lichtempfindlicherem Farbfilm gedreht und wollten sie später in der Postproduktion in Schwarzweiß umwandeln. Im Schnitt langweilte uns diese Homogenität jedoch bald, mein Editor und ich experimentierten dann doch mit den ursprünglichen Farben und fanden den Kontrast sehr schön. Es gab aber kein festes Prinzip, kein strenges Konzept, das Auftauchen von Farbe folgt keiner narrativen oder symbolischen Logik, es war intuitiv und unvorhersehbar. Wir fanden im dunklen Schneideraum wieder zu einem­­ Staunen zurück, wie wir es bei unserer Entdeckungsreise zu Beginn empfanden.

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